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Simon Welebil

Abenteuer im Kopf, drinnen, draußen und im Netz

10. 9. 2015 - 10:41

Kollateralschäden einer Diktatur

Ilija Trojanow zeigt in seinem neuen Roman "Macht und Widerstand", was ein totalitäres System anrichtet.

Als ÖsterreicherInnen wissen wir, wie schwer es sein kann, die dunklen und dunkelsten Kapitel der Nationalgeschichte zu beleuchten. Allein über 40 Jahre hat es hierzulande gedauert, bis sich das offizielle Österreich zu einer Mitschuld am Zweiten Weltkrieg bekannt hat und die Aufarbeitung der Vergangenheit in Schwung gekommen ist. Dass andere Länder die ersten Schritte zur Aufarbeitung der eigenen Geschichte noch vor sich haben, sieht man im neuen Roman des in Wien lebenden Ilija Trojanow. Der gebürtige Bulgare schreibt in "Macht und Widerstand" über die Verbrechen des kommunistischen Regimes gegen die eigene Bevölkerung, für die niemand zur Verantwortung gezogen wurde.

Die Zukunft leuchtet stärker als die Vergangenheit

Ilija Trojanow

CC BY-SA 4.0 von commons.wikimedia.org/wiki/User:Harald_Krichel

Ilija Trojanow lässt seinen Roman und dessen Rahmenhandlung kurz vor der Jahrtausendwende beginnen. Die Regierung in Bulgarien strebt den Beitritt zu EU und NATO an. Das ganze Land schaut nach vorne, die beiden Protagonisten des Romans hingegen blicken zurück in die Vergangenheit, wenn auch aus komplett anderer Perspektive. Konstantin Scheitanow hat über zehn Jahre in Gefängnissen und Straflagern verbracht, nachdem er in den 1950ern eine Widerstandszelle gegründet und eine Statue von Josef Stalin in die Luft gesprengt hat. Nach seiner Entlassung ist er abgetaucht. Jetzt, in den 1990ern, sucht er in den Archiven der bulgarischen Staatssicherheit nach der Wahrheit über seine Überwachung, seine Verhaftung und seinen Prozess. Metodi Popow hingegen hat Karriere im Geheimdienst und in der Kommunistischen Partei gemacht. Seine Beschäftigung mit der Geschichte kommt unerwartet, über eine Frau, die behauptet, seine Tochter zu sein, gezeugt in einem der berüchtigten, stalinistischen Straflager.

Gegensätzliche Schicksale

Konstantin und Metodi haben viel gemeinsam. Sie sind in etwa gleich alt, geboren um 1930, stammen aus der selben bulgarischen Kleinstadt und sind sogar miteinander in die Schule gegangen. Doch dass sie an einer Kreuzung der Geschichte andere Abzweigungen genommen haben, wirkt sich bis in die Gegenwart aus. Während Konstantin die Akten über sein Leben nur tröpfchenweise und geschwärzt ausgehändigt bekommt, kann Metodi über die ganze Macht des Apparats verfügen. Konstantin versucht anzuklagen, aber ihm fehlen die Mittel dazu, Metodi dagegen hat - im Besitz des Informationsmonopols - überhaupt keine Probleme, seine Handlungen abzustreiten und zu banalisieren.

Vertraue niemandem!

Buchcover: Ilija Trojanow - "Macht und Widerstand"

S. Fischer Verlag

"Macht und Widerstand" ist dieses Jahr für den Deutschen Buchpreis nominiert und im S. Fischer Verlag erschienen.

Über Metodis und Konstantins Rückblicke zeichnet Ilija Trojanow die Ereignisse in Bulgariens jüngerer und jüngster Geschichte nach. Gleichzeitig zeigt Trojanow mit den zwei Extrembiografien, was ein totalitäres System mit Menschen macht: Wie Macht korrumpiert und welchen Preis Widerstand fordert. Metodi kann Schuld nicht erkennen, wenn sie auch noch so deutlich sichtbar ist. Er rechtfertigt seine Handlungen während des kommunistischen Regimes als Kampf gegen den Faschismus, Klassenkampf oder Dienstverpflichtungen und lebt gut von den Pfründen seiner Schuld. Konstantin hingegen wurde in den Mühlen des totalitären Systems zerrieben. Nachdem klar ist, dass er vor seiner Verhaftung verraten worden ist, kann er sein Leben lang niemandem mehr vertrauen, vermutet überall Denunzianten und verliert fast alle seine Freunde darüber. "Vertrauensverlust ist der Kollateralschaden des Verrats", meint Konstantin und dieser Vertrauensverlust umfasst die ganze bulgarische Gesellschaft, in der Tausende auf den Spitzellisten der Geheimdienste standen, ob aus Überzeugung, Opportunismus oder unter Druck.

Aufräumen

Es hätte einen großen Prozess gebraucht, um mit der Vergangenheit aufzuräumen, heißt es gegen Ende des Romans. Ohne Prozess keine Vergebung. Solch einen Prozess hat es bislang in Bulgarien nicht gegeben. Selbst 25 Jahre nach der Wende sitzen noch immer Politiker und mächtige Persönlichkeiten der kommunistischen Ära auf einflussreichen Posten, bestimmen die Geschicke des Landes, halten den Deckel auf die Geschichte und die Archive geschlossen. Vielleicht können starke Romane wie dieser von Ilija Trojanow - an dem er über 15 Jahre gearbeitet hat und den er als sein "Lebensbuch" bezeichnet - einen Anstoß zu solch einem Prozess geben.