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Todor Ovtcharov

Der Low-Life Experte

26. 8. 2015 - 14:43

Die "Ewigen Zigeunerlieder"

Musik hören auf der Autofahrt von Varna nach Sofia.

Wir fahren von Varna nach Sofia. Meine liebe M. fährt, mit im Auto ist Arabella aus Vorarlberg. Ich habe keinen Führerschein, deshalb sorge ich für die musikalische Begleitung auf der Reise.

Mixtape!

Musik übers und zum Autofahren - mit und ohne "melodiösem Mainstream-Pop in englischer Sprache"

Ich erinnere mich an eine Fahrt auf der gleichen Strecke, als ich ein kleines Kind war. Mein Vater hat mir damals erzählt, dass mit dem Bau der Autobahn zwischen Varna und Sofia begonnen wurde, als er ein Kind war. Ich habe ihn damals gefragt, wann die Autobahn fertig sein wird. "Wenn meine Schuhe zum Blühen anfangen!", antwortete er.

Es ist eigentlich überflüssig zu erwähnen, dass die Schuhe meines Vaters nie aufgeblüht sind. Die Autobahn ist immer noch nicht fertig. Es gibt ungefähr 100 Kilometer Autobahn, dann muss man eine Umleitung nehmen. Vor der Umleitung gibt es eine Tankstelle. Dort kaufe ich eine CD mit dem Titel "Ewige Zigeunerlieder": "Geliam dade budurestte", "Djelem, Djelem", "Tsche Schukarie" und "Djurdjevdan" sind nur einige davon. Gesungen werden sie auf der CD vom Orchester "Kristali". Wir haben den perfekten Soundtrack für unsere Reise.

Die Landstraße führt mitten durch das Nichts. Neben uns ziehen sich die unendlichen Hügel der Donauebene vorbei. Plötzlich sind wir in einem Dorf mit unverputzten Ziegelsteinhäusern. Früher haben in dieser Gegend meistens bulgarische Türken gewohnt. Heute sind die Türken ausgewandert - in die Türkei oder nach Westeuropa. An ihre Stelle sind Roma getreten.

Im Dorf müssen wir langsamer fahren. Da unser Auto keine Klimaanlage hat, fahren wir mit weit geöffneten Fenstern und die Musik ist weit zu hören. Aus den Fenstern, hinter den Zäunen oder von den Obstbäumen betrachten uns neugierige Gesichter. Sie winken uns freundlich zu und wenn sie die Musik hören, fangen sie an zu tanzen. Wir im Auto tanzen auch. Als wir aus dem Dorf hinausfahren, müssen wir kurz halten, da eine Kuhherde über die Straße will. Die beiden Burschen, die mit den Kühen mitgehen, tanzen zur Musik und die Kühe wedeln mit ihren Schwänzen im Takt. "Schau!", sagt M., "Die Kühe tanzen auch mit ihren Schwänzen!" Wenn ihr mich fragt, haben die Kühe nur die Fliegen vertrieben, aber die Version von M. ist viel romantischer. Alle Kühe sind sorgfältig nummeriert, die gelben Nummern leuchten in der prallen Sonne. Das EU-System für die Tierkontrolle hat auch dieses Dorf erreicht. Wir winken den zwei Burschen zu, die Kühe gehen aus dem Weg und wir fahren in einer Staubwolke weiter.

Donautiefebene in Bulgarien

CC BY-SA 3.0 Svik from bg

CC BY-SA 3.0 Svik from bg, Donautiefebene in Bulgarien

Kurz danach erreichen wir einen Rom mit Goldzähnen und Sonnenbrille, der mit einem Fahrrad einen Hügel hochfährt. Als er die Musik hört, fängt er an Zick-Zack zu fahren. Er tanzt auch und macht es uns schwer, ihn zu überholen. Ich beaobachten durch den Rückspiegel lange seine Bemühungen wieder gerade zu fahren. Die Musik hat seine Seele berührt und er kann nicht einfach so weiterfahren. Wir fahren weiter und hören die "Ewigen Zigeunerlieder". Wir tanzen. Unsere Freundin aus Vorarlberg tanzt am meisten.

Ich erinnere mich an einem Konzert von "Karandila junior" in Wien. Damals waren die "Juniors" tatsächlich kleine Kinder. Ich habe zum ersten Mal in meinem Leben so junge Menschen gesehen, die mit ihren Instrumenten Wunder wirken konnten. Sie spielten außer Romamusik noch New Orleans Jazz, Bebop und Boogie. Ich glaube, sie konnten auch Beethoven spielen, nur nach dem Gehör. Auf diesem Konzert tanzten die normalerweise introvertierten Österreicher bis zum Umfallen. Sie haben in sich diese uralten Rhythmen geweckt, die der Staub der Zivilisation überdeckt hat und waren einfach sie selbst. So wie wir auf unsere Reise auf dem "Lost Highway".

Ein wenig später erreichten wir wieder die Hauptstraße. Die CD war zu Ende.