Erstellt am: 26. 8. 2015 - 15:06 Uhr
The daily Blumenau. Wednesday Edition, 26-08-15.
#demokratiepolitik #asylpolitik
The daily blumenau hat im Oktober 2013 die Journal-Reihe (die es davor auch 2003, '05, '07, 2009 und 2011 gab) abgelöst. Und bietet Einträge zu diesen Themenfeldern.
Siehe dazu auch: Tuesday Edition, 04-08-15: Der ewige Kampf um die Deutungshoheit. Heute: Wer ist Terrorist?
Das ganz Besondere am ohnehin schon sehr speziellen Flüchtlings-Engagement des populären Schauspielers Til Schweiger ist die Radikalität seiner Vorgangsweise: Er benennt das, was alle anderen mit kaschierenden Begriffen umschreiben, ganz ohne Umschweife. Das ist etwas, was gerade einmal Intellektuelle - wie Sascha Lobo mit seiner Neu-Definition von Terrorismus oder David Schalko - wagen, was zuständige Polit- und Amts-Profis und sonst gerne gesichtsbadnehmende Promis jeder Art aber um jeden Preis meiden. Weil es in der aktuellen Populismus-Konjunktur schnell und schrill Minusprozente bringt und selbst die eigene Fan-Base aufwiegeln kann.
Til Schweiger ist das auf eine bemerkenswerte Weise - bis hin zur persönlichen Risikonahme - komplett egal. Auch im klassenübergreifenden Sinn: Wer seine tiefhumanistische Hilfeleistungs-Philosophie anpinkelt, wird von ihm retour angepflaumt, egal ob halbanonymer kleiner Social-Media-User oder hochrangiger Politiker.
Der interessanteste Aspekt des neuen Gegenwinds, den diese Koalition der xenophoben Rechtsextremen und loserangstgeprägten Absteigern gerade von der anfänglich wie eine Fehlbesetzung wirkenden, mittlerweile in seine Rolle wuchtig hineingewachsenen Figur Til Schweiger bekommt, bündelte sich in seinen scharf geschnitteten Wutsätzen jüngst in der Maischberger-Sendung. Er schrie (und er schrie vielleicht auch, weil er in der zugeschalteten Außenstelle Tonprobleme hatte, aber in erster Linie, weil er scheißwütend war), als ihn ein CSU-Mann mit klassischen Gutmenschen-Anwürfen auflaufen lassen wollte, dass Fremdenhass, der Fremdenhass, dem genau solche Politiker wie der Nämliche im Studio ungenügend begegnen, verfassungsfeindlich sei. Und also strafbar. Und also kein Kavaliersdelikt, für das man Verständnis zeigen soll und darf, weil es sich auch hierbei um Wähler handelt, deren Anliegen und Probleme man ernst etcetcblabla...
Zu Fremdenhass aufzurufen, schreit Schweiger, ist verfassungsfeindlich!
Schweiger hat damit, wohl ohne es zu wissen, denn ich glaube nicht, dass er Habermas gelesen hat - seine Eltern wohl, aber die (und so auch deren Bibliothek) lehnt er ja ab - den aus dem Blickfeld verschwundenen Begriff des Verfassungspatriotismus wiederbelebt und als ideologischen Motor für eine unsortierte Bewegung gestartet.
Der Verfassungspatriotismus definiert eine Gesellschaft/einen Staat über seinen Willen gemeinsame politische Werte (nennen wir es: Demokratie) anzuerkennen und nicht über ethnische und sprachliche Gemeinsamkeiten. Die Verfassung, auf die sich die soziale Gemeinschaft geeinigt hat und beruft, definiert uns, nicht archaische Rückgriffe auf eine (eh nur virtuelle, allzu oft erfundene) autochtone Vergangenheit.
Das ist eine deutsche Philosophie und sie war notwendig, um zu verhindern, dass die Deutschen jemals wieder in die Nähe der kriegsverbrecherischen teutonischen Germanenwahns der Nazis kippen. Es ist aber ein letztlich globales Konzept für Vielvölker- und/oder Einwanderungs-Länder, in der Schweiz etwa nennt es sich Willensnation, auch die USA oder Kanada funktionieren in ihrer Praxis nach diesem Muster. Erinnert euch daran, wenn in der nächsten US-Krimi-Serie die verhassten Feds einen rechtsradikalen und terroristischen Mob auseinandernehmen.
Der Verfassungspatriotismus (der Minderheiten-Schutz und Integration als kraftgebende Elemente nutzt weil er ohne inneres und äußeres Feindbild auskommen kann) zieht zudem eine deutlich klarere Trennlinie hin zu autoritären Systemen, die praktisch immer über die Mythen/Symbole ethnischer Einheit funktionieren - von Ungarn bis Nordkorea.
Auf dieser Basis schreit Schweiger seine Intervention heraus - als bewusste Abgrenzung zu jenen, die die Verfassung loswerden und sich in völkische Tümelei und in isolationistische Blut&Boden-Romantik zurücksehnen. Oder sich gar in religiösen Fundamentalismus flüchten und das christliche Abendland hochleben lassen mögen; am besten in einem Format, das dem gegnerischen Kalifat Paroli bieten kann.
Und so benennt ein letztlich nur als Schauspieler zu Einfluss Gekommener deutlich präziser als jene, deren eigentliche Aufgabe das wäre, die Ideologie der Bruchlinie, die sich durch die deutsche ebenso wie die österreichische Gesellschaft zieht, benennt den Mob und seine Befeuerer, zeigt den Verfassungsbruch. Und beschämt so Politiker, Medien, Analysten und Philosophen. Und mich auch.