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Simon Welebil

Abenteuer im Kopf, drinnen, draußen und im Netz

5. 9. 2015 - 12:22

Ars Electronica 2015: Bis einem die Augen aufgehen

Wohl nirgends gehen Kunst und Wissenschaft so schön ineinander über wie bei der Cyberarts-Ausstellung. Eine Auswahl der schönsten Arbeiten.

BesucherInnen der Ars Electronica kennen die Wow-Momente des Festivals: Wenn ein übergroßer Roboter sich zu bewegen beginnt, man in futuristische Gefährte klettern kann oder wenn rundherum alles kracht und rattert. Auf der Cyberarts-Ausstellung der Ars hingegen läuft alles ein wenig subtiler ab, es braucht oft eine Zeit lang bis man Konzept oder Funktionsweise einer Arbeit erfasst, die Freude kickt etwas langsamer rein.

Gleich im ersten Raum der Ausstellung etwa steht ein Tisch mit einer Handvoll Zimmerpflanzen, wie wir sie aus vielen Wohnungen kennen: Veilchen, Nelken oder Schlauchpflanzen. Doch irgendetwas stört. Es sind kleine Plastikteilchen, die den Pflanzen ein- oder aufgesetzt wurden. Sex Toys, erklärt die Hinweistafel.

Plant Sex Consultancy

Sexuelle Reproduktion sei einer der gemeinsamen Nenner von Mensch und Pflanze, mit dem Zweck, sich zu vermehren und die Spezies zu diversifizieren, erzählt Špela Petrič, eine der KünstlerInnen des Kollektivs The Plant Sex Consultancy. Und wie wir Menschen hätten auch manche Pflanzen inzwischen Probleme bei ihrer sexuellen Fortpflanzung, wie sie bei ihren Recherchen herausgefunden hätten. Dem wollten die KünstlerInnen mit Design begegnen.

Wie beim menschenzentrierten Design haben sich die KünstlerInnen zuerst gefragt: Was brauchen diese Pflanzen? In "Interviews" mit den Pflanzen haben sie versucht, deren Bedürfnisse zu ergründen. Im konkreten Fall heißt das, wissenschaftliche Fachliteratur und Gärtnereihandbücher heranzuziehen, um mehr über ihre Wünsche, Probleme und Beziehungen zu ihren Bestäubern herauszufinden. Mit diesem Wissen wurden dann die Sex-Toys für die Pflanzen designt.

Das Zimmer-Alpenveilchen etwa hat sich für seine Reproduktion in Abhängigkeit eines speziellen Bestäubers, einer Bienenart, begeben. Nur wenn diese spezielle Biene auf ihr gelandet ist und an ihr mit einer ganz bestimmten Frequenz gerüttelt hat, hat sie ihren Pollensack geöffnet und die Pollen freigegeben. Das Problem: Diese Bienenart ist ausgestorben, und jetzt funktioniert die Reproduktion der Pflanze weit weniger effizent.

Die Lösung dieses Problems sehen The Plant Sex Consultancy in einem angeklippten Vibrator für die Blüten, der bei jedem landenden Insekt die Planze in der richtigen Frequenz rüttelt und so den Pollen ausstreuen lässt.

Die fleischfressende Sarracenia purpurea wiederum (Rote Schlauchplanze) produziert mehr Pollen und Samen, wenn sie satt ist. Doch die Bestäuber, die sie für ihre Vermehrung braucht, sind gleichzeitig ihr Essen. Ein Dilemma. Die Lösung: Ein "Dildo", der die Pflanze einerseits mit einer Algenlösung ernährt, andererseits Insekten vor dem Sturz in den Schlauch schützt. Ein "Cockring" auf der Blume, gefüllt mit Blut, soll wiederum Moskitos und andere Insekten als Bestäuber anziehen.

Alle Vorschläge sind wissenschaftsbasiert und mit einem Designanspruch, der an jenen des Menschen erinnert. Und die Plastikteilchen sind Repräsentationen von Konzepten, um das Sexleben von bestimmten Pflanzen zu verbessern. Dadurch, dass sie versucht haben, ihre Designlösungen auch optisch an Sexspielzeuge für Menschen anzugleichen, nutzen sie die Absurdidät, aber auch den Humor, um an der grundlegenden Unterscheidung von Mensch und Pflanze zu rütteln. Beide hätten wir unsere ganz speziellen Bedürfnisse. Auch beim Sex.

