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Robert Rotifer London/Canterbury

Themsenstrandgut von der Metropole bis zur Mündung: Bier ohne Krone, Brot wie Watte und gesalzene Butter.

8. 9. 2015 - 16:48

Der kleine Tod von oben

Cameron will vielleicht keine syrischen Flüchtlinge aufnehmen, aber Drohnen schicken und seine eigenen Bürger killen lassen, das kann er.

Nein, ich hab heute überhaupt keine Zeit zum Bloggen, aber Himmelherrgott, das muss raus (man verzeihe mir daher die Kürze dieses Texts): Das Land, das ich mir vor fast zwei Jahrzehnten zum Leben ausgesucht hat, macht's mir wieder einmal so schwer wie möglich, es zu lieben.

Da sind wir hier noch gerade damit beschäftigt, darüber zu debattieren, was es heißt, wenn der Premierminister verspricht, über die laufende Legislaturperiode hinweg (also fünf Jahre) insgesamt 20.000 syrische Flüchtlinge aufzunehmen, und zwar vorzugsweise Waisenkinder, die dann – kein Witz – im Alter von 18 Jahren wieder deportiert werden sollen, und plötzlich schießt mittendrin Nachricht rein:

Großbritannien habe zwei seiner Staatsbürger, die als Jihadis nach Syrien gefahren sind, am 21. August* ebendort per Drohnenschlag getötet.

Reyaad Khan, 21, aus Cardiff, sei gerade dabei gewesen, einen groß angelegten Terrorakt in Großbritannien zu organisieren. Es heißt, er habe die Königin ermorden wollen.

Ruhul Amin, 26, aus Aberdeen, der offenbar mit ihm im Auto saß, musste auch dran glauben, weil er sich mit Khan herumtrieb.

Nun wird in Großbritannien heftig darüber gestritten, ob so eine staatlich sanktionierte Tötung in einem fremden Land tatsächlich, wie von David Cameron behauptet, als Akt der Selbstverteidigung gewertet werden kann.

Ob diese Frage in jedem Fall nicht eigentlich nicht eher eine des Zivilstrafrechts als eine Kriegsangelegenheit sei.

Und ob dieses Vorgehen mit dem bestehenden Parlamentsbeschluss zusammen geht, keine Bombardements in Syrien durchzuführen.

Im Grunde ist mir das als Betrachter aber eigentlich völlig egal. Die Hauptfragen sind offensichtlich ganz andere:

Kriegsrecht oder Zivilrecht, oder was immer: Ist es nun tatsächlich so, dass der britische Staat, wann immer es ihm passt, unter der bloßen Behauptung eines Verdachts, sie seien gefährlich, Leute aus heiterem Himmel beseitigen kann?

Gibt’s die Todesstrafe wieder?
Ohne Gerichtsurteil noch dazu?
Hab ich was versäumt?

(Verteidigungsminister Michael Fallon hat bereits angedroht, dass der britische Staat noch mehrere solche Hinrichtungen ausführe werde.)

Und wenn ja, denkt keiner dieser Fernbedienungs-Rambos an die Möglichkeit, dass Jihadisten und solche, die es werden wollen, sich davon unter Garantie zur Vergeltung mit gleichen Mitteln aufgerufen sehen werden? Drohnen kann schließlich heutzutage einE jedeR kaufen.

Und letztlich: Halten die uns wirklich für so blöd zu glauben, die Beseitigung eines 21-jährigen in Syrien würde die Sicherheit der Königin in Großbritannien gewährleisten?

Jetzt, wo der junge Baddie tot ist, ist die Gefahr für die Monarchin abgewandt?

Falls wir nicht so blöd sind: Welchen Teil der Verschwörungsgeschichte hat man erfunden, welchen hat man uns noch nicht erzählt, und wenn dieser zu geheim ist, um weitererzählt zu werden, wieso kriegen wir dann überhaupt von dieser Hinrichtung zu hören?

In anderen Worten: Wenn will Cameron damit beeindrucken, und was will er erreichen?

Zeigen, dass er ein ganzer Kerl ist? Ein bisschen von seiner erbärmlichen Rolle in der Flüchtlingskrise ablenken?

Den Vogel hat jedenfalls wieder The Sun abgeschossen: "Wham Bam, Thank You Cam" ist die heutige Schlagzeile.

Wham! Bam! Thank You Cam… Sun-Titelseite

The Sun

Ich darf das Wortspiel dekodieren: "Wham bam, thank you mam“ ist eine Redewendung für einen schnellen Geschlechtsverkehr zwischendurch, einen Quickie also.

Vielleicht bin ich prüde oder naiv, aber die Gleichstellung von Sex und Totschlag auf dem Cover der größten britischen Tageszeitung hat mich dann doch umgehauen.