Erstellt am: 27. 8. 2015 - 18:45 Uhr
Flucht, Hunger und Traumatisierung
Mehr Menschen als je zuvor sind weltweit auf der Flucht vor Krieg, Verfolgung und Gewalt. Im Jahr 2014 waren es 60 Millionen Menschen, das ist bereits die höchste Zahl seit diese Statistik geführt wird - 2015 wird sie aber wohl noch höher ausfallen. Mit der Flüchtlingskrise einher gehen auch Hunger, Unterernährung und Traumatisierung. Die Caritas hat heute erneut zur Hilfe aufgerufen und die drängendsten Probleme in Erinnerung gerufen.
US Department of State - Public Domain
Christoph Schweifer ist verantwortlich für die Auslandshilfe der Caritas Österreich und seit mehreren Jahren regelmäßig in Krisengebieten unterwegs. Zuletzt war er in Jordanien, wo es rund 700.000 registrierte Flüchtlinge gibt - die meisten von ihnen kommen aus Syrien. "Wir haben viele Kinder gesehen, die ihre Stimme verloren haben", erzählt Schweifer, "weil sie schreckliche Dinge gesehen haben. Sie haben Tote gesehen, Leichenteile. Sie haben die Angst ihrer Eltern gespürt, und das nimmt ihnen das Gefühl von Sicherheit."
Foto: Erzdiozöse Wien
Die Caritas betreibt in Jordanien eines ihrer Zentren für Traumabehandlung. "Bei den Kintern geht es um Bettnässen, um Ängste und Depressionen, um zunehmende Fälle von Epilepsie. Die ganze Dramatik spiegelt sich in ihrem Wohlbefinden wieder."
Hunderttausende Kinder haben seit Jahren keine Schule besucht, sagt der Caritas-Mitarbeiter. Der Krieg raubt ihnen nicht nur die Gegenwart, sondern auch die Zukunft. Derzeit ist aber nicht einmal mehr die Ernährung der Flüchtlinge in Jordanien gewährleistet, so Schweifer - und das gilt nicht nur für Jordanien, sondern für alle Nachbarländer Syriens: "Für die Versorgung der vier Millionen Flüchtlinge in den Nachbarländern Syriens bräuchte es 4,5 Milliarden Euro für das Jahr 2015. Derzeit ist nur ein Drittel davon gesichert."
Zur aktuellen Diskussion in Europa, Lager etwa in Nordafrika aufzubauen, damit die Flüchtlinge nicht zu uns kommen, sagt Schweifer: Der erste Schritt müsse sein, die Hilfe vor Ort in den Nachbarländern Syriens sicherzustellen. Denn die mangelnde Grundversorgung und die Sorgen um die Zukunft ihrer Kinder treibe die Menschen in die Flucht nach Europa.
Kilian Kleinschmidt hat sich jahrelang in mehreren Krisengebieten aufgehalten - er war in Flüchtlingslagern in Pakistan, im Kosovo, in Kenia und im Südsudan. Zuletzt hat er das größte jordanische Flüchtingscamp geleitet - in dem Zaatari genannten Lager sind derzeit rund 100.000 Menschen notdürftig untergebracht.
Foto: UNHCR
"Ich habe selbst im Jahr 2014 miterleben müssen, wie die Ernährungshilfe immer mehr abgedreht wurde", sagt Kleinschmidt. "Das hatte schreckliche Konsequenzen. Familien haben ihre Töchter früher verheiratet oder prostituiert, Kinder zur Arbeit, Jungs zum IS oder anderen geschickt. Da geht es ums Überleben. Wenn die Menschen nicht einmal das Grundsätzliche haben zum Leben, brauch man sich nicht zu wundern, dass sie sich in Richtung Europa oder andere Regionen der Welt aufmachen."
Es wäre jetzt aber der falsche Weg, so Kleinschmidt, in Europa die Grenzen dicht zu machen: "Im Gegenteil, es geht darum, diese Grenzen kontrolliert aufzumachen. Kontrolliert Arbeitsmarktvermittlung zu betreiben, Studienplatzvermittlung, Lehrstellenvermittlung."
Ein Dollar pro Tag benötigt
Vor allem aber benötigen die Hilfsorganisationen, die in Krisengebieten tätig sind, mehr Spenden und mehr öffentliche Mittel. "Wir reden hier von sehr geringen Summen", sagt Kilian Kleinschmidt, "überhaupt wenn man es etwa mit den täglichen Ausgaben für Militäreinsätze vergleicht. Wir reden von einem US-Dollar pro Tag, um eine Person zu ernähren. Und selbst diesen einen Dollar schafft die Weltgemeinschaft nicht."