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Burstup

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21. 8. 2015 - 12:16

YouTube, Content ID und The Orchard

Immer wieder müssen sich Musiker, die Videos auf Youtube veröffentlichen, mit Rechtsansprüchen Dritter herumschlagen. Für Missverständnisse sorgen sowohl automatisierte Analysewerkzeuge als auch komplizierte Verträge mit Musikverwertern.

Im Jahr 2007 nahm Google ein automatisiertes System in Betrieb, das die Tonspuren hochgeladener Videos auf Youtube analysiert, um unrechtmäßig verwendete Musikstücke zu identifizieren. Betroffene Videos können stummgeschaltet oder gesperrt werden, oder Google kann die Werbeeinahmen des Videos an den Inhaber der Musikrechte weiterleiten. Plattenfirmen und Medienkonzerne selbst müssen also gar nicht mehr aktiv werden, sondern nur die Musikstücke, an denen sie Verwertungsrechte besitzen, in die sogenannte "Content ID"-Datenbank von Youtube eintragen.

Katzenschnurren als Musik

In der Praxis sorgt dieses System immer wieder für Probleme. Im Februar dieses Jahres etwa verwunderte die Sperre des Videos „Happiest cat purring loud“ . Das Analysewerkzeug von Google hatte das Katzenschnurren für ein Musikstück gehalten, an dem ein globaber Musikkonzern die Verwertungsrechte besitzt. Zwar wurde das Video nicht gesperrt, aber dem User wurde die Möglichkeit genommen, es mittels Werbung zu monetarisieren. Die Einnahmen wurden dem Konzern zugeschrieben, obwohl dieser ganz sicher nicht über die Rechte am Katzenschnurren verfügte.

Zu leiden haben unter solchen Irrtümern immer wieder Musiker, die unabhängig von Konzernen, Labels und Vertrieben ihre Songs produzieren und veröffentlichen. Deren Musik wird manchmal – wie das Katzenschnurren – von der Software falsch zugeordnet. In vielen Fällen gibt es aber auch einfach Verwirrung bezüglich der Verwertungsrechte, die eine Firma besitzt. Hat etwa ein digitaler Vetrieb, der für einen Musiker die Audiodateien an iTunes, Amazon etc. weiterleitet, auch das Recht an den Werbeeinnahmen eines Songs auf Youtube? Unabhängig davon, welche Details die Verträge des Musikers mit seinen Partnerfirmen enthält: Gerät ein Song einmal in die Mühlen von Content ID, kann ein unangenehmes Spiel aus Sperren, Einsprüchen und Beschwerde-Mails entstehen – mit ungewissem Ausgang.

Wolfgang Fasching-Kapfenberger von Google Österreich sagt, dass Google aufgrund gesetzlicher Bestimmungen - etwa des US-amerikanischen Digital Millenium Copyright Act - dazu verpflichtet sei, hochgeladene Musik durch ein Werkzeug wie Content ID zu übeprüfen.

Auch nichtöffentliche Videos gescannt

Vor ein paar Wochen lud ich ein 20 Jahre altes Video meiner Band Schönheitsfehler bei YouTube hoch. Der Videoclip entstand im Jahr 1995, war aber bisher unveröffentlicht. Heuer ließ ich das alte, analoge Videoband digitalisieren und wollte den Clip endlich interessierten Mitmenschen zeigen. Vorerst aber ließ ich das Video noch im „Privat“-Modus bei Youtube - niemand außer mir konnte es also sehen.

Kurz darauf erhielt ich eine Nachricht von Youtube, die vielen Musikern und Videokünstlern bekannt ist. Ein Medienkonzern beanspruche die Rechte an der Musik meines Videos, hieß es da, weshalb die Werbeeinahmen dafür in Zukunft nicht mehr an mich gehen würden. Bei dem Unternehmen handelte es sich um The Orchard, eine Tochter von Sony Music Entertainment. The Orchard beschreibt sich selbst als Förderer von Unabhängigkeit und Kreativität im Musikbusiness. In der breiten Öffentlichkeit ist die Firma vor allem bekannt für die häufige und offensive Beanspruchung der Musikrechte von YouTube-Videos. The Orchard nutzt nicht nur Googles Content-ID-System, sondern auch ein hauseigenes System namens "BACON" (Bulk Automated Claiming on The Orchard Network), um das Web zu durchsuchen und die Rechte an Musik zu reklamieren.

Einspruch

YouTube stellt seinen Nutzern für einen solchen Fall ein Webformular zur Verfügung, mit dem gegen den Claim eines vermeintlichen Rechteinhabers Einspruch erhoben werden kann. In meinem Fall tat ich nicht nur das, sondern setzte zwei weitere Maßnahmen: eine direkte E-Mail an The Orchard und eine Anfrage bei meinem Digitalvertrieb, ob er in irgendeiner geschäftlichen Beziehung zu The Orchard steht. Letztere Antwort war positiv - allerdings hatte ich dem Vertrieb bzw. dessen Partner The Orchard nie die Videorechte bzw. die Rechte für eine Monetarisierung meiner Musik durch Werbung eingeräumt. Nach einigen Tagen erhielt ich von YouTube eine Antwort auf mein Beschwerdeformular: Der Claim von The Orchard sei fallengelassen, ich würde die Werbeeinahmen für mein Video (das sich allerdings ohnehin noch immer im Privatmodus befand) erhalten.

Ob die Reaktion seitens YouTube und The Orchard so schnell erfolgt und positiv ausgefallen wäre, wenn ich die Angelegenheit nicht mit meinem Vertriebspartner geklärt hätte, sei dahingestellt. Doris Wehser von The Orchard in Deutschland räumt ein, dass es bei der Zuordnung von Musik mittels „Audio Fingerprints“ manchmal zu Irrtümern kommen kann. Die Firma beanspruche nur Titel, die auch offiziell über sie veröffentlicht wurden, sei es von einem Künstler oder Label. „Wenn es im Einzelfall dazu Fragen oder Unklarheiten gibt“, sagt Wehser, „können sich Künstler gern an uns wenden, damit die Ansprüche überprüft werden können, dies passiert über das Team in den USA“. Manche User auf Youtube bestätigen, dass The Orchard flott reagiert, wenn man gleich direkt eine Nachricht an die E-Mail-Addresse disputes@theorchard.com schickt.

Fazit

Analysetools wie Content ID von Google und BACON von The Orchard sind fehleranfällig - und die komplizierten Deals zwischen Labels, Vertrieben und Verlagshäusern für Musiker oft schwer zu durchschauen. Daraus entstehende Situationen können mühsam und nervtötend sein. Man kann der Firma The Orchard aber durchaus zugute halten, dass sie bei persönlichem Kontakt schnell und professionell reagiert. Und die automatische Analyse hochgeladener Musik sorgt nicht nur für Missverständnisse, vielen Musikern beschert sie auch ihnen zustehende Einnahmen - etwa, wenn ein millionenfach gesehenes Youtube-Video ohne Einverständnis des Künstlers mit dessen Musik produziert wurde. Die Werbeeinnahmen dafür können dann dank Content ID und des Claims von The Orchard zumindest teilweise an den tatsächlichen Urheber weitergeleitet werden.