Erstellt am: 25. 8. 2015 - 15:05 Uhr
Es war einmal ein Land
Goldmann Verlag
Als ihr 1990 in München die deutsche Staatsbürgerschaft angeboten wird muss sie sich plötzlich für ein Land entscheiden. Ein Jahr nachdem die Mauer gefallen war, der Krieg in Jugoslawien steht kurz bevor. Man will sie ihrer Herkunft berauben, sie soll ihr Land im Stich lassen - so sieht das die gerade volljährig gewordene Danijela Pilic. Ihre Eltern sind pragmatisch, denn die Herkunft könne ihr niemand nehmen, meinen sie. Es sei bloß der Pass, den sie tauschen müsse. Angesichts der politischen Situation in Jugoslawien eine Frage von Sicherheit. Doch erst der Beamte, der ihre Aufenthaltsgenehmigung verlängern soll, führt Danijela Pilic die Situation vor Augen.
"Ich saß in einem Wartesaal der Ungewissheit, nicht wirklich meiner, sondern der der anderen: Ihre Nummern wurden aufgerufen, und an einem Schreibtisch entschied ein Fremder über ihr Schicksal: ob nun für 6 Monate Ruhe war oder für 1 Jahr, ob Familien zusammenbleiben würden, ob man arbeiten durfte. Oder eben nicht, und was dann?"
Im Deppeninfinitiv, wie Danijela Pilic es nennt, spricht sie der Beamte an: „Frau Pilitisch, du wollen Stempel?“, und dass obwohl sie viel besser Deutsch spricht als er. Sie entscheidet sich gegen die Willkür und für die Staatsbürgerschaft. Denn sie hat eine Wahl. Die Frage woher sie kommt, bleibt eine der ihr am häufigsten gestellten Fragen überhaupt. Und die Antwort darauf ist immer schwierig. Die Reaktion ebenso, vorallem wenn sie sagt: Jugoslawien.
Bura, Jugo und Maestral
Maxime Ballesteros
Danijela Pilic, geboren 1971, ist seit Abschluss ihres Studiums im Fach Writing an der Middlesex University in London als Journalistin und Redakteurin in den Bereichen Mode, Lifestyle und People tätig, zuletzt als Editor At Large bei Vanity Fair. Zurzeit schreibt sie u.a. für den 'Playboy' und hat ein Stilblog auf glamour.de. 2010 erschien ihr erstes Buch 'Yoga Bitch. Wie Yoga nicht nur meinen Hintern, sondern auch mein Leben veränderte'. Danijela Pilic lebt und arbeitet in München.
Mit 10 Jahren kommt Danijela Pilic nach München. In Split - heute Kroatien - wächst die Autorin auf. Eine quasi unbeschwerte Kindheit in den 1970ern mit Blick aufs Meer, von den Launen des Windes bestimmt. Die Fröhlichkeit der Sommermonate wird durch den luftig leichten Wind, den Maestral bestimmt, der kleine Wolken über den Himmel schiebt. Der Jugo ist der Wind, der alle verrückt macht, unzurechnungsfähig. Die Bura, ein kalter trockener Nordost Wind, vom Kontinent her, macht die Knochen feucht und bringt die Leute zum Jammern.
Die Farben des Windes sind für ihren Großvater von Bedeutung. Der Jugo ist Grau und Gold und die Bura grün und blau.
Danijela Pilic hat mit "Sommer vorm Balkan" ein Buch über die Farben, Geschichten und Geschmäcker ihrer Kindheit geschrieben. Von Dichtern, Bildhauern und Erfindern und über ihre Sehnsucht nach gutem Essen, das es in ihrer neuen Heimat so nicht gab. Wie Eurokrem oder gutes Fleisch. Denn in Deutschland schmeckt selbst das beste Fleisch höchstens wie eine Rindersohle, schreibt sie. Ihre Großeltern waren Fleischer von Beruf. Fleisch kam zu fast jeder Mahlzeit auf den Tisch. "Ich atmete Fleisch als Kind, ich liebte es." Und wenn einmal kein Fleisch auf den Tisch kam, dann gab es Fisch.
Ein bosnischer Spruch bringt das auf den Punkt: "Jebeš jelo koje kurac nije napravio", zu Deutsch: "Fick das Essen, das kein Schwanz gezeugt hat."
Pilic' Sprachverliebtheit blitzt hinter jeder Seite auf. Sie übersetzt Sprichwörter und Flüche, die einen Einblick in die auf deutsch manchmal rauh wirkenden Umgangsformen geben. Man erfährt von den Schwierigkeiten des Erlernens der deutschen Sprache wenn plötzlich drei Fälle fehlen, die es im Serbokroatischen aber gibt. Oder warum manche Menschen, die aus Jugoslawien kommen so deutsch sprechen wie sie eben sprechen. Wie die Eltern der Autorin.
In der Schule hat die Autorin keine Probleme, außer wenn sie in ihrem besten Kleid und mit Lackschuhen zum Wandertag kommt. Sie wundert sich darüber, dass es zwar keine Schuluniform gibt aber dafür Plastikumschläge für die Hefte in der Schule. Grün für Biologie, Gelb für Englisch und Rot für Deutsch. Oder Schilder gibt auf denen "Spielen verboten" oder "Rasen betreten verboten" steht. Oder das Tito in Deutschland ein als Diktator gesehen wurde.
"Tito fasste seine job description einmal so zusammen: Ich regiere ein Land mit 2 Alphabeten, drei Sprachen, vier Religionen und 5 Nationalitäten, die in 6 Republiken leben, von 7 Nachbarn umgeben sind und mit 8 Minderheiten auskommen müssen."
In ihrem Roman gibt Danijela Pilic nicht nur Einblick in ihre Familiengeschichte sondern erklärt auch den Kommunismus aus ihrer Sicht, erzählt von der Staatstrauer als Tito 1980 gestorben war und vom Krieg, den sie nie für möglich gehalten hatte.
"Sommer vorm Balkan" ist vielleicht manchmal etwas flapsig geschrieben und anfangs drängen sich dicht an dicht historische Anekdoten aber es bringt sehr unterhaltsame und bisher unbekannte Details über Jugoslawien (als es noch Jugoslawien war) ans Licht und eignet sich hervorragend als literarischer Reiseführer für Kroatien.