Erstellt am: 29. 8. 2015 - 16:55 Uhr
"Pop-Kultur", das Festival
Pop-Kultur ist ein Senatsfestival, das von der ebenfalls vom Senat gegründeten Popkultur-Agentur Musicboard ausgerichtet wird und letztendlich der Nachfolger der Musikmesse Popkomm und der Berlin Music Week ist.
Music Board Berlin
Popkomm und Berlin Musik Week waren in der Stadt höchst unbeliebt, und so herrschte hier auch ein berechtigtes Misstrauen gegen das neue Senatsfestival. Denn wenn bisher in Berlin Musikindustrie, Stadtmarketing und Senat zusammen kamen, war das Ergebnis immer schlimm und peinlich. Die Kuratoren des Festivals verkündeten im Vorfeld die Neuigkeit, dass sich Popkultur als Phänomen sehr verändert habe und es nun nicht mehr nur um Musik, sondern auch um "Mode, Lifestyle, Kunst" gehe. Und Popkultur sei deshalb eine total neue Mischung aus Workshop, Gespräch und Konzert. Allerdings gab es ähnliche Mischformen zu einem bestimmten Thema schon vor Jahrzehnten in der Volksbühne und gibt es sie schon seit Jahren im Hebbel-Theater HAU.
Veranstaltungsort: Berghain
So war man einigermaßen gespannt auf das neue Festival, das erfreulicherweise nicht in der halben Stadt verstreut, sondern schön praktisch an einem Ort angesiedelt ist. Das sagenumwobene Berghain selbst, die Panorama-Bar, die Halle am Berghain, Kantine, Schlackehalle und sogar die Garderobe wurden bespielt.
Am Mittwoch ging es nach dem Check-in zuerst einmal in den "Diskogarten" - denn dort war ich, wie viele andere Musikschaffende zum Rumhängen bei Freigetränken eingeladen. Erst vor Ort erfuhr ich, dass nur "Entscheider" mit dem Diskogarten-Bändchen beschenkt wurden. Das plötzliche Wissen, eine Entscheiderin zu sein - wo ich doch nur jeden Morgen aufs Neue entscheide, ob es sich lohnt, aufzustehen - und die Freigetränke hoben die Stimmung.
Viele Bekannte waren da: die Leute von den zwei Indie- und drei Elektroniklabels und den zwei Bookingagenturen, die es in Berlin noch gibt. Die Festival-Macherinnen von Berlin Atonal und Club Transmediale, Popkritiker und Musikjournalisten und Leute, die nachmittags schon den Nachwuchs gelectured hatten, wie Tocotronic-Produzent Moses Schneider und Videoproduzentin Stephanie de Beauvais und ein paar Musiker.
Da hob also ein großes Meet und Greet zwischen uns, den vielen Entscheidern und nicht ganz so vielen Entscheiderinnen an. Alle waren recht positiv gestimmt und gespannt auf das Kommende, gleichzeitig aber auch total überfordert.
"Wo gehst du hin?"
"Was ist jetzt noch mal wo?"
"Schafft man es denn zeitlich 'Isolation Berlin' und 'Die Nerven' zu sehen?"
"Wo ist denn diese Schlackehalle?"
"Ist es dasselbe wie Halle am Berghain?"
"Aber wo ist der Eingang?"
Das waren einige der Fragen des Abends.
Isolation Berlin
Ein neues Kulturfestival
Katja Lucker, Leiterin des Musicboards, hatte in Interviews kundgetan, dass Berlin ein neues Kulturfestival braucht und angekündigt, dass die meisten Künstler im Berghain Dinge zeigen würden, die das Publikum so noch nicht gesehen habe. Es gebe viele Uraufführungen und Berlin-Premieren. Die regelmäßige Konzertgängerin hatte aber den ersten Eindruck, dass man in Berlin vieles im letzten Jahr schon so hatte sehen können.
Begonnen hatte der erste Festivaltag mit der Lesung aus "Immer Ärger mit der Unsterblichkeit", dem Buch von Sven Regener und Andreas Dorau. Es soll ausverkauft, sehr kurzweilig und lustig gewesen sein, wird erzählt. Das Duo war damit allerdings schon im Mai auf großer Lesetour. Auch Sophie Hunger kann man in Berlin alle naslang erleben, Owen Pallet auch, die Berliner Bands sowieso. Schnipo Schranke und Messer waren kürzlich da und die Elektronikleute sind ja eh dauernd der Stadt.
