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Michael Fiedler

Politik und Spiele, Kultur und Gegenöffentlichkeit.

2. 9. 2015 - 14:16

Flüchtlingen legal helfen

Flüchtlingen zu helfen, kann in Österreich zu Problemen mit der Justiz führen. Wir haben nachgefragt. Was ist legal, was ist verboten?

Rechtsanwalt Clemens Lahner

Clemens Lahner

Vergangenes Jahr sind mehrere Asylwerber in einem umstrittenen Prozess der Schlepperei schuldig gesprochen worden. Droht ähnliches all jenen, die jetzt Flüchtlingen helfen? Wir haben einen der Anwälte aus dem sogenannten "Fluchthilfeprozess" gefragt - Clemens Lahner vertritt den Hauptangeklagten. Wir wollen von dem auf Menschenrecht, Asyl- und Fremdenrecht spezialisierten Juristen wissen, wie man legal Flüchtlingen helfen kann - und auch, ob sich diese Woche der Staat bzw. die ÖBB strafbar gemacht haben:

Update, 4.9.2015

Die Facebook-Gruppe „Konvoi Budapest - Wien“ hat ihre Pläne geändert. Nach der Anhaltung von vier Fluchthelferinnen aus Wien sollen am Sonntag keine Flüchtlinge aus Ungarn geholt, sondern Nahrung nach Budapest gebracht werden. Mehr dazu auf wien.ORF.at

Anwalt Georg Bürstmayr hat ebenfalls in einem Facebook-Kommentar zur den rechtlichen Implikationen Stellung genommen: Soll man Flüchtlingen, die sich derzeit in Ungarn aufhalten, in Ungarn selbst aktiv dabei helfen, über die Grenze nach Österreich zu gelangen? Nein.

Anfang dieser Woche sind mehrere Tausend Flüchtlinge mit dem Zug aus Ungarn nach Wien und von dort aus weiter nach Deutschland gefahren. Handelt das Bundesministerium für Inneres rechtmäßig, wenn es vorsätzlich Fremde im Land weiterfahren lässt?

Da kann man sich streiten. Grundsätzlich wäre für die meisten der Asylverfahren dieser Menschen Ungarn zuständig. Wenn sie aus Ungarn nach Österreich kommen, müsste Österreich normalerweise sagen, stopp, und das Asylverfahren müsste in Ungarn stattfinden. Oder, wenn man sagt, die Umstände in Ungarn sind so, dass man die Leute nicht zurückschicken kann - es gibt keine Unterkünfte oder sie werden nach Serbien zurückgeschickt - dann kann Österreich sagen, wir führen die Asylverfahren selbst.

Die Leute einfach nach Deutschland weiterreisen zu lassen, geht eigentlich nicht. Wenn man aber weiß, dass Deutschland gesagt hat, wir wenden die Dublin-Verordnung auf syrische Flüchtligne nicht mehr an, wir schicken die nicht mehr zurück nach Ungarn, und wenn diese Leute nach Deutschland weiter wollen, dann kann man auch argumentieren, dass das zulässig ist.

Die ÖBB haben vielen spät ankommenden Flüchtlingen eine Unterkunft am Westbahnhof zur Verfügung gestellt und für den kommenden Tag Fahrkarten nach Deutschland verkauft. Inwieweit besteht die Möglichkeit, die ÖBB der Schlepperei anzuklagen? – Immerhin verdient das Unternehmen an den Fahrkarten, die es wissentlich an illegal im Land Aufhältige verkauft.

Wenn man den Paragrafen 114 ganz streng auslegt, wenn man sagt, der Schaffner muss ja wissen, da fahren soundso viele Flüchtlinge und er fördert das, indem er nur die Fahrkarten kontrolliert und sonst nichts unternimmt, rein theoretisch könnte man das schon als Schlepperei interpretieren. Ich glaube aber nicht, dass sich das Innenministerium hier mit den Eisenbahnern anlegen wird.

Gestern hat der Kurier über ein Urteil des Obersten Gerichtshofes berichtet, wonach Schlepperei nicht strafbar wäre, wenn ein „angemessener Fuhrlohn“ bezahlt worden ist. Im konkreten Fall hat der Angeklagte pro Person 142 Euro bekommen, um sie per Auto über die Grenze zu bringen. Was heißt das denn für Private, die via Mitfahrzentrale Leute Flüchtlinge aus dem Ausland gegen Entgelt nach Österreich bringen?

Schlepperei ist im Paragraphen 114 Fremdenpolizeigesetz definiert. Darin heißt es: Wenn ich die rechtswidrige Einreise oder Durchreise eines Fremden fördere, und zwar gegen Entgelt, und mich oder einen Dritten dadurch unrechtmäßig bereichern möchte, dann ist das strafbar. Da ist nicht die Rede von Bereicherung, sondern von unrechtmäßiger Bereicherung. Wenn der Fuhrlohn, den ich da verlangt habe, ein ganz normaler ist, diese Leute nicht mehr dafür bezahlt haben, weil das eine rechtswidrige Reisebewegung war, dann kann ich argumentieren, dass diese unrechtmäßige Bereicherung nicht vorliegt und es deshalb keine Schlepperei ist.

Was bedeutet denn das für Verfahren, die sie betreuen?

