Erstellt am: 28. 8. 2015 - 11:32 Uhr
Tief unten
Wenn die Hauptfigur in einem Boxerdrama Billy Hope heißt, dann signalisiert das schon mal: Hier wird dick aufgetragen. Tatsächlich ist das im Fall von „Southpaw“ noch eine grobe Untertreibung. Regisseur Antoine Fuqua („The Equalizer“, „Olympus Has fallen“), ohnehin ein Freund der ganz fetten Pinselstriche, hat in Drehbuchautor und Machismo-Spezialist Kurt Sutter („Sons Of Anarchy“) einen Partner gefunden, der den Begriff „Subtilität“ schon lange aus seinem Wortschatz gestrichen hat.
Das wäre prinzipiell nichts schlimmes. Aber braucht die Welt noch einen weiteren Film, der sämtliche Boxer-Klischees aufwärmt, bei denen man sich schon bei weitaus spannenderen Regisseuren Bauchschmerzen holte? Und lautete die Versprechung von „Southpaw“ im Vorfeld nicht, endlich einmal auf knallharten Realismus statt auf „Rocky“-Zitate zu setzen?
Davon ist das Endprodukt jedenfalls weit entfernt. Nur Jake Gyllenhaal, der für die Vision von Fuqua und Sutter brutal aufgepumpt in den Ring steigt, träumte bei den Drehabeiten wohl noch von einem seriöserem Film. Vielleicht sogar von einem "Raging Bull" für das 21ste Jahrhundert, der emotionale und physische Tiefschläge so bündelt, dass der Zuseher am Ende verwundet und erschüttert aus dem Kino taumelt.
Tobis
Blut, Schweiß und Tränen
Ich für meinen bescheidenen Teil habe „Southpaw“ wohl noch am selben Tag vergessen beziehungsweise den Film als zwiespältige Sportler-Schnulze abgespeichert, die in glatter Hip-Hop-Videoästhetik abgespult wird. Möglicherweise sehen das viele Amerikaner anders, steht doch dieser Streifen in jeder Szene für den Traum, der die Nation im innersten zusammenhält. Billy Hope alias Gyllenhaal ist nämlich einer jener Underdogs, der in der urbanen Hölle aufgewachsen (ganz wortwörtlich im New Yorker Stadtteil Hell’s Kitchen) und sich aus dem Ghetto an die Spitze gekämpft hat.
Bis ein unglücklicher Zwischenfall mit einem Konkurrenz-Boxer eskaliert und in einem Schusswechsel ausgerechnet Billys geliebte Frau (Rachel McAdams) stirbt. Der Champion ist am Boden zerstört, seine Karriere entgleitet ihm, die kleine Tochter beginnt den Papa zu verachten. Der Sprung von ganz oben in die Gosse geht schneller als ihn sich Billy Hope in seinen dunkelsten Momenten auszumalen vermag.
Man ahnt schnell, wohin die Reise danach führt, der gute Mann mit dem etwas zerknautschten Gesicht trägt seinen Nachnamen eben nicht umsonst. Wie in allen zentralen Boxerdramen geht es in „Southpaw“ um Erlösung und Vergebung, die Figuren des Films nehmen für ganz Uneingeweihte diese Wörter auch gerne selber in den Mund.
Wie gesagt, Jake Gyllenhaal, der punkto Method-Acting-Exzess ein wenig versucht, Christian Bale den Rang abzulaufen, spielt in seinem eigenen Theater der Grausamkeit, dass durchaus eindringlich daherkommt. Forest Whitaker, Rachel McAdams und 50 Cent dagegen müssen sich in dieser blutverschmierten, schweißüberströmten und Tränen-durchtränkten Seifenoper an stereotypen Charaktervorgaben abarbeiten.
Tobis
Auf den Hund gekommen
Um eine ganz andere, naheliegendere Form von „Underdog“ geht es in einem Film des ungarischen Regisseurs Kornél Mundruczó, der im deutschen Sprachraum auch so betitelt wurde. „Fehér isten“, wie das ungewöhnliche Werk im Original heißt, beginnt mit einer der atemberaubendsten Eröffnungssequenzen des Jahres. Unzählige Hunde aller Größen hetzen eine menschenleere Straße in Budapest entlang. Dabei springen einem keine auffälligen Computertricks á la Hollywood ins Auge. Es sind echte Tiere, die da in einem riesigen Rudel durch die Stadt rennen.
Den Realitätsanspruch, auf dem dieser Anfang pocht, hält Mundruczo zumindest auf formaler Ebene durch, auch wenn die Story surreale Züge entwickelt. Dabei wirkt „Underdog“ zunächst wie ein trauriges, aber doch alltägliches Sozialdrama aus dem Ungarn des Hier und Jetzt. Die 13-jährige Lili (fesselnd: Zsófia Psotta), ein Einzelkind in einer Scheidungsfamilie, kommt in die Obhut ihres verbitterten Vaters. Der grantige Mann hat wenig Geduld mit dem besten Freund der Tochter, einem Mischlingshund namens Hagen. Als die Wohnungsbehörden auch noch Druck machen, setzt er das Tier bei einer Autobahnbrücke aus.
Ich verzichte hier auf eine weitere Inhaltsangabe, deute aber an, was ohnehin alle Trailer zu „Underdog“ offenbaren: Die Odysee von Hagen, dem Straßenhund wider willen, wandelt sich zu einem Horrorthriller, der in einer Hundeattacke auf Budapest kulminiert: „The Walking Dogs“ statt „The Walking Dead“.
Thimfilm
Wie der Filmtitel deutlich macht, versteht Kornél Mundruczó seinen tierischen Schocker aber auch als deutliche Parabel auf die Verhältnisse in seinem Land. Nicht umsonst sind die Bilder von streunenden Hunden immer wieder parallel geschnitten mit Jugendlichen, die am erzkonservativen Klima zu ersticken drohen oder auch mit sozialen Randfiguren. Es ist diese Solidarität mit den Außenseitern und Ausgegrenzten, die „Underdog“, trotz einiger dramaturgischer Durchhänger, zum Film der Stunde macht.