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Christian Lehner Berlin

Pop, Politik und das olle Leben

25. 8. 2015 - 10:03

Straight Outta Compton - Review

Das gelungene Biopic "Straight Outta Compton" zeichnet den Aufstieg und Fall der ersten Gangsta-Rap-Gruppe N.W.A nach.

Intro: Straight outta Fucklabruck

New York im Dezember 1988: Zwei oberösterreichische Landeier erkundigen sich in der Plattenabteilung einer Shopping Mall nach den heißesten Hip-Hop-Scheiben. Der Verkäufer reicht mir und meinem Bruder zwei Musikkassetten. Da es keine Vorhörmöglichkeiten gibt, sind wir auf seine Expertise angewiesen. „The hottest shit?“, „The hottest shit!“.

Straight Outta Compton

Universal Pictures

Ich kann mich noch an das diabolische Grinsen des Verkäufers erinnern. Wenig später, im Auto meines Vaters, der damals in Yonkers lebte, wird auch klar warum. Die erste Kassette stammte von einer Band, deren Namen sich cool anhörte. New Kids on the Block, das klang nach wilden Abenteuern auf den Straßen eines verruchten Stadtviertels, entpuppte sich aber im Tape-Player des Autoradios schnell als tranige Weichspülmusik für das Mainstream-Radio. Die erste Boygroup-Platte moderner Prägung fand schnell den Weg in die finstere Nacht.

Doch die zweite Kassette, oh, diese zweite Kassette war pures Gold! Schon bei den ersten Takten von Eazy-Es Eazy Duz It, bekamen wir einen hochroten Kopf und der gebrauchte Toyota meines Dads verwandelte sich in ein imaginäres Jumpcar. Die F-Bomben, der derbe Witz, die toughe Sprache, das alles war fremd, furchteinflösend, extrem funky und gerade in dieser Mischung unwiderstehlich. Wir ahnten, dass wir mit dieser Platte im Gepäck die Kings of Fucklabruck (Street-Slang für Vöcklabruck, OÖ) sein würden. Zumindest in der Fantasie.

Wir hatten damals keine Ahnung, dass es weiße Mittelstandbubis wie wir waren, die in den USA Jugendschützer und Moralapostel auf den Plan riefen. In den Augen des Establishments wurde Gangsta-Rap erst dann zu einem Problem, als er sich anschickte, die Ghettoblaster der innerstädtischen Slums zu verlassen, um die Jugendzimmer der weißen Suburbs zu infiltrieren. Die einsetzenden Boykottversuche durch Tipper Gore und Co. betrafen zeitgleich auch den Heavy Metal und bescherten der Nachwelt die berüchtigten „Parental Advisory“-Stickers. Und sie katapultierten die Bad Boys des Pop direkt in den Charts-Himmel, denn die auf den Covers angebrachten Warnungen wurden von den Fans als Credibility-Zertifakte gelesen.

Der Film

Eazy-E war der real deal. Aufgewachsen ist Eric Lynn Wright im Stadtteil Compton im Süden von Los Angeles. Die Neighborhood war in den siebziger und achziger Jahren zu einem Ghetto verkommen. Gangs wie die Bloods oder Crips kämpften um die Vorherrschaft. Die neue Droge Crack-Cocaine zerstörte viele Familien und den sozialen Kitt der Hood. Der Staat ließ sich bloß in der Gestalt grimmiger Cops mit gezückten Schlagstöcken blicken. Mittendrin im Chaos Eazy-E, ein kleinwüchsiger Thug und Dealer, der versucht, über die Runden zu kommen.

Hier steigt das N.W.A Biopic „Straight Outta Compton“ ein. Wir sehen Eazy-E bei einem Deal in einer Drogen-Hütte, der das Street-Kid nach einigen flotten Dialogen in den Lauf gleich mehrerer Knarren starren lässt. Gerettet wird „E“ ausgerechnet von den Cops, die sich mit Hilfe eines Panzerwagens unsanft Zugang zum Haus verschaffen. Über die Dächer entkommt Eazy-E erneut der Gefahr. Bereits in diesen ersten Szenen wird klar: Compton ist ein Kriegsschauplatz mitten in Los Angeles.

Straight Outta Compton

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Kurz darauf fahren wir mit O’Shea Jackson im Schulbus durch die Hood. Der Nachwuchspoet führt einen Notizblock mit sich. Darin schreibt er auf, was er beobachtet. Er sieht, wie Gang-Mitglieder Schulkids einschüchtern, Cops scheinbar wahllos die schwarze Bevölkerung terrorisieren und er beobachtet das unerreichbar ferne Leben der Weißen, die im Polo-Shirt zu den Klängen von New Wave ihre BMW-Cabrios zur nächsten Pool-Party steuern.

