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Christian Fuchs

Twilight Zone: Film- und Musiknotizen aus den eher schummrigen Gebieten des
Pop.

8. 9. 2015 - 14:52

Schaurige Schönheiten & subversive Sauereien

Kleine Vorfreude-Festspiele zum /Slash Filmfestival von drei eingefleischten Liebhabern des wilden Genrekinos.

Man muss das /slash Festival an dieser Stelle wirklich nicht mehr vorstellen. Längst hat sich das zehntägige Wiener Happening des fantastischen Films nicht nur zu einer fixen Anlaufstelle für Freaks, Geeks und Horrorfans entwickelt. Auch Cineasten, die schlicht an der Zukunft des innovativen, provokativen und physisch aufrüttelnden Genrekinos interessiert sind, finden im September im charmanten Ambiente des Filmcasinos ihr Zuhause.

/slash Festival - 17. bis zum 27. September

Vom 17. bis zum 27. September findet das /slash Festival heuer statt. Der Eröffnungsfilm "The Invitation" wird im Gartenbaukino gezeigt, dann steht wie immer das Wiener Filmcasino im Zeichen des ambitionierten Grauens.

Letzteres liegt natürlich an der exquisiten Programmierung von Kurator und FM4-Kollegen Markus Keuschnigg, der Fanboy- & Girl-Obsessionen ebenso berücksichtigt wie er ein zentrales Augenmerk auf Filme legt, die sich den etablierten Schubladen von Kommerz und Kunst, Unterhaltung und Underground rebellisch entziehen. Regelmäßige /slash-Besucher wurden schon früh mit widerständigen Meisterwerken wie "Under The Skin" konfrontiert, der es erst lange nach der Festivalpremiere und nur mit Schwierigkeiten auf eine reguläre Kinoleinwand schaffte. Auch der wohl aufregendste Gänsehautfilm des Vorjahres, "It Follows", wurde vorab im Filmcasino von der /slash Crew präsentiert und läuft erst Anfang Oktober bei uns an.

It Follows

Northern Lights Films

It Follows

Fast schon traditionellerweise trifft sich deswegen unser Trio Infernal, bestehend aus den Filmjournalisten Sebastian Selig, Christoph Prenner und meiner Wenigkeit, Anfang September vor dem virtuellen Kamin, um dem /slash Festival gemeinsam entgegenzufiebern. Urlaube und Überarbeitung durchkreuzten diesmal leider unsere Plauder-Pläne.

Nichtsdestotrotz fragte ich Sebastian und Christoph nach ihren glühendsten Filmempfehlungen, die hier nun versammelt sind, vermischt mit Streifen, die ich für meinen Teil gar nicht erwarten kann. Bitteschön, hier also unsere kleinen Vorfreude-Festspiele, zwischen Blut und Beuschel, Superhelden und Subversion, Zombie-Girlfriends und He-Männern.

SEBASTIAN SELIG lebt im Kino und schreibt darüber in so bunten Magazinen, wie Hard Sensations, NEGATIV und der DEADLINE. In den wunderschön holzvertäfelten Hallen des Filmcasino in Wien, hat er während des slashfilmfests schon mehr als einmal sein Glück gefunden.

Ein Bilderfest: "The Taking of Tiger Mountain" 3D (Tsui Hark, CN 2014)

Sebastian Selig: Es gibt da so einen Technicolor-leuchtenden, in dieser Form nur im Kino zu findenden, nachts wunderschön in ultra-tiefes Blau gebetteten Schnee, an dem ich mich gar nicht satt sehen kann. Der großartige Kommando-Reißer "Where Eagles Dare - Agenten sterben einsam" mit Clint Eastwood und Richard Burton ist voll davon und Tsui Harks neustes Mammutwerk "The Taking of Tiger Mountain" ist es auch. Völlig auf die Spitze getrieben. Schnee, dick und pappig, ausufernd prachtvoll, dass er (umso mehr in 3D) beinahe die Leinwand zum Einsturz bringt. Hier wie dort eingebettet in einen Kriegsplot, bei dem überzeichnet böse Finsterlinge in einer uneinnehmbaren Festung sitzen und kaum weniger überzeichnet tapfere Helden genau dieses "uneinnehmbar" dann ins Wanken bringen.

