Erstellt am: 8. 9. 2015 - 13:25 Uhr
Artist of The Week: Beirut
Alle auf einen Blick:
Cherbourg, Marseille, Harlem, Bratislava, Prenzlauer Berg, Long Island, Venedig, Santa Fe… Alle diese Orte hat die Band Beirut bereist und besungen. Diesmal ist es wohl eher eine Zeitreise geworden, wie alle aktuellen Zeitreisen eine Verklärende. Diese verklärt den US-Mainstream-Pop glücklicherer Zeiten. Der Zeiten, wo es das Wort "Soft Rock" noch gab. Lassen wir uns von drei Tracks des neuen Beirut-Albums "No No No" in den lichten Wald der Assoziationen entführen.
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Zeitreise eins: "August Holland"
Hier schlittern wir geradewegs in einen Hollywood-Schinken der frühen Achtziger Jahre: Ein zerzauster Sympathieträger, der wie Dudley Moore aussieht, begegnet einer übernormal dimensionierten Traumfrau, die "nicht mit Reizen geizt" und blöde die Bilddiagonale durchlaufen muss, während, deutsch synchronisiert, zotige Nuschelwitze drüber gelegt werden. Alles glänzt von Sonne, Unschuld und Tiroler Nussöl und er kriegt sie am Ende doch, die um zwei Köpfe Größere… Dazu dudelt Hollywood-Pop von, erraten, Christopher Cross.
Zeitreise zwei: "Perth"
Frühe Siebziger, vielleicht in Paris. Vollbeschäftigung, lackierte Herzsonnenbrillen, überall Haare. Die sexuelle Revolution ist noch nicht den völlig falschen Weg gegangen, alle tummeln sich und lieben sich und sehen alles uneng. Die Hitparaden sind voll der Hits, musikalische Revolten liegen hinter uns, neuere wie Glam, Punk oder Hiphop sind in weiter Ferne, wie alles Störende. Dazu hüpfen die Pianos und shufflen die Dur- Harmonien, es trällern Gilbert O’Sullivan und Albert Hammond Senior.
Zeitreise drei: "At Once"
New York, späte Siebziger. Jeder ist Loftbewohner und diskursiver Künstler und kennt Liberace und Andy Warhol. Jeder ist jung und fusselig und redselig und Ryan O’Neills Pelzkragen und Ali McGraws Overknee-Stiefel suchen kuschelnd Schutz vor der Kälte. Dazu schwelgen das Klavier und die gedämpfte Trompete und die Saxophone in U-Bahn-Schächten, dazu schmettert niemand verträumter als der junge, fusselige Billy Joel.
Honi Soit ...
Spätgeborene Naivlinge, die über diese Assoziationen nicht verfügen, können froh sein: Sie werden mit der neuen Beirut viel Spaß haben. Es blitzen neben den Genannten - die durchaus ihre Qualitäten haben - noch die Überväter Brian Wilson und Roy Orbison auf, auch Big Star oder Raspberries. Und das Album ist so konsequent unrockig, dass man es nur bewundern kann.
Damit kommt dieses Wühlen im Unsäglichen zu einem stimmigeren Ergebnis als bei den letzten drei großen Releases aktueller Künstler, die - anders motiviert - ebenfalls in den gräßlichsten Sounds ihrer Geschichte wühlen wollten: TV on The Radios Dave Sitek und Modest Mouses Isaac Brock hatten wohl die Koksmusik der späten Siebziger Jahre à la Fleetwood Mac oder Styx sowie Peter Gabriels analoge Hallgeräte im Kopf, manchmal sogar Duran Duran oder David Sylvain, Dan Bejar a.k.a. Destroyer, mit den New Pornographers oder Swan Lake in ganz anderen Welten zuhause, klingt seit seinem Album "Kaputt" wie in einem Vaselinetopf ersoffen und ist - obwohl wir beide uns entliebt haben - zum bejubelten Kritikerstar geworden.
Bei diesen Dreien hatte ich das Gefühl, sie hätten alles ihnen Zugehörige schon durchgespielt und suchen gerade im Terrain des Mainstreamfeindes interessante Sounds und Möglichkeiten zur Weiterreise, auch wenn sie alte Freunde zurücklassen müssen. Bei Zach Condon von Beirut klingt das eher so, als wäre er am Ende seiner Reise angekommen, erschöpft aber glücklich, und könne jetzt diese J.J. Cale- / Jackson Browne-Laidbackness erst richtig genießen.
Die Band meistert diese "schwere Zeit" virtuos, diese Zeit wo sich niemand durch Intensität der Interessantheit am Schnuffeligsein hindern lassen mußte. Sie klingt so selbsterfüllt von diesen Sehnsüchten nach der schönen Welt, voll der großen Harmonien und großen Erzählungen. Sie meistert das mit Eleganz und Verve und der bandeigenen disziplinierten Melancholie, die sie dazu ermächtigt, sich das Ganze herzuholen, als gehörte es ihnen und wäre wahr. Und das muss Retromania und Nostalgie ja können, oder?
Gerade in so beschissen "interessanten Zeiten" wie den unseren. Wie hieß es auf einer der schönsten Platten dieser "guten alten" Zeit? Ein Narr, wer schlecht darüber denkt...