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Alexandra Augustin

West Coast, wahnwitzige Künste und berauschende Erlebnisse. Steht mit der FM4 Morningshow auf.

4. 9. 2015 - 15:42

Ars Electronica 2015: "Post City"

Erste Eindrücke aus Linz: Die Ars war selten zuvor derart am Puls der Zeit. Die Flüchtlingsthematik steht an erster Stelle.

Fehlende Innovation kann man dem Medienfestival nicht vorwerfen. Doch manchmal, so muss man es natürlich auch einmal sagen, schwebt die Ars Electronica in einer sehr angenehmen Blase. Großartige Roboter, interessante Erfindungen aus diversen Forschungslabors. Ein Statement zur aktuellen Weltpolitik ist in den letzten Jahren zwar schon, aber eher mehr am Rande passiert. Nicht so in diesem Jahr. Zentrales Thema: Wie muss die Stadt der Zukunft aussehen? Eine Stadt, die durch die Migrationsbewegungen des 21. Jahrhunderts und durch ökonomische und gesellschaftliche Umbrüche geprägt sein wird? "Post City" lautet das Motto der Schau, die im ehemaligen Postverteilzentrum gleich neben dem Hauptbahnhof stattfindet. Vergangenen Herbst wurde es geschlossen. Seitdem liegt das 80.000-Quadratmeter-Areal brach.

Das alte Postverteilerzentrum in Linz

Alexandra Augustin/ FM4

Rutschen! Das alte Postverteilerzentrum in Linz

Flüchtlinge. Und was das mit der Ars Electronica zu tun hat.

Das FM4 ReporterInnenteam sitzt beisammen in einem provisorischen "Reporterkammerl" in der Halle. Statt zu arbeiten schauen wir uns fasslungslos die Bilder der aktuellen ZIB an: Ein Bericht über die Situation der Flüchtlinge in Budapest. Überfüllte Züge, eine Frau, die mit ihrem Baby im Arm am Bahnsteig umgerissen wird. Gerade eben sind wir selbst noch aus dem Zug von Wien nach Linz ausgestiegen. Im Zug haben wir Flüchtlinge getroffen, die auf dem Weg nach Salzburg waren.

Auf der Ars Electronica werden eigene Führungen für Flüchtlinge angeboten. Am Samstag und Sonntag gibt es "Community Parcours", also gratis Führungen in der Post City auf der Ars Electronica - und zwar gleich in zehn verschiedenen Sprachen. Wer sich dafür interessiert: Hier entlang.

FM4-Reportage - Community Parcours auf der Ars Electronica
Let The Children Play Foto

Lukas Hüller/ Hannes Seebacher/ Kilian Kleinschmidt/ Robert Pöcksteiner

Ars Electronica: "Beyond Survival - Let the Children Play"

Status: Quo Vadis?

Das Thema "Flucht" ist Teil der Ars Electronica, denn sie ist Teil unserer Realität. Viel zu lange konnten einige diese Thematik verdrängen. Flüchtlinge werden an den Rand der Gesellschaft - und der Städte - in "Auffanglager" gedrängt. Die Lagerstadt Zaatari in Jordanien wurde 2012 aus dem Nichts in der Wüste aus dem Boden gestampft. Heute leben dort unfassbare 83000 Menschen. Das zweitgrößte Flüchtlingscamp der Welt.

Im Inneren des ehemaligen Postverteilerzentrums steht ein begehbares UNHCR-Flüchtlingszelt, Teil des Fotoprojekts "Beyond Survival - Let the Children Play", das Bilder von Zaatari zeigt. Schon am Weg ins Postverteilerzentrum - in die "Post City" - wird man mit einer anderen Fotoarbeit konfroniert. Man geht einen langen Absperrzaun entlang. Auf ihm wurden Fotografien des Alfred Fried Photography Award gehängt.

Man sieht Porträts von Flüchtlingen und zerbombten Städten. Man kann nämlich nicht über eine Stadt der Zukunft philosophieren, ohne genau hinzusehen, was sich aktuell auf unserem Erdball abspielt.

Eine "Stadt" ist kein statisches Konstrukt, falls sie das überhaupt jemals war. Städte wachsen, schrumpfen oder verschwinden gar ganz.

Die Ars Electronica bietet zwar keine Lösungsvorschläge, aber Input für die richtigen Fragestellungen, etwa beim Projekt "After The Desaster": Das Erdbeben in Nepal im Frühjahr war eine Katastrophe für die kleine Nation. Doch bietet die Tragödie auch die Chance, neue Dörfer nachhaltig wieder aufzubauen. Ein Ökodorf in Nepal, wieso auch nicht. Schöne Idee.

Wir bauen eine neue Stadt.

Das Herzstück der Post City sind die langen, gigantischen Paketrutschen im Innerern, die vom Keller bis zur Decke reichen. Jahrzehntelang sind hier Pakete hinunter gekullert. Man möchte selber runter rutschen! Die Akkustik ist durch die vielen gewundenden Metallrutschen einzigartig.

Dieser Raum wird von den Künstlern Peter Androsch und Anatol Bogendorfer bespielt, und zwar mit ihrer Soundperformance "Diaspora Maschine" - ebenfalls ein künstlerisches Statement zur Fluchtthematik.

ARS15 - The Diaspora Machine
Peter Androsch + Anatol Bogendorfer

Alexandra Augustin/ FM4

Diaspora Maschine: Anatol Bogendorfer & Peter Androsch

Die Geschichte der zukünftigen Stadt wird eine Erzählung über Zuwanderung und dem Umgang mit dem Fremden sein. Menschen auf der Flucht vor dem Elend wandern und bilden ein großes Netz der Diaspora über den Globus und durchwachsen wie ein Myzel neue Orte und Kulturen.