The Taking of Tiger Mountain

/slash Filmfestival

The Taking of Tiger Mountain

Ein Propaganda-Film. So bunt, naiv und aus allen Nähten platzend, wie eine chinesische Militärparade. Nur das durch diese gigantische Schneetiger streifen, Augäpfel verspeisende Greifvögel über allem kreisen und wenn gekämpft wird (und es wird viel gekämpft), man beinahe seinen Augen nicht traut, mit welcher Wucht und Hemmungslosigkeit. Statt "Peking Opera Blues" eine Hymne. Unbekümmert rausgeschmettert, pathetisch bis zum Anschlag. Ein gigantisches Bilderfest. In 3D auf der großen Leinwand des slashfilmfestivals. Schön.

Pop-Postapokalypse: "Turbo Kid" (François Simard, Anouk Whissell, Yoann-Karl Whissell, NZ/CA 2014)

CHRISTOPH PRENNER schaut sich immer wieder mal gern Sachen im Kino oder Fernsehen an - und darf dann als Chefredakteur des ersten österreichischen Serienmagazins Prime Time oder als Filmchef von The Gap mit heißer Feder darüber berichten.

Christoph Prenner: Mit kühlem Kalkül auf das Rauskitzeln von Retro-Romantik ausgerichtetes Kulturschaffen kann so ziemlich das Nervtötendste sein, was es südlich von Dekaden-Kostümpartys gibt. Ironie schlimm wie noch nie, Augenzwinkern bis zum Nervenschaden. Es ehrt das Montrealer Regisseurskollektiv Roadkill Superstar, dass einem beim Schauen ihres Debüt-Langfilms metamüllige Schmunzel-Schmierenkomödien der Marke "Kung Fury" in keiner Sekunde in den Sinn kommen.

Dafür wird in ihrem "Turbo Kid" mit viel zu viel aufrichtiger Liebe die Zukunft der Vergangenheit zu neuem Leben erweckt, wenn da ein jugendlicher Held zum prachtvoll überschäumenden Synth-Score (den Namen Le Matos: unbedingt merken!) mit dem BMX durch eine "Mad Max"-Post-Apokalypse heizt. An der Hand oder wenigstens im Hinterkopf stets das schöne, aufgeregte Apfel-Mädchen, das ihm (wie auch uns Zuschauern) das Gemüt so herrlich hubbabubbafarben ausgeschmückt hat.

Turbo Kid

/slash Filmfestival

Turbo Kid

Was freilich nicht heißt, dass so ein Film, in dem Michael Ironside den bösen Kerl mit Augenklappe von der Rampe lässt, nicht auch ganz schön lustig sein kann und darf. Letztlich schlägt hier Hommage aber Persiflage, pumpert das Herzerl aus den edlen Gründen und nicht des Ärgers wegen. Ein Crowdpleaser mit Ansage, morgen früh wird dann gleich ein neues Superhelden-Kostüm geschneidert.

Tierische Liebe: "Roar" (Noel Marschall, USA 1981)

Christian Fuchs: Die Geschichte einer der albtraumhaftesten Produktionen in der Geschichte Hollywoods beginnt mit hemmungsloser Zuneigung zu pelzigen Tieren. Der Produzent und Regisseur Noel Marshall und seine Frau Tippi Hedren (genau, die Hauptdarstellerin aus Hitchcocks "The Birds") wollten nach einer Afrikareise den ultimativen Wildkatzen-Film drehen. Ein Manifest für Löwen und Tiger sollte es werden. Sechs Jahre lang lebten Marshall, Hedren und ihre damals kleine Tochter Melanie Griffith dafür in ihrem Haus in Beverly Hills mit kleinen Löwen zusammen. In einem Naturreservat in der Nähe von Los Angeles begann dann eine Dekade nach der ersten Idee der Dreh zu "Roar" mit dem selbst gezüchteten Zoo. Und wuchs sich schnell zum Desaster aus.

