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Chrissi WilkensAthen

Journalistin in Griechenland

27. 8. 2015 - 19:10

Erschöpft an der Grenze

Τrotzt der Spannungen an der griechisch-mazedonischen Grenze nehmen weiterhin viele Menschen diese Route, um nach Mitteleuropa zu kommen. Reportage von einem inoffiziellen Flüchtlingsübergang.

Dutzende Flüchtlinge aus Asien und Afrika drängen sich unter der brennenden Sonne an den Bahngleisen im griechischen Grenzort Idomeni, der als inoffizieller Flüchtlingsübergang dient. Drum herum Müllberge von allem, was die Reisenden zurücklassen, um die lange Balkanroute über Mazedonien, Serbien und Ungarn leichter hinter sich zu bringen.

Flüchtlinge an der griechisch-mazedonischen Grenze

Chrissi Wilkens

Die Flüchtlinge stellen sich vor die Militärpolizei und verlangen die Durchreise. Von hier sind es wenige Schritte bis zur mazedonischen Grenze. Hinter den Flüchtlingen liegt Griechenland, vor ihnen der Weg nach Mitteleuropa. Angesichts der großen Anzahl von Flüchtlingen, die auf griechischen Inseln ankommen und nach Idomeni weiterreisen, hat Mazedonien vor einer Woche den Ausnahmezustands verhängt und die Grenze zu Griechenland geschlossen. Trotzdem versuchten hunderte Flüchtlinge vergangenen Freitag die Grenze zu durchbrechen. Die Militärpolizei setzte Blendgranaten, Tränengas und Plastikkugeln gegen sie ein, berichten Zeugen und Medien. Mittlerweile hat sich die Lage beruhigt. Die Militärpolizei lässt jede Stunde kleine Gruppen an Flüchtlingen durch. Mehrere Menschenrechtsorganisationen sind an der Grenze präsent, um die Schutzsuchenden mit dem Notwendigsten zu versorgen.

Griechische Grenze in Mazedonien

Chrissi Wilkens

Sorge über die Weiterreise

Viele der Flüchtlinge sind besorgt über die Weiterreise. "Ich habe auf Facebook gelesen, dass sie die Grenzen schließen", sagt Bohar, eine 20-jährige Kurdin aus Kobane, die mit ihrer Familie in Deutschland Schutz suchen will. Sie sind zu acht unterwegs. Mit Hilfe der GPS-Karten auf ihrem Smartphone will sie mit ihren Eltern und Geschwistern über den Balkan in Richtung Deutschland. Ihr großer Bruder und weitere Verwandte haben den Weg dorthin schon geschafft. Nun hofft sie, so schnell wie möglich bei ihnen zu sein.

Die junge Frau hat in der syrischen Stadt Aleppo Chemie studiert. Wegen des Krieges - aber auch wegen der ISIS-Bedrohung - musste sie das Studium abbrechen. Vor 20 Tagen hat sie ihre Reise nach Europa von Kobane aus begonnen: "In meiner Heimatstadt riecht es nach Tod. Unter den Trümmern der zerstörten Gebäude liegen Leichen. Unser Haus ist beinahe komplett zerstört: Es hat keine Fenster und Türen. Wir können dort nicht mehr leben", sagt Bohar. Die junge Frau ist erschöpft. Die kurdische Familie ist vor ein paar Tagen auf der Insel Lesbos angekommen. Dort wurden sie in ein überfülltes Lager gebracht. "Das war die schlimmste Erfahrung bisher. Es gab so viel Müll, kein Wasser, die Toiletten waren furchtbar", sagt sie.

Flüchtlinge an der griechisch-mazedonischen Grenze

Chrissi Wilkens

Legale Reise: unmöglich

Ein paar Meter weiter warten Ahmed und Ahla, ein Ärztepaar aus Homs, geduldig auf einen Moment, um die Grenze zu überqueren. Ahmed hält seinen zweijährigen Sohn fest in den Armen. Sie müssen so schnell wie möglich weg, sagt er gestresst. Ihren anderen Sohn, der erst fünf Jahre alt ist, haben sie nach Schweden geschickt. Die Familie ist seit April in Griechenland. Mehrmals haben sie versucht, gemeinsam ihre Reise fortzusetzen, mit gefälschten Papieren über den Flughafen - ohne Erfolg. Schlussendlich entschlossen sie sich, das eine Kind nach Schweden zu schicken. "Wir wollten legal weiterreisen, aber niemand hat uns geholfen. Keine Botschaft, an die wir uns gewandt haben, auch nicht der UN-Flüchtlingsrat. Ich brauche kein Geld! Ich kann arbeiten und Geld verdienen. Was ich brauche, ist ein legaler Weg, um nach Schweden zu kommen", sagt Ahmed. Als er hörte, dass die Flüchtlinge an der griechisch-mazedonischen Grenze jetzt wieder gruppenweise durchkommen, hat er sich mit seiner Frau und dem kleinen Sohn in Richtung Norden aufgemacht, um sein Glück zu versuchen. "Wir wollen doch nur, dass unsere Kinder in Frieden leben", sagt seine Frau Ahla.

