Standort: fm4.ORF.at / Meldung: "Mitten ins Licht"

Robert Glashüttner

Videospielkultur, digital geprägte Lebenswelten.

1. 9. 2015 - 18:35

Mitten ins Licht

"Everybody's Gone To The Rapture" wirft uns in eine wunderhübsche Welt, aus der jedoch alle Menschen verschwunden sind. Was ist passiert?

Die Sonne strahlt, wir stehen neben einem Observatorium, von dem eine verschlungene Straße wegführt. In einem kleinen Aufseherhäuschen liegen Zeitschriften und Büromaterialien herum. Am Tisch steht ein alter Computer. Bald stellt sich heraus, dass wir uns im Jahr 1984 befinden. Wer wir sind und wo wir sind, bleibt jedoch im Dunklen.

Wir gehen den verschlungenen Weg hinunter und die Landschaft wird immer pittoresker: grüne Hügel, blühende Wiesen, ein sauberes, farbenfrohes Dorf mit entzückenden Häusern. Doch weit und breit ist niemand zu sehen. Aber da ist jemand, oder besser gesagt: Da ist etwas. An bestimmten Plätzen hören wir plötzlich Dialoge zwischen Figuren. Die Figuren sind nicht da, doch ihre Körper und Bewegungen werden durch merkwürdige Lichter schemenhaft angezeigt. Ein helles Strahlen ummantelt sie und fast zeitgleich tanzt ein lebendig wirkender Lichtkörper vor uns herum. Weist er uns den Weg?

Mystery Town

Wir erkunden mit langsamen Schritten – denn schnell bewegen ist nicht möglich – die Gegend, gehen von der Dorfkirche über die Felder in Scheunen und kleine Fabrikshallen, betreten Häuser, Bungalows und Campingwaggons. Zwischendurch stoßen wir auf Nachrichten aus Radios und Telefonen und hören, durchaus geisterhaft, vergangenen Gesprächen zwischen den Einwohner/innen zu. Dadurch entspannt sich nach und nach die Geschichte. Wir erfahren mehr über die beiden Leiter des Observatoriums, hören diversen Dorftratsch und dass nach und nach die Menschen aus dem Örtchen Yaughton und Umgebung verschwunden sind. Etwas höchst Seltsames geht hier vor sich. Doch welche Rolle spielen wir dabei und warum sind alle Uhren bei sieben Minuten nach sechs stehengeblieben?

"Everybody's Gone To The Rapture" ist das neue Werk vom Autor und Gamedesigner Dan Pinchbeck und seinem Entwicklungsstudio The Chinese Room. Pinchbeck und sein Team haben vor ein paar Jahren mit ihrem Indie-Hit "Dear Esther" die Spielegattung des sogenannten Walking Simulator begründet bzw. bekannt gemacht. Seither gibt es immer öfter Spiele, die die in Games sonst üblichen Aufgaben und Leistungen in den Hintergrund rücken oder komplett weglassen. Stattdessen bewegt man sich durch eine behutsam designte Welt mit vielen Details, die Schritt für Schritt eine umfangreiche Geschichte preisgibt. Aus dramaturgischen Gründen hat es sich etabliert, dass man dabei zwar mit der Umgebung, aber nicht mit lebendigen Figuren interagiert.

Screenshot aus "Everybody's Gone To The Rapture": ein kleiner Ort mit viel Pflanzen.

The Chinese Room / Playstation

Neben "Dear Esther" (2012) kommt auch die bekannte Coming-of-Age-Story "Gone Home" (2013) ohne aktive Charaktere aus - ausgenommen natürlich wir, also die Spielfigur selbst. "Everybody's Gone To The Rapture" reiht sich nahtlos in diese junge Tradition ein. Wir können nichts tun, außer die Landschaft zu erkunden, Informationen zu sammeln und all das auf uns wirken zu lassen. Das klingt nach wenig, doch das Spiel ist so eindrucksvoll präsentiert, dass einen das Mysterium des menschenleeren englischen Landstrichs nicht mehr loslässt.

Metaphysik und Transzendenz

Das langsame Schreiten durch die markant designte Umgebung zwingt einen dazu, dass man auf Details achtet und sich in der verzückend und gleichzeitig bedrohlich wirkenden Aura des digitalen Landstrichs verliert. Alles sieht aus wie im Bilderbuch. Die Beleuchtung und das Spiel mit Licht und Dunkelheit sind fantastisch, und auch der Soundtrack der Komponistin Jessica Curry fügt sich hervorragend in das phänomenale Setting ein.

Das Staunen und die Neugierde, die "Everybody's Gone To The Rapture" in uns weckt, werden immer größer, je länger wir spielen. Obwohl sich Schauplätze, Gegenstände und Narrationsfetzen mit der Zeit wiederholen und sich ähneln, kann man nicht loslassen. Man möchte mehr Puzzlesteine finden, um sich einen Reim aus diesen merkwürdigen Geschehnissen machen zu können - oder zumindest genügend Futter zum Entwickeln eigener Theorien geliefert zu bekommen. Doch gleichzeitig manifestiert sich die Vermutung, dass es sehr schwer sein wird, diese hohe Erwartungshaltung zu erfüllen. "Everybody's Gone To The Rapture" ist daran auch nur mäßig interessiert. Vielmehr geht es um das Wechselspiel zwischen provinziellem Alltag und Metaphysik, zwischen kleinlichen menschlichen Problemen und dem Aufgehen in einer transzendentalen Erfahrung. Das Licht ist dabei ein eindrucksvolles, aber auch etwas klischeehaftes Mittel, um hier für viele "Wow"-Momente zu sorgen.

Screenshot aus "Everybody's Gone To The Rapture": ein kleiner Ort mit viel Wiese und Pflanzen.

The Chinese Room / Playstation

"Everybody's Gone To The Rapture" ist exklusiv für die Playstation 4 erschienen.

"Everybody's Gone To The Rapture" kommt bereits auf halber Strecke an seinem Höhepunkt an, nämlich dann, wenn die vielen Fragen und Unklarheiten auf eine bestimmte Vertrautheit stoßen, was diesen Ort und seine (ehemaligen) Einwohner/innen betrifft. Dabei wird die Balance der Stimmung zwischen Kontemplation und Unbehagen perfekt austariert. Auf billige Schock- und Schreckeffekte wird gänzlich verzichtet. Würde "Everybody's Gone To The Rapture" an manchen Stellen weniger dick auftragen und sich nicht manchmal zu sehr in Esoterik- und Astralleib-Anspielungen verlieren, gäbe es wenig zu bemängeln. So ist es eine verhuschte, aber dennoch empfehlenswerte, wunderschön präsentierte interaktive Mystery-Geschichte geworden.