Standort: fm4.ORF.at / Meldung: "Beschäftigung für junge Flüchtlinge"

Irmi Wutscher

Gesellschaftspolitik und Gleichstellung. All Genders welcome.

29. 8. 2015 - 15:48

Beschäftigung für junge Flüchtlinge

500 junge Flüchtlinge wohnen seit diesem Frühjahr in Wien Erdberg. Vereine und Initiativen aus dem Bezirk haben sich als Connect Erdberg zusammengetan, um ihnen Beschäftigung und Weiterbildung zu bieten.

#refugeeswelcome

FM4 stellt Initiativen vor, die die Situation von Flüchtlingen in Österreich verbessern wollen. Wir sind für alle weiteren Hinweise über NGOs und engagierte Privatinitiativen dankbar.

Kontakt: fm4@orf.at. Weitere Informationen auf fm4.orf.at/refugeeswelcome

Während es auf Österreichs Autobahnen viele Tote gibt, sich die EU aber noch immer nicht durchringen kann, sichere Einreisemöglichkeiten für Flüchtlinge zu schaffen, schauen wir uns Projekte an, wo konkret etwas für Flüchtlinge getan wird.

So zum Beispiel in Wien Erdberg. Letztes Frühjahr sind dort 500 junge Männer ins alte Zollamt eingezogen, etwa die Hälfte von ihnen sind unbegleitete minderjährige Flüchtlinge. Das Jugendzentrum Erdberg und zahlreiche andere Vereine aus dem Bezirk haben sich zusammengetan und unter dem Stichwort Connect Erdberg Freizeitaktivitäten für die jungen Flüchtlinge aufgestellt.

Deutschkurs im Jugendzentrum Erdberg

VJZ

Präteritum und Perfekt

Jeden Dienstag, Mittwoch und Donnerstag gibt es im Jugend- und Stadtteilzentrum come2gether zum Beispiel Deutschkurse für die Flüchtlinge. Vergangenen Dienstag haben sich ca. 30 junge Männer um einen großen Tisch versammelt. Vorne steht Charlotte aus England, alle sollen reihum ihren Namen sagen, wie alt sie sind und woher sie kommen. Die meisten hier kommen auf Afghanistan, viele sind unter 18 Jahre alt. Einige sind zum ersten Mal da - ihnen wird per Zeichensprache erklärt, was sie sagen sollen. Danach wird versucht, das heutige Befinden in Worte zu fassen: Daumen hoch, Daumen gerade, Daumen nach unten. Die Bandbreite reicht von "Mir geht es sehr gut" bis zu "Mir geht es furchtbar".

Wem es hier zu langweilig ist, der geht einen Stock tiefer ins Erdgeschoss – da ist der Deutschkurs für Fortgeschrittene, mit noch einmal 30 Teilnehmern. Hier wird schon über der Zeitenfolge gebrütet: "Wenn ich ein Buch schreibe, nehme ich das Präteritum, wenn ich meinem Freund etwas erzähle, das Perfekt", sagt Lehrer Geri gerade. Dann versuchen alle eine Drei-Satz-Geschichte von Familie Müller, die nach Paris fuhr, ins Perfekt umzuwandeln.

Schulheft "Präteritum"

FM4 Irmi Wutscher

Acht Stunden am Tag Lernen

Einer, der sich im Deutschkurs besondere Mühe gibt, ist Sifad aus Bangladesch. Er ist seit drei Monaten in Österreich und seit zwei Monaten hier in Erdberg. "Jeden Tag lerne ich acht Stunden" sagt er. "Vier Stunden in meinem Zimmer alleine, zwei Stunden hier und zwei Stunden in der Früh in einer anderen Schule." Wie viele der Flüchtlinge bezeichnet er das Jugendzentrum und die Kurse, die es hier gibt, als Schule. Er ist 16 Jahre alt, und spricht außer seiner Muttersprache Bangla auch Englisch und Urdu. "Wir müssen Deutsch lernen, wenn wir hier sind", sagt er. "Wenn wir nicht verstanden werden, helfen die Lehrerin und der Lehrer."