Aber später in der Nacht sollte Frodo - ja, der Frodo Beutlin von "Herr der Ringe" - in der Panorama-Bar auflegen. Das verkündete ich meinen Entscheider- Bekannten begeistert, ein Booker wiegelte jedoch ab: Das sei ja wohl nichts Besonderes, der habe letztens schon auf einer Party in der Fahimi Bar am Kotti aufgelegt. Immerhin stellte Elektro-Producer Matthew Herbert sein neues Album "The Shakes" vor und New Order kamen fast komplett nach Berlin: Sänger Bernard Sumner präsentiert seine Autobiografie, seine Band-Kollegen Stephen Morris und Gillian Gilbert treffen sich zum Talk mit Owen Pallett und Mute-Records-Chef Daniel Miller.
Zentralheizung of Death des Todes
Als man sich dann endlich aufmachte, die Hallen zu suchen und nach vielen kommunikationsbedingten Verzögerungen vor Ort eintraf, stellte sich heraus, dass sich die Zeiten irgendwie verschoben und alle Planungen zunichte gemacht hatten.
Aber so ergab es sich, die Hinds zu sehen, eine tolle Gitarrenband aus Spanien, mit vier Frauen an den Instrumenten, die mit den abruptem Tempiwechsel und ihrem charmanten Slackertum an die schönsten Indierockzeiten und Pavement erinnerten.
Chad Kamenshine
Isolation Berlin, die neueste, tolle Bandhoffnung aus Berlin, machten sich sehr gut auf der großen Berghain-Bühne. Der Sänger sang mit ausgebreiteten Armen im Rio Reiser-Style: "Ich hab endlich keine Träume mehr." An Zentralheizung of Death des Todes hingegen ist vielleicht doch der Name das Interessanteste. Eher besinnlich, fast weihnachtlich ging es bei Pantha du Prince mit seinem Bandprojekt Triad zu, die meditativ- gefälligen klingelnden elektronischen Sounds wurden visuell durch futuristische Kopfbedeckungen und interessante Schulterüberwürfe unterstützt. Der blau angestrahlte weiße Trockeneisnebel machte sich gut in der alten Schlackenhalle, die zuvor (Premiere!) noch nie ein Konzert erlebt hatte.
DJ Frodo
Danach war ich nicht mehr so recht in der Stimmung für das neue Soloprojekt von Coco Rosies Bianca Cassady, vielleicht auch, weil ich mir darunter eher so prätentiös- düsteres Elfengetanze vorstellte.
Also wieder alle Treppen hoch in die Panorama-Bar, dort war aber wegen der aufdringlichen Visuals und Stroboblitze nicht auszumachen, ob Frodo alias Elijah Wood aka Wooden Wisdom & DJ Fit schon in the building war. Das schuf ein Zeitfenster für die Band Nerven. Also wieder runter in die Kantine, das hörte sich schon draußen nach herrlichem Krach an, leider war die kleine Kantine bereits restlos vollgequetscht. Aber was soll's, ist doch eh schöner, sich in einer warmen Spätsommernacht in den Berlin-typischen Holzlounges vor den Hallen rumzuhängen.
DJ Frodoalias Elijah Wood aka Wooden Wisdom & DJ Fit
Und so besprach man mit den Vorbeikommenden und Jenen, die sich ebenfalls ermattet dazu gesellten, die Eindrücke des ersten Tages: Alles nicht schlecht. Ein schöner, angenehmer Festivalort. Sehr angenehm auch der fehlende Messecharakter, die Abwesenheit von Musikindustrie, keine blöden Panels. Sehr dezentes Sponsoring, keine Flyer, keine Werbebanner. Aber was ist jetzt das Besondere daran, warum lässt sich der Berliner Senat das 700.000 Euro kosten? Als Berlinwerbung, Kulturstandort, Tourismuswerbung?
Warum denn nicht
Berlin ist doch eh die Musikhauptstadt Deutschland und eines der Techno- und Electro-Zentren der Welt, hier kann man an jedem Wochentag interessante Konzerte sehen, zu berühmten DJs in hunderten Clubs tanzen und die Touristen wissen das und kommen doch eh. Wozu also noch das Pop-Kultur-Festival? Andererseits, warum denn nicht?
Und mit diesen versöhnlichen Gedanken klang der erste Festivaltag des Berliner Pop-Kultur-Festivals 2015 aus. Später wurde erzählt, Frodo sei in der Panorama-Bar aufgeregt zwischen den Reglern hin und her gesprungen und habe ein psychedelisch-eklektisches Set aufgelegt. Andere sprachen von Bollywood House.