Ich bin Verteidiger eines Beschuldigten in dem großen Fluchthilfeprozess in Wiener Neustadt. Da haben wir letztes Jahr 43 Tage lang verhandelt, im Dezember gab es die Urteile, die schriftliche Ausfertigung haben wir erst Ende Juni bekommen und derzeit arbeiten wir an den Rechtsmitteln. Dort werden wir natürlich auch dieses Argument aufgreifen. Es geht hier in erster Linie um Angeklagte aus Pakistan, die wiederum in erster Linie anderen Menschen aus Pakistan geholfen haben. Sie haben sie übernachten lassen, sie haben ihnen etwas zu Essen gegeben. Da ist zum Teil schon auch Geld geflossen, das war aber in erster Linie, um Unkosten zu decken. In manchen Fällen sind geringe Beträge, Taschengeldbeträge, übrig geblieben. Wenn wir argumentieren können, dass das ein angemessenes Entgelt für eine erbrachte Leistung war, dann wäre diese unrechtmäßige Bereicherung nicht gegeben und dann darf man diese Menschen auch nicht nach diesem Paragraphen verurteilen.

Kommen wir zu den vielen privaten Helferinnen und Helfern, die jetzt gerade in Österreich Flüchtlinge versorgen. Wenn ich übermorgen mit dem Auto von Budapest nach Wien muss, noch vier freie Plätze habe und via Mitfahrzentrale melden sich Leute, die mit über die Grenze wollen. Was würden Sie mir raten?

Der Rechtsanwalt in mir würde Ihnen vielleicht zur Vorsicht raten und würde sagen: Wenn Sie sich keine Probleme einbrocken wollen, dann tun Sie es lieber nicht. Aber das werde ich Ihnen nicht sagen. Ich werde sagen: Haben Sie keine Angst, hören Sie auf Ihr Herz, tun Sie das Richtige. Wenn Sie sich nicht am Elend dieser Menschen bereichern, wenn Sie von denen gar kein Geld oder nur Benzingeld nehmen, wofür Sie dann auch Benzin kaufen, dann meine ich, ist das keine Schlepperei. Man könnte sich anschauen, ob das dann strafbar ist nach Paragraph 120 FPG, eine Verwaltungsstrafe, aber auch da kann man sich streiten.

Das wäre "die wissentliche Förderung der rechtswidrigen Ein- oder Durchreise". Was heißt denn das?

Bei der Schlepperei habe ich immer ein Entgelt, das braucht es für Paragraph 120 nicht. Bei der Schlepperei reicht ein bedingter Vorsatz, das heißt, ich halte es ernsthaft für möglich, dass hier jemand rechtswidrig einreist und ich finde mich damit ab. Im Paragraph 120 FPG habe ich stattdessen die Wissentlichkeit, die Staatsanwaltschaft müsste mir also nachweisen, dass ich weiß, dass diese Leute rechtswidrig ein- oder durchreisen.

Bedeutet das für mich als jemand, der Menschen helfen möchte, dass ich gar nicht fragen sollte, woher sie kommen, wohin sie gehen, ob sie sich legal in Österreich aufhalten oder illegal, ob sie einen Pass haben...?

In einem Straf- oder Verwaltungsstrafverfahren müsste man Ihnen nachweisen, dass Sie gewusst haben, dass diese Menschen rechtswidrig hier sind. Und wenn Sie nicht fragen und es Ihnen keiner sagt, wird man Ihnen das nicht nachweisen können.

Wie ist denn das mit Seiten wie AirBnB.com oder Couchsurfing.com, wo ich mein Zimmer oder ein Bett vermiete oder gratis hergebe. Muss ich von Leuten, die bei mir übernachten, Ausweise verlangen? Bin ich irgendwie dazu verpflichtet, deren rechtmäßigen Aufenthalt in Österreich zu überprüfen?

Nein, das sind Sie nicht, vor allem können Sie das wahrscheinlich gar nicht. Das Fremdenrecht ist kompliziert und es gibt ja nicht einen Ausweis wo drauf steht "legal" oder "illegal". Wenn ein amerikanischer Student bei Ihnen auf der Couch übernachtet, werden Sie in dessen Pass wahrscheinlich lange suchen, bevor Sie irgendein Visum finden, weil der kann ohne Visum einreisen und sich eine gewisse Zeitlang hier aufhalten. Wie lang diese Zeit ist und ob der wieder mal ausgereist und eingereist ist, wissen Sie ja als Laie nicht, also das wäre Ihnen gar nicht zumutbar. Noch einmal, wenn Sie jemand bestrafen will, muss er Ihnen nachweisen, dass Sie das Gesetz verletzt haben.

Am Bahnhof kommt ein Zug mit Dutzenden Flüchtlingen an. Darf ich die mit Wasser und Lebensmitteln versorgen, ihnen den Weg zum Zug zeigen, mit dem sie weiterreisen wollen, ihnen beim Kauf von Fahrkarten helfen, ihnen Geld zustecken?

Ja. Rein theoretisch, wenn man diese fremdenrechtlichen Strafbestimmungen ganz streng auslegt, dann könnte man schon überlegen, ob da der eine oder andere zumindest eine Verwaltungsstrafe begeht. Aber ich meine, dass wir diesen Menschen nicht nur helfen dürfen, sondern dass wir das sogar müssen.