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Christian Lehner Berlin

Pop, Politik und das olle Leben

25. 8. 2015 - 17:30

Straight Outta Compton – Die Interviews

Wir haben Ice Cube, seinen schauspielernden Sohn O’Shea Jackson Jr. und Regisseur F. Gary Gray zum Film-Talk in Berlin getroffen.

"The Strength of Street Knowledge", wie die Anfangszeilen des N.W.A-Debüts "Straight Outta Compton" lauten, hat sie bis hierher geführt. Das Ritz-Carlton-Hotel am Potsdamer Platz in Berlin wirkt wie das Setting eines Bling-Bling-Hip-Hop-Videos. Marmor, roter Samt und Gold so weit das Auge reicht.

Wir sind insgesamt neun Journalisten an einem Tisch. Die Interviewpartner rotieren von Zimmer zu Zimmer. 20 Minuten bekommt jede Journalistengruppe pro Interview. Das ist nicht viel. Man muss die Zeit untereinander aufteilen, muss auf gut vorbereitete KollegInnen hoffen und kann sich glücklich schätzen, zumindest ein, zwei Fragen anzubringen.

Straight Outta Compton Cast

Universal Pictures

Clockwise: Ice Cube, F. Gary Gray, Dr. Dre, O'Shea Jackson Jr., Jason Mitchel, Corey Hawkins

Ice Cube

Den Anfang macht Ice Cube. Dicke Sonnenbrille auf der Nase und natürlich eine Basecap auf dem Kopf. Es ist nicht die der LA Raiders. Ein Kollege fragt, ob Cube mit der schauspielerischen Leistung seines Sohnes zufrieden war, der ihn im Film darstellt. "Jeder wäre wohl stolz auf sein Kid", antwortet Cube ohne sichtliche Regung. Ein anderer Kollege will wissen, wie es ist, wenn man sein eigenes Leben auf dem Big Screen vorbeiziehen sieht, und Cube wird plötzlich munter:

"Für mich ist es immer noch unglaublich, dass sich Hollywood überhaupt für diese Geschichte interessiert hat, und zwar nicht nur für den Aspekt der Hood und des toughen Aufwachsens dort, sondern ganz konkret für mich als Mensch und Musiker. Irgendwie fühlt sich das immer noch an wie ein Traum."

Mit "Hollywood" meint Ice Cube wohl auch ein bisschen sich selbst. Immerhin ist er dort mittlerweile ein Big Shot – als Schauspieler und Produzent. Über die Nummer eins der Kinocharts freut er sich sichtlich. Dr. Dre und er haben das Script überwacht und den Film kofinanziert. Jetzt klingeln die Kassen.

Als ich dran war

Nach zehn Minuten darf euer FM4-Reporterchen eine Frage stellen. Sie bringt uns an den Anfang des Films, als man einen blutjungen Ice Cube mit Notizblock durch die gewalt- und angsterfüllte Neighborhood von Compton wandeln sieht. Ich will von Cube wissen, wann er die Notwendigkeit spürte, Reality-Raps zu schreiben, wie er seine Reime im Movie nannte.

"Wir waren fünf verschiedene Charaktere mit fünf verschiedenen Backstorys und Zugängen. Ich beobachtete einfach, was in der Hood passierte, und schrieb es auf: das Drogendealen, das Gang-Banging, die Übergriffe der Polizei. Ich dachte, wenn du ein Mic hast, dann sag gefälligst was. Reality-Rap, das war mein Zugang."

Eine Kollegin erkundigt sich nach einer Schlüsselszene. Ice Cube trennt sich im Streit von N.W.A, weil Eazy-E und der Manager Jerry Heller den Rest der Band finanziell benachteiligen. Man merkt an Cubes Reaktion, dass die damals erlittene Kränkung noch heute schmerzt. Plötzlich wirkt er wie vom Stuhl verschluckt. Seine Stimme klingt brüchig. "Ich hasste es. Ich vermisste meine Brüder. Aber ich musste da durch, sonst hätte ich nicht mehr in den Spiegel schauen können." Nächste Frage: Eazy-E war ein Grund für Ice Cubes Ausstieg. Der Beef zwischen Cube und dem Rest von N.W.A ist legendär.

