Erstellt am: 30. 8. 2015 - 15:00 Uhr
Alle modernen Bequemlichkeiten
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- Auch der geschätzte Wissenschafts- und Popjournalist Thomas Kramar macht sich in der Presse am Sonntag zum jeweils selben Song seine Gedanken
Die deutsche Band Kraftwerk hat ab den späten 70ern nicht bloß die elektronische Musik weit ins allgemeine Bewusstsein befördert und als neuen Pop etabliert, sondern auch in ihren Texten den Fortschritt, Technologie, Wissenschaft besungen.
Autobahn, Radioaktivität, Taschenrechner, Roboter, Computerwelt – zu all dem und mehr hatten Kraftwerk über unerhörter Science-Fiction-Musik in kinderliedhaften Slogans etwas zu sagen. Mal überzeugt und hymnisch in die Zukunft blickend, mal mit eingebautem Zweifel und Ablehnung.
Das amerikanische Trio HeCTA singt jetzt in seiner aktuellen Single von der Sympathie für die Autoindustrie. HeCTA - das hört sich schon wie ein Unternehmen für Gebäudereinigung oder ein Hersteller von strombetriebenen Heckenscheren und fahrbaren Rasenmähern an.
HeCTA samt Producer Jeremy Ferguson
Was der Name bedeutet, ist bislang unbekannt, hinter HeCTA stehen Kurt Wagner von der weihevollen Alt-Country/Americana-Gruppe Lambchop und die zwei Band-Kollegen Ryan Norris und Scott Martin. Im September wird über City Slang ihr Debüt-Album "The Diet" erscheinen, auf dem sich die drei Herren um ihre Deutung einer betont und im besten Sinne primitiven und repetitiven, im weitesten Sinne elektronischen Tanzmusik bemühen. Da klingt ja schon mal sehr uninteressant. Musikerhafte Musiker-Typen, die für gewöhnlich die so richtige, echte, authentische, grüblerische Altherrenmusik entwickeln, mit Instrumenten und dem Schweiße des Erschaffers, entdecken den Techno.
In Wahrheit glückt auf "The Diet" aber einmal tatsächlich ein schönes, wenn auch nicht revolutionäres Verwischen von sogenannten Trennlinien, man soll dabei auch nicht vergessen, dass Lambchop immer wieder mal mit Disco und Soul geflirtet haben.
Der Song "Sympathy for the Auto Industry" startet als eine einzige schlichte Vorwärtsbewegung, eben im Sinne von Kraftwerk, ein Zischeln und Flirren, eine prominente Bass-Figur. Langsam nähert sich das Stück zärtelndem Synthie-Pop, wie ihn sich vielleicht die frühen New Order ausgedacht haben könnten, würden sie nicht immer in alten Songstrukturen denken. Im zweiten Teil ergibt sich das Stück ganz der Macht der Wiederholung, der Synthesizer spielt eine süßliche Spielzeugmelodie.
Das Gutfinden der Autoindustrie ist vielleicht ein recht amerikanisches Unterfangen, ein cooles wohl kaum: So singt Kurt Wagner in "Sympathy for the Auto Indurstry" auch von einem gebrochenen Optimismusglauben, einem Kapitulieren vor Automatisierung, Verbesserung durch Technik und Konsum: "Just give me a car I can understand", singt er mit seiner in Balsam getunkten Flüsterstimme, oder auch, "It costs too much to come in here, the wait's too long and the crowd is weird".
Das immer wieder wiederholte Mantra des Songs lautet: "You shouldn't have to change a thing except your mind". Ein Rückzug aus der blinkenden modernen Welt hinein ins Private, von der Fabrik hinein in die Gefühlswelt. Hier ist sie, die viel zitierte Verschmelzung und Gegenüberstellung, auf inhaltlicher und formaler Ebene, von Maschine und Mensch.