Aber nicht nur den Deutschkurs gibt es hier Dienstag, Mittwoch und Donnerstag abends. Das Jugendzentrum und die Kinderfreunde haben mit Freiwilligen und Vereinen noch eine ganze Reihe anderer Aktivitäten für Flüchtlinge auf die Beine gestellt. Sifad zum Beispiel kommt gerne zum Spiele-Café am Freitag, er spielt Fußball.

Mit Samba-Attac können die Flüchtlinge hier trommeln lernen, unter dem Motto "Asylrock" machen MusikerInnen mit den Flüchtlingen Musik, der ASKÖ bietet Sportnachmittage an, der Shaolin-Tempel Kung-Fu, das Hilfswerk PingPong.

Zeitplan mit unterschiedlichen Aktivitäten wie Basketball oder Deutsch lernen.

Connect Erdberg

Derzeit ist weniger das Problem, dass es zu wenig Freiwillige gibt, die Kurse anbieten, sondern dass die Flüchtlinge auch hinkommen, sagt Martina Warnung vom Jugend- und Stadtteilzentrum Erdberg: "Das ist schwierig zu beschreiben: Die leben in diesem riesigen Flüchtlingsheim. Und sie sind halt viel auf ihren Zimmern, teilweise depressiv und antriebslos und gar nicht aktiv auf der Suche nach einer Aktivität. Freuen sich aber irrsinnig über alle Angebote. Dort gibt es eine Riesen-Infotafel, da hängen alle diese Flyer drauf. Aber man muss schon persönlich dahinter sein, dass sie auch wirklich kommen."

Zwar dürfen die Vereine das Flüchtlingscamp selber nicht bespielen, aber sie können zum Beispiel so genannte Pick Ups organisieren: dass jemand von ihnen ins Camp kommt und die Flüchtlinge zu einer Aktivität abholt und motiviert.

Deutschkurs in Erdberg

VJZ

Zusammenarbeit schon länger

Von der Zusammenarbeit sowohl mit der zuständigen Beamtin im Innenministerium als auch mit der Betreuungsfirma kann Martina Warnung nur Positives berichten. Sie führt das auch darauf zurück, dass das Jugend- und Stadtteilzentrum schon mit diesen zusammen gearbeitet hat, bevor die Flüchtlingskrise so akut geworden ist.

Denn als im Oktober 2014 zum ersten Mal Flüchtlinge, damals Familie mit Kindern, im ehemaligen Zollamt im 3. Bezirk untergebracht wurden, hatte das Jugend- und Stadtteilzentrum schon ein Willkommensfrühstück für sie organisiert. Die Familien sind dann aber bald wieder ausgezogen. "Und als dann klar war, dass hier junge Flüchtlinge herkommen, da haben wir als Jugendzentrum uns ganz klar dafür zuständig gefühlt", sagt Martina Warnung. 500 junge Männer wohnen in Erdberg, 250, also circa die Hälfte von ihnen, ist unter 18 und gilt damit als Unbegleiteter Minderjähriger Flüchtling (UMF). Zum Großteil kommen sie aus Syrien, Afghanistan und dem Irak.

Die Situation in Erdberg ist für die jungen Männer auf alle Fälle besser als in Traiskirchen. "Man merkt, sie sind dankbar und gut drauf", sagt Martina Warnung. "Sie sind sehr positiv, das war bei den Familien letzten Herbst ganz anders. Vielleicht können junge Menschen so eine Flucht einfach besser wegstecken."

Helfen und Spenden

Ein Soliparty gibt es auch von der Wiener Tafel: 9.9. in der Arena Wien.

Bis Ende September geht es noch weiter mit den Kursen im Jugendzentrum Erdberg. Danach ist die Sommerpause vorbei und es gibt wieder Programm für die Kinder und Jugendlichen aus dem Viertel. Aber auch die Programme für Flüchtlinge wird es weiter geben, gerade werden Räume gesucht und überlegt, was wie weiter gehen soll.

Unterstützen kann man Connect Erdberg, indem man zum Beispiel der Sammelaktion der Wiener Tafel etwas spendet. Neben den üblichen Hygieneartikeln und Lebensmitteln werden hier auch Sport- und Freizeitartikel gesucht. Wer mithelfen oder einen Kurs anbieten will: Die Freiwilligen werden über die Kinderfreunde koordiniert, da findest du Info und Anmeldebogen.