Unheimliche Begegnungen

Ausgehend von einem einzelnen Haar, das ihr zufällig einmal irgendwo aufgefallen ist, hat sich die US-Künstlerin Heather Dewey-Hagborg Gedanken darüber gemacht, wo wir denn sonst noch ohne unser Wissen DNA-Spuren hinterlassen, und was für Konsequenzen das in der Theorie mit sich bringen könnte. Für ihr Projekt "Stranger Visions" etwa, hat Heather Dewey-Hagborg im öffentlichen Raum nach menschlichen Hinterlassenschaften gesucht, etwa Tschickstummel, sie aufgesammelt, den Fundort dokumentiert und von einem Labor die vorhandene DNA extrahieren lassen.

Box mit einer Zigarette, deren Fundort und DNA Angaben

Simon Welebil

Mit bestimmten Informationen aus dieser DNA füttert sie wiederum ein Computerprogramm, das aus den Parametern für das Aussehen ein 3D-Modell eines Gesichts herstellt. Ausgedruckt und in Farbe hängen diese Modelle nun in der Ausstellung. Gruselig, was mit steigender Zugänglichkeit und fallenden Kosten der Biotechnologie mit so wenig Spucke angestellt werden kann.

3D-Maske eines Gesichts

Simon Welebil

Plantas autofotosinteticas

Die Arbeit "Plantas autofotosinteticas" des mexikanischen Künsters Gilberto Esparza ist dieses Jahr in bei der Ars Electronica in der Kategorie "Hybrid Art" mit dem Hauptpreis des Festivals, der Goldenen Nica, ausgezeichnet worden. Gilberto Esparza hat sich mehrere Jahre schon damit beschäftigt, Verschmutzung wieder in etwas Anderes, Sinnvolles, zu verwandeln, da wir ja alle in einer symbiotischen Beziehung mit der Natur leben.

Seine Arbeit "Plantas Autofotosinteticas" geht dahin, sich die Stadt als einen symbiotischen Organismus vorzustellen, der seine eigenen Abfälle nutzen kann, um Energie zu erzeugen, das Wasser wiederaufzubereiten und weniger davon zu verbrauchen. Für ihn stellt die Arbeit ein Experiment dar und soll eine Apparatur der Reflexion und der Sensibilisierung sein.

Die Installation besteht aus zwölf Modulen, die mikrobielle Brennstoffzellen enthalten, quasi biologische Batterien, die sich aus Abwässern der Stadt ernähren und dieses in sauberes Wasser und Energie verwandeln. Die Energie, die die Module erzeugen, wird zu Blitzen, mit denen eine Pflanze im Zentrum der Installation, in einem Nukleus, Photosynthese betreiben kann. So nähren das saubere Wasser und die Energie den Kern, indem ein Ökosystem frei von Verschmutzung gedeiht, an einem komplett dunklen Ort, wo Pflanzen normalerweise nicht existieren können.

Die ganze Installation wirkt sehr technisch, sehr abstrakt, weshalb Gilberto Esparza versucht, sie für das Publikum fühl- und wahrnehmbarer zu machen. Er sucht "Übersetzungen" der Vorgänge in und zwischen den Modulen, durch Geräusche, durch Monitore, die das ganze überwachen und Videos, die den Kontext erklären. Das soll dem Publikum helfen zu verstehen und aufzudecken, wie sich die Teile verhalten und wie sie in Beziehung miteinander treten.

Gilberto Esparza hat diese Arbeit schon in mehreren Städten gemacht, wo sie natürlich anders wahrgenommen wird. In Lima etwa bewegt sie viel emotionaler, weil die Wasserverschmutzung dort großes Thema ist und viele Menschen direkt betrifft. Flüsse und Kanäle transportieren das verschmutzte Wasser offen ab und sind Infektionsherde für die Bevölkerung. In Linz hätte man das Abwasserproblem schon vor Jahren gelöst, sodass es eher um ein Verständnis von Prozessen geht, die sonst im Verborgenen ablaufen.

Sich Einlassen auf die Arbeiten

Nicht alle Arbeiten in der Cyberarts-Ausstellung sind auf den ersten Blick gleich gut nachzuvollziehen. Interessant sind sie alle. Die Ausstellung ist nach dem Festival noch bis Sonntag, den 13. September, geöffnet.