Erstellt am: 23. 8. 2015 - 16:50 Uhr
Auf Sommerfrische in Eisenerz
Kommt man zum ersten Mal während des Rostfests nach Eisenerz und abends an, ist man geflasht. Eine Wunderwelt tut sich auf, denn das Trio Ochoresotto platziert Projektoren auf Dachgiebeln und in Fenstern und taucht etliche Gebäude in bunte Bilderwelten.
In der vergangenen Woche war die gesamte steirische Stadt Eisenerz zum vierten Mal zum Festival geworden: Das Rostfest bringt Einheimische und Festivalgäste zusammen. Ja, das Rostfest kann man durchaus als Festival bezeichnen. Mit Pop-up-Clubs und Elektro-Floors, Metal- und Punk-Konzerten am Bergmannplatz und dem "Numavi"-Haus, in dem sich noch eine Bühne auftut, ist an jeder Ecke andere Musik zu hören.
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Samstagnachmittags gibt es das Kaffeekränzchen der Jägerdamen und ihre Mehlspeisen, dazu spielt der Theater-im-Bahnhof-Schauspieler und -Regisseur Lorenz Kabas den Live-Wurlitzer und singt auf Wunsch jedes Lied aus dutzenden Büroordnern mit Noten und Liedtexten. Am Schichtturm schunkelt der Schlagergarten Gloria noch in den späten Nachmittagsstunden sein Publikum.
Freitagabend gab Rakede eine Art Heimspiel, stammt doch ihr "Beatmeister" Daniel Karelly a.k.a. Affe Maria aus Trofaiach. Rakede nahm ihr Konzert sehr ernst und warteten mit allem auf, was geht, und fast wäre das zuviel gewesen. Doch niemand sang je gelassener und charmanter "In die Fresse hau'n", als Julian Schmit.
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Auch Hardcore-Punkrocker aus Boston besuchten das Rostfest, Slapshot heißen die. Im Festivalzentrum, einer ehemaligen Konsum-Filiale, rollen einem indes Butoh-Tänzerinnen, nahezu nackt und in ihren Gesichtern weiß geschminkt, über die Treppe entgegen. Im ersten Stock ist ein Elektro-Floor untergebracht. Doch weil es so schön ist, tanzen weit mehr Menschen draußen im Innenhof, wo eine Art DJ-Hochstand aufgebaut ist. Den Eingang zum "Nois"-Floor markiert eine Adler-Skultpur. Drei Ausstellungen und auch noch das Altbaukritierium, ein Radrennen, fanden Platz.
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Sehr schön war es wieder im "Numavi-Haus", inklusive eigenem Fotoautomaten mit Sofortbildern. Auf die Bühne des kleinen, feinen Labels Numavi im ersten Stock eines Hauses mit Stuck an der Decke kamen u.a Monsterheart oder auch Zentralheizung of Death. Es geht wunderbar entspannt zu am Rostfest, doch auch hier hat man schnell Termine: Spätestens um zwei Uhr morgens war ein Besuch im Numavi-Haus Pflicht.
Warum trägt sich das alles in Eisenerz zu?
Wer hat für uns ein Haus? Wer hat für uns einen Stapler? So erklärt Rainer Rosegger beim Stadtrundgang, wie das Rostfest zustande kommt. Gemeinsam mit seiner Schwester Elisa Rosegger-Purkrabek und Franz Lammer organisiert er das Rostfest. Die Eisenerzer und Eisenerzerinnen und ehrenamtliche Helfer unterstützen sie dabei enorm. Das ist auch notwendig, denn das Rostfest ist nach wie vor ein „Free Festival“. Was heißt das? Du zahlst absolut keinen Eintritt. Beitragen kann man jedoch mit einer Spende in Form des „Rostanteils“. 30.000 Euro bekommt das Rostfest von der öffentlichen Hand, alles andere stellen die RostlerInnen mit privatem Sponsoring (das sich beim Fest kaum durch Werbung bemerkbar macht) und enormen ehrenamtlichem Einsatz auf die Bühnen.
Entstanden ist die Idee zum Rostfest aus dem Projekt "re-design Eisenerz". Evaluiert werden wird 2021, wie sich all das Engagement ausgewirkt haben wird. Verfolgt werden diverse Initiativen, die beim Rostfest entstanden. So geht die Planung für das Vorhaben BürgerInnen-Kraftwerk mit Wasserrad für zwanzig bis dreißig Haushalte jetzt ins Detail. Apropos Wohnen: „Urban Camping“ nennt sich die Übernachtungsmöglichkeit für Besucherinnen und Besucher. Zelt brauchst du keines. Gecampt wird in leerstehenden Wohnungen einer Siedlung in Eisenerz.
Geschichte und Geschichten
Geschichte und Geschichten gibt es beim Rostfest an jeder Ecke zu entdecken. Man kommt mit den EisenerzerInnen entweder selber ins Gespräch oder stolpert regelrecht in Ausstellungen. Die bildende Künstlerin und Grafikerin Juma Hauser hat zum Rostfest eine ganze Ausstellung mitgebracht. Europa/Afrika, Österreich/Sierra Leone, Eisenerz/Marampa. Das sind die Koordinaten für ein - inzwischen - Langzeitprojekt Hausers. In den 1980ern bauten in einem Bergwerk in Marampa, Sierra Leone, Arbeiter aus Eisenerz Erz ab.
Daran erinnert in Eisenerz selbst heute nur noch das Marampa-Pub, das von einem ehemaligen Mitarbeiter eröffnet worden war. Juma Hauser hat eine biographische Verbindung zu dieser Geschichte: Ihr Vater lehrte die Kinder der Voest-MitarbeiterInnen in Sierra Leone und sie lebte als Sechsjährige ein Jahr dort. "Dieses Bergwerk war auf den Spuren einer kolonialen britischen Mine aufgebaut", erzählt Hauser. "Wir ÖsterreicherInnen haben alle in ehemaligen Kolonialvillen gehaust, in einem angezäunten Camp". Das hat bei Hauser das Bedürfnis entfacht, zwei Jahrzehnte später nachzuforschen: Was war damals eigentlich los?
Juma Hauser führte Interviews mit ehemaligen ArbeiterInnen und reiste noch einmal nach Marampa und sprach mit afrikanischen Mitarbeitern. "Es gibt noch die Ruinen dieses Kolonialcamps". Auch eigene Erinnerungen wurden wieder präsent. Das Trampeln, um Schlangen zu vertreiben, etwa oder offizielle Anlässe: "Wir Kinder waren sehr eingebunden in das Geschehen vor Ort", erinnert sich Juma Hauser. "Ich habe dem Präsidenten bei der Eröffnung Blumen überreicht, das musste man als österreichisches Kind. Das war doch ein despotischer Führer, doch das wusste man nicht. Oder wir sangen Bergmannslieder am Barbaratag". Angelegt war der Bergbau in Marampa auf lange Sicht, doch nach drei Jahren scheiterte das Projekt. Es gab nie die erwartete Erz-Produktion, die ÖsterreicherInnen reisten relativ abrupt ab.
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Ausblick
Das Rostfest wird nächstes Jahr eine Fortsetzung finden. Diesmal war es wieder ein großes Vergnügen und erneut ein bisschen ein Abenteuer. Selbst, wenn man nicht aus dem Schichtturm mit dem Blick nach unten senkrecht vierzehn Meter hinuntergegangen ist. Die Möglichkeit gab es beim sogenannten "Wall Run".
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