Flüchtlinge an der griechisch-mazedonischen Grenze

Chrissi Wilkens

NGOs sind vor Ort

Mittlerweile haben sich vor der Grenze mehr als 400 Personen versammelt. Mitglieder vom lokalen Solidaritätsnetzwerk und von NGOs verteilen Wasser, Lebensmittel und Kleidung an die Wartenden. HelferInnen von Ärzte Ohne Grenzen, die dort seit Monaten aktiv sind, fragen, ob jemand medizinische Versorgung braucht. Doch niemand will den Platz aufgeben, aus Angst, die Gruppe zu verlieren, was sehr oft passiert.

Das Team von Ärzte ohne Grenzen überlegt, was sie tun sollen, falls es wieder zu einer Eskalation kommt. Die Anzahl der Flüchtlinge, die über diese Grenze nach Mittel- oder Nordeuropa kommen wollen, wird in den kommenden Wochen nicht abnehmen, schätzen sie. "Anfang Juli ist die Situation zum ersten Mal eskaliert, im August wieder. Die EU muss eine Lösung finden, die nicht die Schließung der Grenzen ist. Und sie muss Länder wie Griechenland unterstützen, die täglich mit großen Flüchtlings-und Migrationsströmen konfrontiert sind", sagt Eliza Galli, Feldkoordinatorin von Ärzte ohne Grenzen.

Laut Medienberichten haben mehr als 40.000 Personen die griechisch-mazedonische Grenze in den letzten zwei Monaten überquert. "Allein vergangenes Wochenende waren es 5.000 Grenzübergänge. Wir bereiten uns in Zusammenarbeit mit den NGOs und dem UN-Flüchtlingsrat für den Winter vor. Da muss der Übergang geändert werden, es ist zu gefährlich für die Menschen, auf den Bahngleisen zu warten. Die Situation wird kritisch, wenn die Grenzen wieder schließen", fürchtet Christos Goundenoudis, der Bürgermeister von Peonia, der für den Ort Idomeni zuständig ist.

Flüchtlinge an der griechisch-mazedonischen Grenze

Chrissi Wilkens

Der Weg nach Gevgelija

Die Menschen auf den Bahngleisen bewegen sich. Die Militärpolizei kündigt an, dass sie die nächste Gruppe durchlassen wird. Nächstes Ziel der Flüchtlinge ist das mazedonische Städtchen Gevgelija. Dort werden sie von der Polizei registriert und bekommen ein Dokument, mit dem sie sich 72 Stunden im Land aufhalten und die Verkehrsmittel benutzen können. Die Flüchtlinge nehmen Busse oder Züge, um an die serbische Grenze zu gelangen und von dort aus nach Ungarn und dann nach Mitteleuropa zu kommen.

Bohar und ihre Familie befinden sich in der Gruppe, die jetzt los darf. Bohar ist sehr aufgeregt und schaut über die Grenze. Dorthin, wo der Weg durch die Felder nach Gevgelija führt. "Wir müssen sofort los! Alle meine Freunde, mit denen wir zusammen hergekommen sind, haben die Grenze schon überquert. Wir müssen aber zusammen bleiben, eine große Gruppe sein, um gemeinsam durch Serbien zu kommen."

Die junge Frau hat Angst vor der Mafia, die sich entlang der Balkanroute gebildet hat. Seitdem die Flüchtlinge in Mazedonien mit Bussen und Zügen bis zur serbischen Grenze weitereisen können, ist die Mafia dort geschwächt und kann von der Not der Flüchtlinge nicht profitieren. Große Geschäfte machen jetzt vor allem die Taxifahrer und die Busfahrer in Gevgelija, die einsatzbereit in der Nähe des Bahnhofs warten, um die ihre Kunden an die nächste Grenze zu bringen: Die von Mazedonien nach Serbien.