Bei ihrer "Diaspora Maschine" handelt es sich um keine Maschine im eigentlichen Sinne, sondern um eine Soundinstallation vor Ort, die mit Hilfe der alten Apparaturen im stillgelegten Postverteilerzentrum entsteht. Rund 100 MusikerInnen sind dabei. Sie verstecken sich hinter den Rutschen, wandeln musizierend auf Metallbrücken entlang. Steine prasseln durch die Metallrutschen hinunter, was einem Donnergrollen gleicht. Dazu wird das blaue Metall mit Drumsticks behauen. Kinderchöre und orchestrale Klänge bringen den Raum zum Schwingen. Und auch sehr gute Zitate hört man:

Gibst du mir Wasser, dann rühr ich den Kalk. Wir bauen eine neue Stadt. Palais Schaumburg, Wir bauen eine neue Stadt - singt der Kinderchor.

Maschin.

In der Stadt der Zukunft werden wir uns anders fortbewegen als heute. Nämlich auf Super-Fahrrädern, die Schlaglöcher erkennen, wie das MoDe-E-Bike. Es hat Sensoren eingebaut und warnt mittels Vibration vor Unebenheiten. Außerdem sprüht das Bike neonfarbenen Spray auf den Boden, um nachkommende Verkehrsteilnehmer zu warnen. Genial.

Oder der Halluc II: Er ist Roboter und Fahrzeug in einem und sieht irgendwie wie ein futuristisches Skateboard aus, nur dieses Skateboard hat 56 Motoren eingebaut, acht Rollen und acht Beine. Halluc II kann sich dem Untergrund anpassen und ermöglicht Fortbewegung auf holprigen Terrain.

Mit einem anderen Riesenroboter kann man bequem vom Hochsitz aus durch die Ars Electronica stapfen.

Auch schön - wenn auch nicht ganz neu - ist das Fahrrad, das wie ein Ferrari aussieht: Fahrradi FXX Farfalla von Hannes Langeder aus Linz.

Optisch ist es von einem Auto kaum zu unterscheiden, unter dem roten Kleid steckt allerdings "nur" ein Fahrrad. Die Bezeichnung "Tretauto" wäre allerdings eine Beleidigung für das Vehikel, auch wenn es hier wohl mehr um den Showeffekt als um die Funktion geht, denn das Fahrrad ist sehr langsam. Selbst Fußgänger sind schneller. Volle Absicht: Entschleunigung ist das Motto der Zukunft. Aber: Über ein Umlenkgetriebe an der Hinterachse werden die beiden Flügeltüren des "Autos" während der Fahrt in Bewegung gesetzt. Dies soll den Flügelschlag eines Schmetterlings simulieren und (in ferner Zukunft) das Auto wie K.I.T.T. zum fliegen bringen.

Auch das erste Elektromotorrad, das J1 Electric Motorcycle von Johammer aus Österreich gibt es nun zu testen: Das J1 Electric Motorcycle ist ein futuristischer Seriencruiser und das erste Serienmotorrad mit einer Reichweite von 200 km, die durch einen großen Entwicklungssprung der Battiere möglich geworden ist. Der Motor sitzt im Rückrad!

I am Not There.

In Zukunft werden wir an vielen Orten gleichzeitig sein können - und müssen. Das können wir natürlich auch heute irgendwie schon tun: Skypekonferenzen und -Sitzungen, Facebookchats und Instagram erlauben uns viele Leben gleichzeitig führen zu können und erweitern unsere Real-Life-Persona.

Das Projekt iPresence LLC von Knowledge Capital - einem Wissenschaftszentrum in Osaka - geht noch einen Schritt weiter: An zwei Orten gleichzeitig sein ist nun möglich! In der Arbeit sitzen, aber auch am Strand liegen. Dank Avatar auf Rollen kein Problem!

Auf einem Stab befindet sich ein kleiner Bildschirm, den man mit einer Fernbedienung mit Kamera drauf steuern kann. So kann man auf weite Distanz irgendwo auf der Welt, wo ebenso ein Gerät herumsteht, "spazieren gehen". Ein bisschen ist das wie mit einem ferngesteuerten Auto fahren, nur auf sehr große Distanz. In Osaka findet gerade ebenso ein Festival im Knowledge Capital statt. Ein Besucher kann von dort aus seinem Avatar auf Rollen durch die Ars Electronica schieben, einer ist von Linz aus in Japan steuerbar. Kann man ausprobieren. Lustig!

Wollt ihr die totale Überwachung?

Mit fernsteuerbaren Avataren lässt sich natürlich viel Humbug treiben. Auch das Thema "Überwachung" und wie man sich davor schützen kann sind Themen, die in Symposien und in der Ausstellung beleuchtet werden. Eine kleine Roboterdrone wischt selbstständig über Touchscreens (menschliche Finger sind in Zukunft überbewertet) und die Firma "Candygram" sagt, sie wissen alles über dich und mich.

"Du wirst überrascht sein, was wir alles über dich wissen! Wir wissen mehr über dich, als du selber über dich weißt!"

Candygram

Alexandra Augustin/ FM4

Zwei von der "Firma Candygram": Wissen alles über dich!

Man nennt seinen Namen und nimmt an einer "Sitzung" unter vier Augen teil. Dann präsentiert einem die Firma alle Daten, die zur eigenen Person frei zugänglich im Netz und der sonstigen Welt herumschwirren. Was hast du gestern eingekauft? Wen hast du letzte Woche besucht? Welche Krankheiten im letzten Jahr gehabt und welche Medikamente hast du benötigt? Jedes Detail deines digitalen Fingerprints ist im Netz gespeichert, das meiste freier zugänglich, als dir lieb ist. Angst. Später mehr, das schauen wir uns noch genauer an!