Erstellt am: 28. 8. 2015 - 17:28 Uhr
Fluchthilfe, unbürokratisch
Andreas schaut aus dem Fenster seiner Wohnung. Im Park gegenüber sind ungewöhnlich viele Menschen, sie lagern in der Wiese, unter den Bäumen, machen keine Anstalten, nach Hause zu gehen. Das liegt daran, dass sie kein Zuhause mehr haben. Es sind Flüchtlinge. Jeden Tag sind jetzt Flüchtlinge im Park, immer andere. Andreas schaut sich das einige Tage lang an, dann überlegt er: In der Gegend gibt es einen Saal, den man vielleicht als Schlafsaal adaptieren kann. Die EigentümerInnen des Saals sind einverstanden, es bildet sich ein kleines Team, das hier eine Notschlafstelle einrichtet. Keine offizielle Flüchtlingsunterkunft, ohne große NGO oder Firma dahinter, ohne Website oder Facebook-Gruppe.
Die Unsichtbaren
Die Flüchtlinge, die hier schlafen, wollen vermutlich gar kein Asyl in Österreich. Sie sind auf der Durchreise, wollen nach Deutschland, Schweden, Großbritannien. Vielleicht haben sie dort Freunde oder Familie oder sie haben einfach nur ein Gerücht gehört, dass es dort leichter Asyl gibt, oder Arbeitsplätze. Wenn so jemand hier erwischt wird, kommt er oder sie auch hier ins Asylsystem. Dann werden Fingerabdrücke genommen, die später in der ganzen Europäischen Union, der Schweiz, Liechtenstein, Norwegen und Island abrufbar sind. Wer weiterfährt, ohne den Ausgang des Verfahrens abzuwarten, und erwischt wird, wird wieder zurückgeschickt.
Unkomplizierte Hilfe
Seit einigen Wochen schlafen also jede Nacht Flüchtlinge in dem Saal, irgendwo in Ostösterreich. Sie werden abends in kleinen Gruppen eingelassen, damit es keinen Streit bei der Auswahl der Schlafplätze gibt. Es gibt Tee und Kekse. Einige Tage lang haben die HelferInnen Kleiderspenden sortiert und ausgeteilt, sagt Anna aus dem Organisationsteam: "Die Leute brauchen frisches Gewand, aber das war dann nicht mehr machbar. Das ist vielleicht auch wichtig für andere Leute, die helfen wollen: Dass sie wissen, sie sollten sich auf eine Sache spezialisieren." Auch zu Essen können die Freiwilligen nichts anbieten. Der Aufwand, täglich für fünfzig oder mehr Menschen zu kochen, ist schlicht zu groß. Dazu kommt: Was, wenn sie für 70 Leute kochen und es kommen 90 vorbei?
APA/HANS KLAUS TECHT
Um 23 Uhr wird der Saal von außen versperrt. "Das machen wir auch, damit sich die Flüchtlinge sicher fühlen. Es ist ganz wichtig, dass sie einmal einen sicheren Schlafplatz haben. Sie können natürlich jederzeit hinaus, aber man kann von außen nicht hinein." sagt Anna. Am nächsten Morgen wird die Tür geöffnet, die Menschen gehen wieder - und helfen auch beim Aufräumen, erklärt Andreas: "Wenn dann ein kleines Chaos da ist, dann sind auch Flüchtlinge da, die alles zusammenlegen, die zusammenkehren."
Am Abend stehen neue Flüchtlinge vor der Türe. Kaum jemand kommt an zwei oder mehr Abenden hintereinander. Andreas und Anna müssen die Flüchtlinge nicht mehr im Park ansprechen, sie kommen von selbst. Es hat sich herumgesprochen, dass hier jemand unkompliziert hilft und einen sicheren, trockenen, nicht ungemütlichen Schlafplatz zur Verfügung stellt.
In der Grauzone
Andreas und Anna heißen in Wahrheit anders. Mit ihnen ist ausgemacht, dass wir auch den genauen Ort der Notschlafstelle nicht veröffentlichen. Was Anna, Andreas und ihre KollegInnen tun, liegt in einer rechtlichen Grauzone. Sie helfen Menschen, die sich möglicherweise illegal in Österreich aufhalten, die vielleicht illegal Grenzen überwunden haben, die womöglich sogar Schlepper dafür bezahlt haben.
APA/HANS KLAUS TECHT
Doch die Helferinnen fragen nicht nach dem Woher und Wohin. "Wir haben uns gesagt: Wir sehen, da sind Menschen, die eine Übernachtungsmöglichkeit brauchen und daher wollen wir das Ganze auch nur von dieser Seite angehen: Wir haben eine humanitäre Frage, wir beantworten sie humanitär und versuchen, eine Unterkunft zu geben." sagt Andreas.
Den HelferInnen sind unwahrscheinliche, aber mögliche rechtliche Konsequenzen egal. Sie möchten nur sicherstellen, dass der Schlafsaal weiter bestehen bleibt, damit Menschen hier wenigstens eine Nacht lang ruhig schlafen können.
Für die kommenden zwei Monate ist das zumindest aus organisatorischer Sicht gesichert. Bis Ende Oktober kann die Notschlafstelle vorerst bestehen bleiben. Wie es dann weitergeht, müssen Anna, Andreas und ihre MitstreiterInnen noch überlegen. "Das Credo ist: Wir machen so lange weiter, es geht. Und wenn es nicht mehr gehen sollte, dann geht es halt nicht."
Das Interview mit Anna und Andreas zum Nachhören:
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