Ice Cube - Straight Outta Compton

Universal Pictures

Und doch bekommt "E" im Film viele Props. Über weite Strecken wirkt "Straight Outta Compton" wie eine Hommage an den 1995 verstorbenen MC. Obwohl DJ Yella als einziges M.W.A-Mitglied beim Begräbnis von Eazy-E anwesend war, schlägt das Biopic am Ende versöhnliche Töne an. Die letzten 15 Minuten weichen dann auch am deutlichsten von den realen Begebenheiten ab. Die angedeuteten Comeback-Pläne, die laut Movie nur vom Tod Eazy-Es durchkreuzt wurden, kommentiert Ice Cube nicht:

"Bei den Dreharbeiten haben wir jede Minute an ihn gedacht. Wir wollten seinen Spirit würdigen. Ich glaube, er hätte jede Szene des Film geliebt."

Schon sind die 20 Minuten um. Eine Kollegin will abschließend wissen, ob es für Ice Cube nicht frustrierend sei, dass 25 Jahre nach N.W.A noch immer so viele schwarze Jugendliche in den USA durch Polizeigewalt ums Leben kommen.

"Wir dachten nie im Leben daran, dass unsere Musik je den Underground verlassen würde. Als es dann doch passierte, gaben wir uns aber nicht der Illusion hin, dass es etwas an der Situation verbessern würde. Dennoch wollte ich darauf aufmerksam machen. Und ich denke, die Menschen schauen heute genauer hin. Früher kamen die Cops mit allem davon. Heute kann sie jeder filmen. Die Übergriffe haben nicht notwendigerweise zugenommen, die Cops werden bloß öfter erwischt. Bei uns lag das noch im Dunkeln. Jetzt ist es so, als hätte jemand das Licht angemacht."

O'Shea Jackson Jr. und Jason Mitchel

Die Darsteller von Ice Cube und Eazy-E sind als Nächstes dran. Die beiden Jungs wirken wie von der Leinwand gefallen. Goldketten, Tattoos und aufgedreht flotte Sprüche. Das Energielevel im Interviewraum steigt sprunghaft. Ice Cube wird von Ice Cubes Sohn O'Shea Jackson Jr. gespielt. Es war seine erste Rolle überhaupt, und die musste er sich hart erarbeiten. "Zwei Jahre vorsprechen. Dann erst haben sie mich genommen. Das hat natürlich gesuckt, aber ich bereue es trotzdem nicht", grinst er.

Eazy-E wird ebenfalls von einem Newcomer gespielt, und zwar von Jason Mitchel. Die Darstellung der jungen Schauspieler ist das eigentliche Highlight des Films. Obwohl O'Shea und Jason wohlbehütet und abseits der Ghettos aufgewachsen sind, mussten sich die beiden emotional nicht erst großartig auf ihre Rollen vorbereiten. Ich erzähle ihnen, dass meine Recherchen zu einer Stop-And-Frisk-Story in New York ergaben, dass es anscheinend keinen schwarzen Jungen gibt, der nicht schon einmal ohne Grund von der Polizei unsanft angegangen wurde.

NWA - Straight Outta Compton

Universal Pictures

Dazu Jason: "Die Bedrohung ist allgegenwärtig. Man bereitet sich innerlich darauf vor, wenn man das Haus verlässt. Du musst damit rechnen, dass du möglicherweise dein Leben verlierst. Es ist so normal, dass es schon wieder krank ist. Meine Eltern bereiteten mich bereits als Kind auf diese Konfrontation vor. Wehr dich ja nicht! Greif nicht in die Hosentaschen! Sick ist das."

O'Shea Jackson rasselt mit seinen Goldketten: "Wenn ich mich in dieser Aufmachung auf den Straßen blicken lasse, werde ich von den Cops sofort hochgenommen. Dookie Ropes? Gang Activity! Hier sind meine Sneakers. Sie haben rote Schuhbänder. Gang Activity! Im Auto nehme ich meine Basecap ab, sonst heißt es: Gang Activiy!"

Ice Cube

Unknown

Ice Cube mit "Jerry Curls" in der Highschool

Wann sich die junge Schauspieler-Crew das erste Mal als Unity erlebte, will ich von O'Shea und Jason wissen. "Im Skateland!", shouten beide gleichzeitig. "Zwei Monate nahm die Vorbereitung auf den Auftritt in Anspruch. Es war für uns als Cast, aber auch für die Band damals der erste Prüfstein als Livecrew. Erst auf der Bühne vor Publikum zeigte sich, ob wir als Gruppe tatsächlich funktionieren. Und wie wir funktionierten!"