Ein weiterer Cut führt uns in das Kinderzimmer von Andre Romelle Young, den wir heute als Arzt ohne Praxis kennen: Dr. Dre. Der arbeitslose Jungvater träumt sich mittels alter Jazz-Platten, die er im Gedanken sampelt, schwarze Zukunftsmusik zusammen, die dem Hip Hop der Ostküste endlich einen eigenständigen LA-Sound entgegensetzen soll. Die Schelte seiner Mutter reißt ihn jedoch aus den Träumen. Abends verdingt sich Dre als DJ in einem schwülstigen R’n’B Schuppen. Dort trägt man noch Jerry Curls und Disco-Overalls.

The World’s Most Dangerous Group

Schnell führen die Wege der drei Hauptfiguren zusammen und schon befinden wir uns in diesem magischen Moment, ohne den kein Musik-Biopic auskommt: die Geburt des Sounds, der etwas Neues verspricht, etwas, das tatsächlich so noch nicht war, aber alles sein wird. Plötzlich hängen die Sterne tief. Dr. Dre hat soeben im Studio das Mic an Eazy-E übergeben und der Gangsta, der eigentlich nur den Plattenfirmen-Boss seines neu gegründeten Labels „Ruthless Records“ geben wollte, wird plötzlich zum Rapper. „E“ droppt die von Ice Cube geschriebene Line: „Cruisin‘ down the street in my 64“ und wie sagt man so schön: the rest is history.

Szenen wie diese tragen den Film und diese Szenen werden von ihren Darstellern getragen. Allen voran O’Shea Jackson Jr., Sohn von Ice Cube, der im Biopic seinen Vater spielt und für den Erhalt der Rolle laut eigener Auskunft sehr viel Überzeugungsarbeit leisten musste. Und Jason Mitchel, der Eazy-E darstellt. Auch er ein Schauspiel-Novize. Auch er sehr überzeugend in seiner Rolle.

In diesen intensiven Momenten der Gruppe spürt man die Spannung zwischen den Mitgliedern und die Power ihres Sprechgesangs, den Ice Cube zunächst „Reality Rap“ nannte und der viel mehr war als die comichafte Prosa von einigen Straßenkötern. Im von Reagan und Bush Sr. konservativ geprägten Amerika brauchte es diese Bösebuben-Texte, damit die breitere Öffentlichkeit überhaupt Notiz vom Überlebenskampf der schwarzen Bevölkerung in den Ghettos nahm.

Straight Outta Compton

Universal Pictures

Das 1988 erschienene Debütalbum „Straight Outta Compton“ gilt als straßenschlaues Pendant zu den Raps von Public Enemy aus New York City, die sich als „CNN for black people“ (Chuck D. Anm.) verstanden. Es war ein Aufschrei, der sich bewusst vom formal weniger aufrührerischen Soul der Bürgerrechtsbewegung abheben wollte. N.W.A stand für "Niggaz Wit Attitudes". Insbesondere derTrack „Fuck tha Police“ zog die Aufmerksamkeit der Behörden auf sich. Bald schrieb das FBI einschüchternde Briefe und begann N.W.A-Gigs zu überwachen.

Doch statt sich dem Druck zu beugen, pochten die finsteren jungen Männer auf das ur-amerikanische Recht auf Meinungs- und Redefreiheit und behielten so die Oberhand. Zu einer NGO mit drastischen Mitteln sollte man N.W.A. deshalb aber nicht verklären. Der Film kann dieser Versuchung zwar nicht immer widerstehen, doch die weniger altruistischen Motive weichen gar nicht so weit ab vom allgemeinen Sex and Drugs and Rock’n’Roll-Mantra, wie man eh nicht vermuten würde. Sie wurden von Regisseur F. Gary Gray („The Italian Job“) in oppulenten Party-Sequenzen mit viel Bling-Bling und wenig Tuch am Bein inszeniert. Die Bilder erinnern nicht zufällig an Musikvideos aus den neunziger Jahren, war es doch F. Gary Gray, der damals viele dieser Clips filmte.

