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Katharina Seidler

Raschelnde Buchseiten und ratternde Beats, von Glitzerkugeln und Laserlichtern: Geschichten aus der Discommunity.

6. 9. 2015 - 15:57

Muss sich denn Liebe immer lohnen?

Körperflüssigkeiten und Poesiealbumzeilen für Mädchen von heute: "Satt", das Debütalbum des Hamburger Duos Schnipo Schranke. Berufswunsch: Irgendwas mit Fame.

Schnipo Schranke live

  • 07.11.15 Ahoi! Pop 2015, Posthof, Linz
  • 08.11.15 B72, Wien
  • 11.11.15 PMK Boegen, Innsbruck
  • 12.11.15 Cinezone, Krems
  • 13.11.15 Carini Saal, Lustenau
  • 14.11.15 Kino, Ebensee (mit Clara Luzia)
  • 22.04.16 Wien, Stadthalle (mit Wanda)

Furzen und fluchen, über Intimhygiene sprechen, Sexfantasien und Schambehaarung haben, "ficken" sagen und ficken: Dass all das auch Frauen machen, haben wir nicht erst von Charlotte Roche und Lena Dunham gelernt. Dennoch sind derber Humor und Sprüche ohne Blatt vor einem Frauenmund erst in den letzten Jahren via etwa Dunhams Serie "Girls" oder durch den wachsenden Ruhm von Amy Schumer und Tina Fey auch im internationalen Mainstream angekommen.

Als das deutsche Musikerinnen-Duo Schnipo Schranke vergangenes Jahr mit dem wunderbaren Trennungssong und gleichzeitigem Oralsex-Denkmal "Pisse" aufs Parkett der deutschen Popmusik getreten ist, trieb es ein paar FeuilletonistInnen aber doch ein wenig Schamesröte ins Gesicht:

Hab meine Fürze angezündet,
ne Orgie verkündet
auf dem Platz der Republik
zu klassischer Musik.

Dein Handy mit den Arschbacken gehalten,
nur um dich zu unterhalten.
Dacht du findest so was komisch,
seitdem liebst du mich platonisch.

Schnipo Schranke

Jenny Schäfer

Darauf, zu feministischen Rolemodels stilisiert zu werden, haben die beiden Frankfurter Musikerinnen Friederike Ernst und Daniela Reis keine Lust, aber wenn Verklemmtheit und Verschlüsselung vermeintlich noch immer die deutschsprachige Popkultur regieren, buchstabieren sie eben doch alles aus, was ihrer Meinung nach gesagt gehört:

Auf Kunst scheißt man
nen Haufen.
Wir wollen nur verkaufen.
Lieblingsmaler: meine Tage.
Lieblingsband: nächste Frage!

Inhaltlich wie musikalisch geht das alles in eine sehr eindeutige Richtung. Schnipo-Schranke-Songs funktionieren nach ähnlichen Prinzipien zwischen Lo-Fi-Beat, Piano und Gesang und kombinieren Elemente aus Cabaret-Punk mit scheinbar naivem Schlager-Pop. Ted Gaier of Goldene Zitronen-Fame hat den Songs der beiden Neo-Hamburgerinnen im Studio zu etwas vollerem Sound verholfen; auch "Pisse" ist auf "Satt", dem Debütalbum von Schnipo Schranke, in einer etwas aufgemotzten Version enthalten.

Schnipo Schranke

Jenny Schäfer

"Satt" ist, trotz und auch wegen und als Folge des Einsatzes diverser Körperflüssigkeiten, eine Platte über die Liebe. Sie geht meistens – die Vorabsingles haben es bereits angedeutet – nicht gut aus. "Ich bin dein Girl und du bist mein Gebieter", und am Ende hat der One-Night-Stand die Ich-Erzählerin im Schrank vergessen.

Alles ironisch oder gar nichts davon, vor allem geht es Schnipo Schranke darum, nach Lust und Laune frei heraussingen zu dürfen. Der Schmäh, die Wortspiele zwischen "Komm in meine Arme, komm in meinen Mund", der Songaufbau mit nur kleinen Stolpersteinen gehen über lange Zeit gut, für Stilbrüche oder Hakenschlagen ist im Lauf des Albums allerdings kaum Platz.

Cover Schnipo Schranke Satt

Buback Indigo Finetunes

"Satt" von Schnipo Schranke ist bei Buback / Indigo / Finetunes erschienen.

Auf Albumlänge erschöpfen sich die Ideen des unbeschwerten, wenn auch ungewollten Unterhaltungs-Feminismus von Schnipo Schranke leider zusehends. Wie als letztes aufbäumendes Augenzwinkern verabschiedet der letzte Song ein Tampon, das im Abwasserkanal davonschwimmt. Am besten ist das Debütalbum von Schnipo Schranke, wenn zwischen all den Schlager-Schmähs der Ernst durchblitzt, wenn Liebe zu Sehnsucht oder gar Verzweiflung wird und die Versprechungen des Erwachsenwerdens, des "Lebens nach dem Kindergarten" – sich wieder nicht eingelöst haben.

"Wir waren crazy, wir waren jung und alles, was wir wollten, war Entjungferung, doch jetzt bist du erwachsen und ich verstehe nicht wozu, ich kehr der Zukunft den Rücken zu."