Großes Gelächter, als ich O'Shea auf das berühmte Highschool-Foto seines Vaters anspreche. Über den Vokuhila habe er wohl so lange gelacht, bis er selbst die Perücke aufsetzen musste.

"Bei uns nennt man diese Matte ,Jerry Curls‘. Eazy-E trug seine Haare auch so. Jason und ich haben uns vorgenommen, die Jerry Curls wieder hip zu machen. Es funktioniert wie ein Superman-Cape. Sobald du die Perücke aufsetzt, zoomst du dich direkt in die 80er Jahre. Wenn der Look also wieder modern wird, weißt du, wen du dafür verantwortlich machen kannst!"

F. Gary Gray

Als letzter Interviewpartner wird Regisseur F. Gary Gray in den Raum gebeten. Auch er ist in Compton aufgewachsen. Den Stadtteil wollte er als eigenständigen Charakter inszenieren. Die Produzenten mussten zunächst mit den Gangs verhandeln, um an Ort und Stelle drehen zu dürfen:

"Wir haben so viele Menschen wie möglich in den Dreh eingebunden. Sie haben Security-Jobs und anderes erledigt. Das war uns wichtig. Wir wollten uns nicht abschotten. So ist Compton ein Darsteller geworden."

Auf die Feststellung, dass Death-Row-Mitbegründer und Obergangsta Suge Knight am Set einen Autounfall mit Todesfolgen verursachte und deshalb jetzt mit Mordanklage in Untersuchungshaft sitzt, antwortet Gray ausweichend.

"Das passierte im Vorfeld bei einem Promo-Dreh. Das ist natürlich traurig, hatte aber mit dem eigentlichen Filmarbeiten nichts zu tun." Dann kommt es zu einer peinlichen Situation. Eine Kollegin fragt in schlechtem Englisch, wann Gray beschlossen hat, Filmemacher zu werden und sich nicht einer Gang anzuschließen, ganz so, als wäre das der Standardjob eines schwarzen Jugendlichen. Gray fragt nach, ob er sich verhört habe und kontert trocken: "Ich habe mich für den Beruf des Filmemachers entschieden, weil man da in der Regel länger lebt."

F Gary Gray - Straight Outta Compton

Universal Pictures

Ein Filmjournalist fragt, wie Gray es fertiggebracht hat, dem Film ein so authentisches Feeling einzuhauchen, wo man doch beim Thema nur allzu leicht in die Klischeekiste fallen könne. Grays Antwort: "Casting! Wir haben zwei verdammte Jahre nach diesen Typen gesucht ,und sie mussten immer und immer wieder vorsprechen, bis sie schließlich die Parts bekommen haben. Natürlich hat es auch geholfen, dass bis auf Eazy-E alle N.W.A-Mitglieder noch am Leben sind und den Schauspielern als Mentoren zur Seite standen."

Dass der Film überhaupt in die Kinos gekommen ist, grenzt laut F. Gary Gray an ein Wunder. Das Script hatte Jahre gebraucht, um die Zustimmung aller Beteiligten zu erhalten. "Straight Outta Compton" kann mit keinem Superstar-Cast aufwarten. Die Musikrechte mussten erst geklärt werden. "Dass wir dann mit einem R-Rating das Box-Office knacken, und das im Sommer, damit konnte wirklich niemand rechnen. Viele sprechen bereits von einem Game-Changer", freut sich Gray.

Und schon neigt sich auch diese Fragerunde ihrem Ende zu. Abschließend will ich noch wissen, warum der Regisseur so viele nackte Frauen im Film auftanzen lässt und ob er die exzessiven Party-Pool-Szenen bewusst als fantastischen Kontrapunkt zu der harschen Realität Comptons angelegt hat. "Es war alles so wie dargestellt. Da ist nichts übertrieben. Ich kann das bezeugen, weil ich damals ja selbst dabei war. Wenn du mir nicht glaubst, google einfach 'Eazy-E Pool Party' und du wirst sehen, dass ich recht behalte."