Ohne Star-Cast an die Spitze der Box-Office-Charts

Gray zeichnet den Aufstieg und Fall von N.W.A mit viel Emphatie für die handelnden Figuren und die Bevölkerung seiner Hood nach. Auch er stammt aus Compton. Zwischen Eazy-E und Ice Cube verlaufen die Linien, die Gangsta-Rap zu einem der kontroversiellsten Popstile zwischen Verherrlichung und Beschreibung von Gewalt, Sexismus und Homophobie machen sollte. Dabei funktionierte der Gangsta im Pop von Anfang an als Aufklärer aber auch als Agent kapitalistischer Allmachtsfantasien.

Mit an Bord der laut Eigendefintion „World’s Most Dangerous Group“ sind auch MC Ren, DJ Yella und der weiße Manager Jerry Heller, der von Paul Giamatti im typischen Paul-Giamatti-Stil, also leicht zynisch und ziemlich undurchsichtig, angelegt wurde. Uns begegnen spätere Stars wie Snoop Dog und Tupac Shakur, sowie der Super-Bully Suge Knight. Der echte Suge machte während der Dreharbeiten zu einem Promo-Clip von „Straight Outta Compton“ Stunk und überfuhr anschließend seinen Kontrahenten, der tot am Set zurückblieb. Es schien, als konnte der Film seiner Vorlage nicht entkommen.

So mussten für den Dreh in South Central LA und Compton Genehmigungen von den dort noch immer regierenden Gangs einholt werden. Comptons Bevölkerung hat sich zwar mittlerweile in Richtung Latinos verschoben und die Kriminalitätsrate ist seit Jahren rückläufig, dennoch ist die Mordrate noch immer eine der höchsten des Landes.

Brandaktuell auch der Grundkonflikt N.W.A’s mit der Staatsgewalt. Die Liste schwarzer Kids, die in den USA durch Polizeigewalt ums Leben kommen, wird trotz massivster Proteste immer länger. Eine der beklemmensten Szenen des Films zeigt die Mitglieder von N.W.A vor einem Aufnahmestudio in Hollywood. Aus dem Nichts werden sie von Polizisten des LAPD drangsaliert und landen schließlich in Handschellen am Boden. Nur das beherzte Eingreifen ihres Managers verhindert Schlimmeres. Die Szene macht deshalb nachdenklich, weil die Bilder so vetraut wirken wie aus den Nachrichten zu Ferguson.

Straight Outta Compton

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Interessant an der Geschichte N.W.As ist, dass die Gruppe nicht am typischen Erfolgs-Burn-Out zugrunde ging, sondern daran, dass sich einzelne Mitglieder, allen voran Ice Cube, gegen die ausbeuterischen Mechanismen der von Weißen kontrollierten Musikindustrie zur Wehr setzten. In der zweiten Hälfte von „Straight Outta Compton“ geht es sehr viel um Verträge, gebrochene Versprechen, verletzte Egos und Selbstbestimmung.

Dass Dr. Dre und Ice Cube das Filmprojekt erst nach vielen Änderungen des Scripts durchwinkten, ist kein Geheimnis. Dementsprechend geglättet ist ihre Darstellung. Erst vor wenigen Tagen entschuldigte sich Dre für die Misshandlung von Frauen „Ich war jung und dumm“, so seine Rechtfertigung. Im Film ist freilich nichts davon zu sehen.

Während Eazy-E 1995 an den Folgen der Immunschwäche AIDS starb, starteten Dr. Dre und Ice Cube in den Neunzigern so richtig durch. Ice Cube ist heute ein etablierter Mainstream-Schauspieler und Produzent. Dr. Dre ermöglichte die Karrieren von Snoop Dog, Eminem, 50 Cent und jüngst den mittlerweile FM4-Frequency-erpropten Kendrick Lamar. Gemeinsam mit Jimi Iovine, dem Interscope-Gründer und späteren Partner bei Death Row Records, baute Dr. Dre das Headphones-Brand „Beats“ auf und veräußerte die Firma im letzten Jahr für schlappe drei Milliarden Dollar an Apple.

Der Beef mit Eazy-E nach Cubes Ausscheiden von N.W.A wurde nie richtig beigelegt. Auch das ist in der letzten Viertelstunde des Films mit reichlich Zucker eingesüßt worden. „Straight Outta Compton“ ist dennoch eines der besten Biopics der letzten Jahre und konnte sich sofort gegen die Konkurrenz der Superhero-Movies an die Spitze der US-Kinocharts katapultieren.

Die Geschichte von fünf schwarzen Kids aus dem Ghetto, die aufstanden, um mit gewaltigen Worten die Gewalt der Realität auszuhebeln, so eine Geschichte stößt auch in Obamas Amerika auf offene Ohren, Mothafuckers.