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Conny Lee

Prokrastinative Hinterstübchen des Alltags

28. 8. 2015 - 15:17

Der Susan-Effekt

Eine Familie mit einer sehr speziellen Superkraft und eine große Verschwörung in Dänemark - darum geht es in Peter Hoegs Krimi.

Buchcover Der Susan Effekt

Roman Hanser Verlag

Peter Hoeg: Der Susan Effekt, erschienen beim Roman Hanser Verlag in einer Übersetzung von Peter Urban-Halle

Wer mit Susan Svendsen in Kontakt kommt, fühlt sofort den Drang, sich ihr anzuvertrauen und ihr alles zu erzählen. Dieses Phänomen wird der Susan-Effekt genannt, den Susan selbst gemeinsam mit einer renommierten Physikerin, die auch ihre Mentorin ist, untersucht. Diese ist es auch, die Susan mit Laban zusammenbringt, einem Mann der den selben Effekt auf Menschen hat. Sind Susan und Laban zusammen in einem Raum, potenziert sich ihre Fähigkeit und die Menschen drängen ihnen ihr Innerstes regelrecht auf.

Laban drehte sich zu dem Mädchen um. "Als ich acht war, hat meine Mutter Selbstmord gemacht", sagte es. "Ich denke nicht mehr sehr oft daran. Aber ich hatte das Gefühl, ich müsste euch das sagen. Ich hab Vertrauen zu euch."
Laban starrte sie an. Ich sah aus dem Augenwinkel, dass einige Gäste hinzutraten. Ich ahnte, was sich hier anbahnte, aber es ging trotzdem schneller als vermutet.
Eine ältere Frau beugte sich vor Laban zu dem Mädchen hinüber. "Entschuldigung", sagte sie. "Darf ich Ihnen was verraten? Bei mir wurde gerade ein Bandscheibenvorfall festgestellt. Am fünften Wirbel. Ich habe solch eine Angst, im Rollstuhl zu enden."

Susan und Laban werden ein Paar, ein Power Couple, das die Aufmerksamkeit der Regierung auf sich zieht. Sie werden damit beauftraft, Verhöre durchzuführen, vor allem mit besonders hartnäckigen Fällen, die bisher niemand zu einer Aussage bewegen konnte. Die beiden setzen ihre Gabe allerdings auch immer wieder zu ihrem eigenen Nutzen ein - um bestimmte Dienstposten zu bekommen, oder auch einfach Essen im Supermarkt, wenn sie kein Geld dabei haben. Und aus jeder Heldensaga die jemals geschrieben worden ist wissen wir, dass es niemals gut ausgeht, wenn man seine Superkraft zum eigenen Nutzen verwendet.

Die beiden heiraten und bekommen Zwillinge. Zu viert ist die Familie nahezu unaufhaltsam.

Wenn Laban und ich und die Zwillinge richtig platziert sind, und wenn in einem ganz kurzen Intervall kein Misston zwischen uns besteht, dann sind unsere Systeme kohärent, dann verstärken wir uns gegenseitig in dem Phänomen, das als Form der Interferenz erlebt wird. Das haben wir unser ganzes Dasein hindurch gebraucht und missbraucht, das hat uns im Positiven wie im Negativen dahin gebracht, wo wir jetzt sind.

Sie sind die Vorzeige-Familie Dänemarks, Susan eine erfolgreiche und angesehene Physikerin, Laban ein vielgerühmter Komponist und Dirigent. Aber auf einem Auslandsaufenthalt in Indien ist einiges schief gegangen: alle vier haben, jeder einzelne von ihnen, etwas angestellt was für sie mehrere Jahre im Gefängnis beziehungsweise für die sechzehnjährigen Zwillinge einen Aufenthalt in der Jugendstrafanstalt bedeuten würde. Sie können sich dieser Strafe entziehen, wenn sie bestimmte Informationen für einen Mann beschaffen, von dem man nicht weiß ob er für die Regierung arbeitet, einen Geheimdienst oder eine andere Organisation. Er will von ihnen Informationen über eine gewisse, streng geheime Zukunftskommission.

Susan und ihre Familie machen sich sofort daran, der Sache auf den Grund zu gehen, und werden dadurch in eine ganze Reihe von Mordfällen verwickelt. Bald wird klar, dass es sich um eine größere Sache handelt, um eine geheime Verschwörung auf nationaler Ebene.

Peter Hoegs Gespür für Krimis

Peter Hoeg hat schon 1994 mit seinem preisgekrönten Bestseller Fräulein Smillas Gespür für Schnee, der auch verfilmt wurde, sein Talent für spannende Geschichten und starke Frauenfiguren bewiesen. Susan Svendsen ist eine knallharte Analytikerin, die ihre Umwelt und zwischenmenschliche Interaktion ausnahmslos auf physikalisch-mathematische Phänomene herunterbricht.

Die Kurve, die unser Verhältnis zu anderen Menschen als Funktion der Zeit abbildet, nähert sich einer Geraden an. Das bedeutet, dass in unseren Beziehungen zueinander ein Tag dem anderen gleicht. An manchen Tagen geht's bergab, in der Regel bleibt alles beim Alten. Die Augenblicke, in denen man an einem Punkt differenziert und entdeckt, dass die Tangente einen positiven Neigungskoeffizienten hat, dass wir uns also annähern, sind rar.

Eine sehr wissenschaftliche Art zu sagen, "Wir haben uns auseinander gelebt." Aber dadurch dass Susan so analytisch und kontrolliert ist, ist es beim Lesen umso spannender zu sehen, wie sie auf die Extremsituationen in die sie gerät reagiert: Wenn sie nur knapp einem Mordanschlag entgeht oder jemanden, mit dem sie vor Kurzem noch gesprochen hat, als Leiche vorfindet.

Der Susan Effekt von Peter Hoeg ist kein gewöhnlicher Krimi. Die außergewöhnliche Fähigkeit der Hauptfiguren gibt der Geschichte den zusätzlichen Twist und Susans Abgebrühtheit verhindert, dass es zum klassischen Superhelden-Roman wird. Sollte auch dieser Roman von Peter Hoeg verfilmt werden, dann sehe ich Tilda Swinton in der Hauptrolle als Susan. Oskarverdächtig.