Erstellt am: 1. 9. 2015 - 18:46 Uhr
Im ersten #trainofhope
Aktuelle Infos
Unter dem hashtag #trainofhope kann man die aktuelle Lage verfolgen.
Spenden und Helfen ist an allen Bahnhöfen gefragt - allerdings ändert sich ständig, was gebraucht wird. Und Lagermöglichkeiten gibt es kaum. Auch hier lieber unter #infotrain nachlesen bzw. gibt es mittlerweile auch ein Kommunikationspad.
In Rosenheim endet die Fahrt Montagabend vorzeitig. Die Flüchtlinge bleiben ruhig sitzen, als deutsche Polizisten durch die Waggons gehen. "Ich konnte nicht durchschauen, ob die Polizei ein System hatte, wer rauskam aus dem Zug und wer weiterfahren durfte", sagt Tina Wirnsberger. "Es ging schnell." Auch Wirnsberger und Reimon steigen in Rosenheim aus. Die Flüchtlinge warten auf den Stufen einer Unterführung, angeleitet von der Polizei und resigniert, auf ihre Registrierung. Danach würden sie selbständig weiterreisen können, nach München in eine Aufnahmestelle. PassantInnen in Tracht passieren die Gruppe der Geflüchteten und tuscheln. "Die Menschen werden jetzt nicht mehr in das erste Land, in dem sie in der EU registriert wurden, zurückgeschickt, versicherte mir der Polizeisprecher am Bahnhof in Rosenheim", berichtet Wirnsberger.
Abfahrt in Wien, Montag, früher Nachmittag
Auf einen Anruf hin waren Tina Wirnsberger und Michel Reimon am Montag gegen halb zwei nachmittags zum Wiener Westbahnhof. Ein Zug mit sehr vielen Flüchtlingen stünde dort, ob sie nicht verbeikommen könne, um zu schauen, dass alles rechtens wäre? "Es war keine Polizei dort, es waren Leute der ÖBB dort. Mehr, als man sonst sieht", berichtet Wirnsberger, die auch die Facebook-Seite "Flüchtlinge - Willkommen in der Steiermark" eröffnet hat und dort nahezu täglich Möglichkeiten zu helfen aufzeigt. Die Grazerin studiert am College für Sozialpädagogik und engagiert sich auch politisch als Sprecherin für den Grazer Bezirk Lend bei den Grünen. Reimon ist Grüner Abgeordneter zum Europäischen Parlament.
„Dann waren wir im Zug und das erste, was wir gemacht haben, war, die nächsten Haltestellen zu twittern und Leute aufzurufen, Wasser und Obst zu bringen“, erzählt Wirnsberger. In den Waggons waren viele Familien mit Kindern. Der Zug war überfüllt, doch war es nicht lauter als bei anderen Fahrten. Alle waren sehr müde.
Michel Reimon
Videos am Mobiltelefon dokumentieren die Flucht
Den Fluchtweg einer syrischen Familie hat der ARD Weltspiegel in Serbien und Ungarn begleitet.
Mit einer der Familien hat sich Tina Wirnsberger länger unterhalten. Frau und Mann sind syrische Kurden und hatten ihre vier Kinder bei sich, die Töchter, vier und sechs Jahre alt, ein Kleinkind und ein acht Monate altes Baby. "Sie sind seit zwei Jahren unterwegs. Zuerst waren sie in der Türkei in einem Flüchtlingslager. Die letzten 22 Tage waren sie am Landweg unterwegs. Der Vater hat mir ein Video gezeigt, wie er mit seiner Familie aus dem Wasser auf ein Boot klettert. Vor Izmir sind sie wohl mit einem Flüchtlingsboot transportiert worden“, erzählt Wirnsberger. Die Verständigung auf Englisch war nicht einfach. Dass sie das Video des Familienvaters beim Einsteigen ins Boot im Internet teile, wollte er nicht. Seine Mutter sei noch in einem Lager in der Türkei und solle nicht erfahren, dass er so gefährliche Sachen mache. Also machten sie ein Foto im Zug, um zu zeigen, dass alle wohlauf sind.
Ein anderer Vater gab ihr Fotos seiner Kinder, die bei einem Fassbombenanschlag Assads in Aleppo starben. "Du weißt, das sind jetzt seine Kinder, die er dir zeigt. Doch er will, dass du das veröffentlichst, damit die Welt sieht, was Assad macht", so Wirnsberger.
Severin Mayr
Ein Teil des Weges
"Es ist wahnsinnig berührend. Diese vielen Kinder, die sich total gefreut haben über die Zuwendung, das Wasser und Obst", sagt Wirnsberger. "In Salzburg oder Linz reichten Menschen Soletti und Süßigkeiten vom Bahnsteig herein. Ich bin immer wieder durch die Waggons gegangen, um zu schauen, dass alles gut verteilt wird und die Babynahrung zu den Müttern kommt. Die jungen Männer unterstützten uns dabei." Ein älteres Ehepaar, unterwegs nach München, bekam auch Soletti und unterhielt sich mit den Flüchtlingen. Vielen hat Wirnsberger jedoch angemerkt, wie überfordert sie mit der Situation waren. Auf einmal sitzt man mit Hunderten Flüchtlingen im Zug und plötzlich sind Zeitungsnachrichten in deinem Leben angekommen. Einige Reisende wandten sich sehr den Fenstern zu. Mit einem Mädchen spielte sie mit einem Luftballon, ein neben ihnen sitzendes Paar schubste den Ballon gerade mal weiter, wenn er sie streifte.
Simon Hofbauer
Deutschland setzte das Dublin-Verfahren aus
Die Flüchtlinge hatten wenig bei sich. Die Männer trugen Rucksäcke, die Frauen Kinder. Ein Mann hatte eine Kopfverletzung, die versorgt worden war. Alle hatten Tickets. "Sonst müssten sie für den Weg Tausende Euro zahlen, sich in Autos verstecken und wüssten nicht, ob sie lebend ankommen. Das ist eine himmelschreiende Ungerechtigkeit, dass jene, die Schutz brauchen, derartigen Gefahren ausgesetzt sind", sagt Wirnsberger.
Viele der syrischen Frauen und Männer wollen nach Holland oder nach Skandinavien weiter, weil sie dort Familie hätten. Einige wollten nach Deutschland. Warum sie nicht in Österreich bleiben wollten, kann Wirnsberger nicht beantworten. "Wenn ich mir die Bilder von Traiskirchen anschaue - und ich glaube, dass da eine Absicht dahintersteckt -, würde ich auch nicht nach Österreich wollen, wenn ich Flüchtling bin."
Deutschland hat das Dublin-Verfahren für syrische Flüchtlinge ausgesetzt. Das bedeutet, dass Deutschland diese Flüchtlinge nicht in jenes Land der Europäischen Union zurückschicken wird, in dem die Menschen eventuell schon ein erstes Mal als AsylwerberInnen registriert worden sind. In Rosenheim ging gestern Abend alles sehr schnell. Eine Verabschiedung von "ihrer" Familie ging sich für Tina Wirnsberger nicht aus. Facebook-Kontakte hat sie mit vielen ausgetauscht.
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Ein paar Hundert erschöpfte Flüchtlinge aus Ungarn kommen in Wien an. Und 20.000 demonstrieren für eine menschlichere Asylpolitik.
Die Situation für die Flüchtlinge an Ungarns Bahnhöfen ändert sich derzeit ständig. In Budapest dürfen sie am Dienstag nicht mehr in den Ost-Bahnhof, mit Regionalzügen kommen aber immer noch einige nach Wien.