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Maria Motter Graz

Bücher, Bilder, Kritzeleien. Und die Menschen dazu.

8. 9. 2015 - 16:44

Im Verteilerquartier Fehring

Sieben sogenannte Verteilerzentren sollen Traiskirchen entlasten. Im steirischen Fehring warten Flüchtlinge auf die Entscheidung, ob der Staat Österreich sie duldet oder wieder fortschickt.

Sieben sogenannte Verteilerzentren gibt es in Österreich

Obwohl hier niemand laut ist, hallt es im Kasernengebäude. Spricht ein Flüchtling einen der Mitarbeiter von der Firma ORS an, stellen sich schnell andere hinzu. Sie geben aufeinander Acht. Mit dem 1. September hat das Bundesheer das Gebäude der Hadik-Kaserne in Fehring verlassen, jetzt sind hier Flüchtlinge untergebracht. Höchstens 150 Personen sieht der Vertrag zwischen Bundesministerium für Inneres und der Gemeinde Fehring für das steirische Verteilerquartier vor. Eine von ihnen ist Raheeq*. Sie ist vierzehn und spricht super Englisch, weil sie gerne ferngesehen hat in ihrer Heimat. Sie erzählt, wie es ihr hier im sogenannten "Verteilerzentrum" in Fehring geht.

* Name von der Redaktion geändert

Ihr Vater ist seit vier Monaten in Österreich, irgendwo in der Nähe von Wien. Einmal hat er sie in Fehring besucht, doch hier bei seiner Familie darf er nicht bleiben und mit ihm dürfen sie nicht gehen. "We need to see our Dad", sagt Raheeq entschlossen und spricht sofort darüber, wo es hier hakt. "Die Situation hier ist nicht gut. Zuerst gaben sie uns Wasserflaschen. Bitten wir jetzt um Wasser, heißt es, nehmt das aus der Leitung. Ich weiß, dass man das Wasser in Österreich trinken kann. Aber Wasser gibt es nur in den Waschräumen. Das würdest du nicht trinken! Es stinkt in den Waschräumen, grauslich, und sie werden nicht gut geputzt. Zu Essen geben sie uns zu wenig. Die Kinder mögen das Essen nicht und es sind so kleine Portionen. Als wir ihnen gesagt haben, dass wir das nicht mögen, hieß es: Das ist das, was wir haben. Tassen oder Teller dürfen wir nicht mit ins Zimmer nehmen. Manchmal kaufen wir uns etwas zu essen in Fehring.“

Noch vor wenigen Wochen Kasernenvorplatz, jetzt der Tagesort für Flüchtlinge

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Noch vor wenigen Tagen Kasernenvorplatz, jetzt Tagesort für Flüchtlinge. Das Bundesheer hat die Kaserne mit 1. September verlassen

Eine Familie, doch nicht zusammen

Raheeqs Mutter fasst schnell Vertrauen und mischt sich auch ins Gespräch. Brot dürften sie nicht mit ins Zimmer nehmen. Raheeqs drei jüngere Geschwister wachen nachts vor Hunger auf.

"Sie haben uns einen Brief geschickt. Wenn ihr nicht verschwindet, euer Haus und euren Arbeitsplatz verlasst und eure Familie mitnehmt, bringen wir euch alle um. Darum mussten wir den Irak verlassen", sagt Raheeq. Der sogenannte Islamische Staat trachtete nach ihrem Leben. Der größte Wunsch der Mutter ist es, ihren Mann wieder zu sehen, in Frieden zu leben und dass die Kinder wieder eine Schule besuchen können. Noch einmal gefragt, was sie jetzt und für sich bräuchte? Frische Unterwäsche. Und Klopapier, das bekommen sie nur portioniert und es reicht nicht.

Erst war die Familie mit einer andere Familie im Zimmer, die konnte jedoch schon in eine andere Unterkunft ziehen. Jetzt teilen sie das Zimmer mit fünf jungen Männern. Raheeqs Mutter war krank und musste für einige Tage ins Krankenhaus. Raheeq stellte sich auf die Füße: Sie bleibe nicht allein mit ihren Geschwistern im Zimmer mit den fremden Burschen. Daraufhin bekamen sie kurzfristig einen eigenen Raum. "Heute kommen weitere dreißig Menschen aus Traiskirchen an. Wo bringen sie die unter? Es gibt nicht mehr Platz".

Die zerrissene Familie war zuvor selbst in Traiskirchen, jetzt sind sie seit drei Wochen in Fehring. Raheeq kann es auf den Tag genau sagen. Es ist öd im Verteilerquartier. Die Erwachsenen sitzen auf den Eingangsstufen der Kaserne. Herumsitzen, herumspazieren. "Es ist nur langweilig". Gäbe es Internet oder Filme zu schauen, wäre es besser, findet das Mädchen.

Soll der "Kindergarten" im steirischen Verteilerquartier für Flüchtlinge sein: Ein Raum mit wenigen Spielsachen, keine Kindergärtnerin, keine Kinder.

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Das soll der "Kindergarten" im steirischen Verteilerquartier für Flüchtlinge sein: Ein Raum mit wenigen Spielsachen, keine Kindergärtnerin, keine Kinder. Dabei sind sehr viele Kinder hier untergebracht

Die FehringerInnen heißen sie willkommen

Ab und zu spazieren sie in den Stadtkern. Fragen die Fehringer sie viel? "Ja. Sie wollen wissen, wie es uns hier oben geht und ob wir zu essen haben". Sofort meldet sich Raheeqs neunjähriger Bruder zu Wort: "But no good food!" Abends gebe es dasselbe wie zu Mittag. Meist wäre das Reis und der sei nicht gut gekocht. Was essen die Kinder gern? "I know!", ruft die achtjährige Schwester mit der Zahnlücke, als wäre sie in der Schule und würde aufzeigen. Sie wartet kurz und ruft: "Pizza!".