Roar

/slash Filmfestival

Roar

Cast und Crew erlitten unzählige Verletzungen, über siebzig blutigen Attacken wurden dokumentiert. Obwohl niemand starb, gab es unzählige brenzlige Situationen. Kameramann Jan De Bont wurde von einem Löwen skalpiert. Kopfwunden, Brüche, Wundbrände waren an der Tagesordnung. Der amerikanische Verleih Drafthouse entdeckte den "Fieber-Traum eines Disney-Films", der seinerzeit auch an den Kinokassen brutal abstürzte, für ein neues Publikum. Der finale Cut entpuppt sich als der bizarrste Tierthriller, der je zu sehen war. Slapstick-Humor und Niedlichkeit treffen auf das Gefühl permanenter Todesgefahr und konstanter Angst. Danke /slash für diese bizarre Ausgrabung.

Wenn in der Hölle kein Platz mehr ist: "Baskin" (Can Evrenol, 2015)

Sebastian Selig: Ist das die Hölle? Erwartet einen das, kaum hat man den von tausenden Kröten und Fröschen umsäumten Weg mitten in der Nacht passiert und das schwere, knarrende Tor aufgeschlagen, welches sich, wie man hier erfährt, in der tiefsten und dunkelsten Türkei befindet.

Eine Gruppe Polizisten taumelt durch diesen furiosen Lovecraftschen Alptraum. Sie wird in diesem keine Gefangenen nehmenden, fortwährend an den Nerven zerrenden Film mit dem „Father“ allen Schreckens konfrontiert. Ein Regiedebüt, mit dem sich Can Evrenol mit einem Schlag als neuer, dunkler Stern am Horrorfilm-Firmament etabliert.

Baskin

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Ein wirklich ungebremst alles wegsprengendes Werk. Ein Horror-Trip wie nur wenige. Man glaubt es kaum, aber zwei der Hauptdarsteller, Ergun Kuyucu und Mehmet Cerrahoglu, haben "Baskin" überlebt und werden zum Beweis höchst selbst anwesend sein, wenn der Film auf dem slashfilmfest nun bald auch Wien erschüttert.

Spuk und Splatter: "We Are Still Here" (Ted Geoghegan, USA 2015)

Christoph Prenner: Und wieder ein Spukhausfilm. In Zeiten, in denen einem im Monatstakt entsprechende Dutzendschaudergeschichten aus der Blumhouse-Schockfabrik entgegengegeistert kommen und kaum noch mehr als ein müdes Gähnen entlocken, kann der vom Produktions- ins Regiefach abgebogene Ted Geoghegan in "We Are Still Here" dem Standardsujet doch einige akzentuierte Ausreißer abringen. Ti Wests Durchbruchsfilm "The House of The Devil" nicht unähnlich, tastet sich dieser Haunted-House-Horror zunächst betont klassizistisch und feinnervig an etablierten Genre-Topoi ab, bloß um einem dann recht rapide an Herschell Gordon Lewis gemahnende Splatterschandtaten ins Auge zu hämmern, mitunter wortwörtlich.

We Are Still Here

/slash Filmfestival

We Are Still Here

Vom Pulsschlag erinnert das dann (vom Regisseur auch eingestanden) gern mal an Signore Fulci und Mr. Lovecraft - zu zweiterem tut sich dann über "Re-Animator" ja auch eine Verbindung zur großen Barbara Crampton in der Hauptrolle auf. Dass die Untoten hier tatsächlich echt mal wie aus dem tiefsten lavalodernden Erdinneren entstiegen ausschauen, soll übrigens ebenfalls kein Fehler sein.

