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Rainer Springenschmid

Punk & Politik, Fußball & Feuilleton: Don't believe the hype!

2. 9. 2015 - 17:00

"Anger Is An Energy"

John Lydon aka Johnny Rotten legt seine Autobiografie vor. Man muss nicht alles in "Anger Is An Energy" glauben - ein Spaß ist es trotzdem.

Mein Leben unzensiert – muss man das noch dazuschreiben? John Lydons Lästermaul ist ja quasi sein Markenzeichen und Lebenswerk – der Untertitel seiner Autobiografie kann das nur noch unterstreichen. Punk (oder zumindest die Punk-Geschichtsschreibung) hätte ohne Johnny Rottens legendär provokative Fernsehauftritte und die nicht minder provokativen Lyrics der Sex Pistols wohl eine andere Richtung genommen; es war die Wahrnehmung von Malcolm McLarens rotzlöffeliger Boygroup, die Punk als Bürgerschreck-Phänomen im verstockten England der Prä-Thatcher-Ära entscheidend geprägt hat.

Halt! Hat hier jemand "Malcolm McLaren" gesagt?

Buchcover: John Lydon stieren blicks vom Cover seinies Buches "Anger Is An Energy - mein Leben unzensiert"

Heyne Verlag

John Lydons Autobioigrafie "Anger Is An Energy" ist von Andrew Perry verfasst und auf Deutsch in der Übersetzung von Clara Drechsler, Harald Hellmann und Werner Schmitz bei Heyne erschienen.

Und schon sind wir mitten in der Legendenbildung. Für John Lydon, so beschreibt der es in seinem Buch, war natürlich er selbst hauptverantwortlich für den öffentlichen Auftritt der Pistols, nicht etwa der (angeblich gar nicht so) umtriebige Manager Malcolm McLaren, der sich nachträglich sogar filmisch mit seinem großen Rock'n'Roll Schwindel brüstete, für den er die Sex Pistols Karriere inklusive aller Skandale minutiös geplant haben wollte. Genauso, behauptet Lydon, war es Johnny Rottens Sinn für Ästhetik, der Vivienne Westwoods untragbare Entwürfe zu jener Mischung aus SM und Streetware veredelte, die als Punk Style Weltkarriere machte.

Diese Sichtweise kennt man aus John Lydons Interviews, und ganz falsch kann sie nicht sein, schließlich hat John Lydon auch nach den Sex Pistols noch gezeigt, dass seine ästhetischen Ideen, ob musikalisch oder visuell, Punch haben. So ist die Sex Pistols/Johnny Rotten-Zeit auch nur ein kleinerer Teil des Buches – war sie ja auch nur ein kurzes, wenn auch prägendes Kapitel seines Lebens. Aber dem hat er sich ja schon in seiner Johnny Rotten-Autobiografie Rotten: No Irish, No Blacks, No Dogs ausführlich gewidmet. Der größere Teil von Anger Is An Energy widmet sich denn auch seiner Herzenskapelle Public Image Limited (P.i.L.), die am 4. September übrigens ihr elftes Studiowerk What the World Needs Now… herausbringt.

Auszüge aus "Anger Is An Energy und Musik von P.i.L. und den Sex Pistols ist am 2. September in der Basement Show im FM4 House of Pain zu hören.

Eine Albumkritik des neuen P.i.L. Albums von Robert Rotifer gibt es tags darauf in FM4 bis 7.

Einprägsam sind die Erzählungen aus Lydons Kindheit und Jugend als Sohn irischer Einwanderer in einem Londoner Arbeiterbezirk. Mit Sieben erkrankt er an Meningitis, liegt monatelang im Koma und muss vom Gehen und vom Sprechen an alles neu lernen. In der katholischen Schule lernt er, Repression und Missbrauch auszuweichen und entgegen zu treten – und trotzdem Wichtiges mitzunehmen. Zum Beispiel von seinem Englischlehrer, den er "Pissflecken-Prentiss" und einen "beschissenen Widerling" nennt – aber auch einen "brillanten Lehrer", der es schaffte, Shakespeare fesselnd, komplex und gründlich zu erklären und so in John das Interesse für Literatur zu erwecken – bevor er ihn von der Schule schmiss. Daneben ergab sich eine kleine Karriere als Arsenal-Hooligan fast zwangsläufig.

John Lydon schaut.

©Paul Heartfield

John Lydon lebt heute mit seiner langjährigen Partnerin Nora Forster in Los Angeles.

Keine Rockstar-Anekdoten

Wer sich von Anger Is An Energy eine Ansammlung von Rockstar-Anekdoten, Groupiegeschichten und Exzessprotokollen erwartet, der könnte falscher nicht liegen. So funktioniert das Buch nicht, und so funktioniert auch John Lydon nicht. Für ihn – zumindest für das hier propagierte Selbstbild – steht der kreative Output im Vordergrund, Exzesse will er nicht ausschlachten (stand ja auch Punk für das Gegenteil der hochgepimpten Rock'n'Roll-Maschinerie der Siebziger, die ohne eine Kolonne von Monstertrucks ihre Sex&Drugs&Rock'n'Roll-Utensilien nicht von A nach B bewegen konnte). Hierzu mag das tragische Ende seines Freundes Sid Vicious beigetragen haben – ihn in die Sex Pistols gebracht zu haben, sei der größte Fehler seines Lebens, schreibt Lydon.

Ebenso wenig ist das Buch auch eine Abrechnung mit den zahllosen Wegbegleitern, mit denen John Lydon sich in den langen Jahren seiner Karriere überworfen hat – einmal abgesehen von Westwood, McLaren und den Nonnen und Lehrern seiner Schule.

Vielleicht hat ihn im Großvater-Alter die Milde gepackt, vielleicht hat auch Ghostwriter Andrew Perry ein bisschen was herausgefiltert – vielleicht hat man diese Zwischentöne bisher auch gern überhört. Jedenfalls ist John Lydon sichtlich bemüht, seine Gegenspieler nicht unter der Gürtellinie anzugreifen, sondern – bei aller, gern auch von explicit lyrics begleiteter Kritik – stets als Mitstreiter wert zu schätzen. Alles Love & Peace also? Auch das wäre nicht John Lydon, und das ergäbe auch kein so unterhaltsames Buch. Bei aller Altersmilde sind ihm doch andere Werte mindestens genauso wichtig: Straightness und Punch. Und natürlich ist sein Ego groß genug, die vielen Wendungen in seiner Karriere zu rechtfertigen und, wenn nötig, mit expliziten Fuck Offs zu untermalen.

Diese Geradlinigkeit ist ebenso unterhaltsam wie der Wille, der Weltgeschichte im rechten Moment einen, nennen wir es: Impuls, zu geben. Ganz verraucht ist die Wut noch nicht, und Wut ist schließlich John Lydons Lebensenergie.