"Wir haben die Äpfel von einem Baum im Hof aufgesammelt, gewaschen und zur Küche gebracht. Die haben sie weggeschmissen und uns keinen einzigen gegeben! Sind die Äpfel schlecht? Ich glaub' das nicht", sagt Raheeq. Das Verteilerquartier wird wie Traiskirchen von der privaten Firma ORS betreut. Die Freundlichkeit der Fehringer Bevölkerung hat Raheeq schon erlebt. Doch vom offiziellen Österreich fühlt sie sich abgelehnt. "Die wollen uns nicht".

Nur wenig später wird das vierzehnjährige Mädchen die Fluchtgründe erwachsener Männer übersetzen. Die Männer haben die Fotos des toten Kleinkindes Ailan gesehen, sie verfolgen das Geschehen in Syrien so gut es geht über ihre Smartphones. Einer der syrischen Männer bangt um das Leben seiner Frau und fünf Kinder, die er zurückgelassen hat. 28 Jahre hat er als Jurist gearbeitet, jetzt sitzt er in Fehring auf einer ausgemusterten Couch und ist sichtlich mitgenommen. Essen, schlafen, wie im Gefängnis ist es für den Mann hier. Er wartet auf seine Einvernahme. Einmal ist er dafür nach Traiskirchen gefahren und wurde wieder weggeschickt. Alles, was er will, ist die weiße Karte. Dauert es noch länger, wird seine Familie umkommen, sagt er, und seine Augen füllen sich mit Tränen. Er steht auf, hält seine Hände zum Herz und verbeugt sich dankend.

Ein Bus aus Traiskirchen kommt in Fehring vor dem Gebäude der Kaserne an und bringt Flüchtinge ins sogenannte Verteilerzentrum

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Ein Bus aus Traiskirchen kommt in Fehring an und bringt Flüchtlinge ins sogenannte Verteilerquartier

Warten auf die "weiße" Karte

"Gedacht ist es vom System so: Wenn die Polizei in der Steiermark Asylwerber aufgreift, macht sie die Ersteinvernahme und die Erstuntersuchung, Röntgen usw. Dann gibt es zwei Prognosen: Trifft die Dublin-Verordnung zu, also sind sie in einem anderen Land bereits als Asylwerber registiert, kommen sie nicht zu uns. Die anderen kommen zu uns ins Verteilerquartier", erklärt Karl-Heinz Müller, der mit seiner Kollegin Michaela Macher das Verteilerquartier leitet. Sind die Menschen noch nicht in einem anderen Land der EU als Flüchtlinge registiert und suchen hier um Asyl an, stellt Müller in Fehring für sie eine Karte aus, die ihnen vorläufiges Aufenthaltsrecht gewährt, um auf ihr Asylverfahren zu warten. Dann sollte es nicht lange dauern, bis sie in die Grundversorgung des Bundeslandes übernommen werden. Für die Verteilerzentren hingegen ist der Bund zuständig. Bislang kamen allerdings keine von der Polizei aufgefundenen Flüchtlinge nach Fehring, sondern nur welche direkt aus der "Betreuungsstelle Ost" vulgo Traiskirchen. Fehring soll auch Traiskirchen entlasten.

Vor dem Verwaltungsgebäude kehrt ein Flüchtling zusammen. Er spricht Karl-Heinz Müller an, will wissen, wann seine weiße Karte fertig sein wird. „Für die Leute bedeutet die weiße Karte, dass es nicht mehr so lange dauert, bis sie in die Grundversorgung des Landes Steiermark und in Quartiere kommen. Da sind sie meist schon sehr aufgeregt. Vor allem wissen sie, dass es eine Verbesserung bedeutet und sie mit ihrer Familie ein Zimmer oder eine Wohnung zur Verfügung gestellt bekommmen. Hier ist es so, dass sie mit einer zweiten Familie ihr Zimmer teilen müssen und bis zu 150 Asylwerber anwesend sind“, sagt der Beamte, der eigentlich von der Landespolizeidirektion Graz kommt und nun dem BMI zugeordnet ist.

Der Vertrag des BMI mit der Gemeinde Fehring ist auf ein Jahr begrenzt. Jemand wollte einen Kinderspielplatz spenden, doch Adaptionen dieser Art wären nicht möglich, heißt es seitens der Firma ORS. Ein Mitarbeiter der ORS führt mich durch das Gebäude. Für Kleiderspenden aus der Bevölkerung ist ein Kellerabteil vorgesehen. Es gibt zwei herkömmliche Waschmaschinen, wie du und ich sie in der Wohnung haben. Hier wird damit die Wäsche von 150 Menschen gewaschen. Darum kümmern sich Flüchtlinge für drei Euro die Stunde. Die Firma ORS hat elf Mitarbeiter vor Ort. Was mir als "Kindergarten" angekündigt wird, stellt sich als leerer Raum mit zwei Spielteppichen am Boden heraus Wenige Stofftieren stehen auf einem Regal und an der Wand stehen Spielsachen in Schachteln.

Für die Beamten Macher und Müller gibt es bislang nur positive Erfahrungen mit den Flüchtlingen im Verteilerquartier. "Die kommen aus einer anderen Kultur. Da ist es wichtig, dass man die Menschen auf Österreich vorbereitet. Das macht die Firma ORS, als erste Person, die für die Betreuung zuständig ist", erklärt Macher. Die administrative Arbeit sei enorm für die zwei Beamten. Auch sie können den Flüchtlingen keine Antworten auf ihre dringendsten Fragen geben, bis das Computersystem einen neuen Status anzeigt.