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Martin Blumenau

Geschichten aus dem wirklichen Leben.

2. 9. 2015 - 15:00

The daily Blumenau. Wednesday Edition, 02-09-15.

Die Vertriebenen und das Erbe.

#refugeeswelcome #demokratiepolitik

The daily blumenau hat im Oktober 2013 die Journal-Reihe (die es davor auch 2003, '05, '07, 2009 und 2011 gab) abgelöst. Und bietet Einträge zu diesen Themenfeldern.

Der ewige Kampf um die Deutungshoheit. Heute: Flüchtlinge.

Eines kann Böhmermanns Neo Magazin Royale jenseits seiner letztlich doch nur reaktionären Jungs-Herrenwitz-Spielwiesenfunktion leisten: gesellschaftspolitisch um eine Ecke mehr zu denken als der an striktere Regulative gebundene (oder besser: sich selber sklavisch dran bindende) Mainstream-Journalismus.

Nur: genau deshalb gehen die oft radikalen Ansätze auch schneller verloren.

Wenn Dendemann davon rappt, dass wir uns doch endlich eingestehen sollten, dass das mit der Demokratie eben doch nur eine lange Beta-Phase war, dann haben das drei Viertel der User schon rein akustisch nicht verstanden. Und wenn Böhmermann vorschlägt, den Begriff des allzu fremden Flüchtlings durch einen zu ersetzen, den der deutsche "Wirdmanjanochsagendürfen"-Spießer aus der eigenen Geschichte heraus versteht, nämlich Heimatvertriebener, dann wird das nur als Gag rezipiert.

Ist es aber gar nicht. Kein Gag, nur die Wahrheit.
Lassen wir die Heimat weg, die dazu da ist, um die sudetendeutsche Lobby zu zwicken: Vertriebene sagt viel deutlicher, was Sache ist, als Flüchtlinge.

Flüchten ist ein aktiver Akt, vertrieben werden hingegen etwas, was einem passiert, ein Schicksalsschlag. Und das trifft den Punkt viel exakter.

Der Flüchtling, der Refugee, das ist derjenige, der Zuflucht sucht, seit jeher.
Die Begrifflichkeit wurde in einer Zeit definiert, in der primär aktive Flucht aus bestimmten politischen Systemen unterstützt werden sollte.
Ein destruktiver Krieg gegen die eigene Bevölkerung, wie ihn Assad betreibt, oder gar ein Jihad wie der des IS, waren da noch bei Weitem nicht mitgedacht.

Dementsprechend leichter ist es schon rein sprachlich, den Flüchtling in erster Linie als aktiv, also jemanden, der etwas will, wahrzunehmen, anstatt ihn primär als Ausgestoßenen zu betrachten, der die einfachsten Errungenschaften der Menschenwürde (Sicherheit, Schlafplatz, Grundversorgung) braucht und reflexartig bekommt.

Denn genau da hakt's ja schon, genau da setzt der Abwehr-Mechanismus jener ein, die den (aktiv flüchtenden) Fremden den Tod im Flammenwerfer oder die Selbstbepissung wünschen.

Nicht, dass bei denen eine andere Begrifflichkeit etwas ändern würde, aber die immer noch öffentlich schweigsame Mehrheit (denn immer noch sind sowohl die lautstarken Hassverbrecher als auch die Westbahnhof-Helferinnen eine Minderheit, eine jeweils durchaus laute, aber eine Minderheit) würde diesen Denkanstoß durchaus spüren.
Weil es einen Zustand logischer als bisher erklärt.

Und jetzt zum anderen unzureichend ausdefinierten Begriff...

Das ist in etwa genauso wie mit dem Erben.
Die große schweigsame Mehrheit jener, die nichts geerbt haben und nichts erben können (weil ihre Vorfahren nicht zum Adel/Geldadel gehören und sich auch nicht in der Zeit der Arisierung oder in anderen Glücksritter-Phasen gut eingebracht haben), kann die Nicht-Besteuerung der Erbschaft, die Menschen Vermögen bringt, ohne dass sie eine Sekunde etwas geleistet haben, nicht nachvollziehen.

Das Hochhalten der Erbschaft als wesentliche zivilisatorische Errungenschaft existiert ausschließlich in den Kreisen bereits Vermögender, die meist auch schon selber nichts erarbeitet haben und ihren Status weitergeben wollen. Weil das eine machtvolle Lobby ist, die die Politik in weiten Teilen ausfinanziert, unternimmt jene dann nichts. Gegen komplett leistungslose Bereicherung. Und das, obwohl es gerade die Konservativen sind, die der Bevölkerung ununterbrochen vom Leistungsgedanken erzählen und damit auch den knausrigsten Sozialleistungsabbau argumentieren.

Erben allein kann also nichts.
Ein Erbe zu verwalten, ohne selber Seele und Verve zu investieren, Risiko zu nehmen und sich dem Hier und Jetzt zu stellen, ist so unternehmerisch wie eine Meisterwette auf Bayern München.

Dass jene Kräfte, die Flüchtlinge nicht nur, aber auch wegen ihres aufgebauschten, angsteinflößenden Aktiv-Status am liebsten an die Orte, aus denen sie vertrieben wurden, zurückdeportieren möchten, sich dabei - ideologisch - gerne auf das Erbe und nichts als das Erbe berufen, fällt dabei wenig auf.

Dabei ist die Analogie schlüssig: Erben allein kann nichts. Und auch das Berufen auf den Status des Autochthonen ist nicht einmal ansatzweise abendfüllend.

Wer das Erbe der Väter (um diesen Schollen-Begriff im Kontext zu verwenden) nur verwaltet, nichts investiert, keine Seele hineinbringt und sich dem Hier und Jetzt verweigert, verschleudert es damit ganz automatisch. Ganz abgesehen davon, dass das "Wir-waren-zuerst-hier"-Gehabe immer nur auf eine lächerliche Zeitspanne und historische Fehlannahmen zurückgreift und nicht über zutiefst künstliche Folklore hinausgeht: das Bestemm auf Nicht-angekratzt-Werden von einer mittlerweile in jedem Detail interdependenten Welt ist eine der armseligsten, realitätsverweigerndsten Posen unserer Tage.

Das Erbe und seine Pflege jenseits jeglicher Erneuerungsanstrengung dient im politischen Diskurs ausschließlich als ideologischer Fetisch. Vielleicht sollte sich die "Neo Magazin Royale"-Redaktion auch einen Begriff überlegen, der den Stillstand und die Degeneration, die der Rückzug auf das "Erbe" automatisch nach sich zieht, verdeutlicht.