Körperkino-Kriege: "Fires On The Plain" (Shinya Tsukamoto, Japan )

Christian Fuchs: Seit seinem Low-Budget-Schwarzweiß-Streifen "Tetsuo" anno 1989 fasziniert und verstört Shinya Tsukamoto mit Filmen, die zwischen Punkattitude und Poesie, Schrecken und Schönheit pendeln. Was das umfangreiche und höchst diverse Werk des japanischen Regisseurs, Autors und Darstellers eint, ist ein radikaler Blick auf den menschlichen Körper. Mit der Adaption eines Romanklassikers von Shohei Ooka nähert sich Tsukamoto nun einem der schwierigsten und missverständlichsten Themenkreise des Kinos: Dem Krieg.

Fires On The Plain

/slash Filmfestival

Fires On The Plain

Ich habe bislang nur über "Fires On The Plain" gelesen, kann es aber nicht erwarten, in das Pandämonium dieses Films einzutauchen, in dem Tsukamoto selbst als an Tuberkulose erkrankter Soldat des Zweiten Weltkriegs durch eine Dschungelhölle taumelt. Denn nie ist in den Arbeiten des Japaners die Gewalt, die Verwundung, die physische Entäußerung zum Selbstzweck eingesetzt. Shinya Tsukamoto, den ich selbst einmal als hypersensiblen, verträumten Intellektuellen kennenlernen durfte, geht es um ein Theater der Grausamkeit, in dem die Konfrontation mit Extremzuständen stets nach Katharsis strebt.

Sex mit der toten Ex: "Nina Forever" (Ben & Chris Blaine, GB 2015)

Christoph Prenner: An der sonst ja eher selten frequentierten Weggabelung von "Sex mit der Ex" und "Liebe bis in den Tod" haben die Blaine-Brüder Ben und Chris den thematischen Aufhänger dieses ihres Regieeinstands aufgelesen. Sie sezieren darin eine besonders delikate Menage à trois (obwohl: gibt’s derer denn überhaupt undelikate?): jener zwischen einem noch recht frisch verliebten Paar und des Typen an sich verstorbener, besonders in der Kiste aber unvermittelt quicklebendiger Ex - was dann erwartbar eine riesige Sauerei hinterlässt, freilich nicht nur auf der feinen Bettwäsch.

Nina Forever

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Nina Forever

Die beiden letztjährigen horrorkomödiantischen Annäherungen an die Zombie-Girlfriend-Thematik, "Burying The Ex" und "Life After Beth", weiß "Nina Forever" durch seinen kohlschwarzen britischen Humor, smarte Romantik-Dekonstruktion und erhöhte Mengen an Sex und Blut jedenfalls souverän auszustechen. Und Fiona O’Shaughnessy, der kühnen Königin im TV-Lande Utopia, schaut man ja obendrein immer besonders gerne zu.

Irrlichternde 80er-Träume: "Masters of the Universe" (Gary Goddard, USA 1987)

Sebastian Selig: By the power of Grayskull, das ist unfassbarste, um einen Dildo-förmigen Synthesizer herum kreisende Ultrakunst. Pop-Art. Einer dieser, mitten in den Achtzigern knisternd ins Bild kopierten Elektro-Blitze, der dir vom Herz bis runter in die Zehenspitzen fährt. Ein nach Kokosnuss-Öl duftender Ausritt in die Kindheit. Eine Alien-Invasion in der Auslage eines Musikinstrumente-Geschäfts. Dabei gar nicht unbedingt so nah dran, an den reinen Zeichentrick-Träumen, der mit einer Schale Fruit-Loops auf den Knien mit offenem Mund genossenen Vorlage, sondern nun ganz "real", als "Motion Picture" noch einmal eine ganz neue Disco.

Masters of the Universe

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Masters of the Universe

"Masters of the Universe": Ein Schlüsselwerk im Cannon Films-Universum. Dolph Lundgren ist He-Man. Frank Langella ist Skeletor. Wir sind glücklich. Auch weil das /slashfilmfest diese unfassbare Kino-Wiederaufführung mit von Kindsköpfen, wie dem Tanz-Baby!-Sänger David Kleinl live nachgesprochenen Kinderhörspielkassetten, begleiten wird. Vorfreude Deluxe.