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Philipp L'heritier

Ocean of Sound: Rauschen im Rechner, konkrete Beats, Kraut- und Rübenfolk, von Computerwelt nach Funky Town.

19. 8. 2015 - 17:13

Wann sind wir Helden?

Politische Maschinerie, Rassismus, Sozialpanorama. Die HBO-Miniserie "Show Me a Hero" von "The Wire"-Erfinder David Simon und Paul Haggis ist eine Show des Jahres.

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Zu weiten Teilen spielt "Show Me a Hero" zunächst in Bürogebäuden, in Gerichtssälen, bei Council Meetings, während Debatten in Hinterzimmern. Die diese Woche angelaufene, sechsteilige HBO-Miniserie verhandelt ein brisantes Thema, das immer und auch gerade jetzt wieder besonders aktuell ist, obwohl die Handlung im Februar 1987 einsetzt und bis in die 90er hinein läuft.

Schauplatz ist die 200.000-Einwohnerstadt Yonkers im Bundesstadt New York, mitten in den Wohngebieten der vermeintlich soliden Mittelschicht sollen umfangreich Public-Housing-Projekte durchgesetzt werden, also Sozialwohnungen für die sozial Schwachen, in diesem Falle hauptsächlich Afroamerikaner. Den – vornehmlich weißen – Anwohnern will das, wie das so oft ist, freilich gar nicht gefallen. Sie befürchten Kriminalität, Drogen und den Einbruch der Grundstückspreise, Rassismus kocht hoch.

Show Me A Hero

HBO

Autor von "Show Me a Hero" ist "The Wire"-Erfinder David Simon, Regisseur ist Paul Haggis, der sich in seinem oscar-prämierten Film "Crash" dem Thema Rassismus mit dem schmalzgetränkten Pathospinsel genähert hat. Gemeinsam verarbeiten sie die auf dem gleichnamigen Sachbuch von Lisa Belkin basierende Geschichte mitunter mit fast schon dokumentarischer Genauigkeit und Strenge.

Vor allem in der ersten Episode wimmelt es nur so von Anwälten, Politikern, Beamten, Bürokraten, lauthals wird durcheinandergerufen und diskutiert. Sich im Geflecht der Figuren zurechtzufinden ist zunächst schwierig. In einer frühen Szene erklärt eine Figur einer anderen Figur in einigen wenigen gerafften Sätzen, wer denn hier nun wer sei: Ein schwaches Device, um Charaktere kennenzulernen, es wird erklärt und nicht gezeigt.

Es wird einer der wenigen, kurzen Schwachpunkte der Show bleiben. Zentrale Figur, Motor und einer der Hauptgründe für die Qualität ist der junge, aufstrebende Abgeordnete Nick Wasicsko, kaum weniger als atemberaubend dargestellt vom wandelbaren Oscar Issac, der nach Hauptrollen in "Inside Llewyn Davis", "A Most Violent Year" und "Ex Machina" hier wieder einen vieldimensionalen, zerrissenen Charakter entwirft: Ein ehemaliger Cop, der die Reibereien um das Public Housing als seine Chance zum Aufstieg zum jüngsten Bürgermeister der USA sieht.

Engagiert und ambitioniert, dabei politisch etwas unbedarft. Sympathisch, gutherzig, dabei doch auch hungrig nach Macht und Anerkennung, opportunistisch. "I am the most loveable politician in America", wird Wasicsko in der vierten Episode nur halbironisch zu seiner Freundin sagen. Sein Themesong sei, so sagt er, "Hungry Heart" von Bruce Springsteen.

Mit Ausnahme von einigen wenigen Hintergrundsounds und -songs und Countrygroßmeister Steve Earle in den Schluss-Credits wird "Show Me a Hero" passend komplett von Liedern von Springsteen untermalt. Anpacken, aufbrechen, drängen, verzweifeln.

Show Me A Hero

HBO

Der Titel "Show Me a Hero" mag sich zwar auf diesen gebrochenen, mal vor Energie überschäumenden, mal in sich zusammensinkenden, von Magenkrämpfen geplagten und am Grab des Vaters sinnierenden Wasicsko beziehen – Held ist er jedoch keiner.

Zunächst stimmt er im Dienste der populären Haltung innerhalb der Bevölkerung gegen die Sozialwohnungen, als sich herausstellt, dass von oberster Gerichtshand die verpflichtende Durchführung längst beschlossen und unabwendbar ist, fügt er sich ebenso recht widerstandslos. Ein echter Standpunkt ist nur schwer in ihm auszumachen, dennoch gelingt es der Show, ihn als Person zu zeichnen, mit der man mitfühlt und mitfühlen möchte.

Abseits dieses Hauptstrangs entwickelt "Show Me a Hero" – "The Wire" klarerweise nicht unähnlich – anhand vieler – fast ausschließlich afroamerikanischer - Nebenfiguren und bislang kaum zusammenhängender Nebenhandlungen ein verzweigtes Panorama einer überforderten Stadt. Geschichten vom anderen Ende der Gesellschaftspyramide, die das Gefälle gegenüber den weißen Politikern, die in anderen Vierteln hausen, noch einmal klar herausarbeiten.

"Show Me a Hero" ist seit dem 16.8. in Doppelfolgen nachts parallel zur US-Ausstrahlung in der Originalfassung auf Sky Go und Sky Online zu sehen, sowie über Sky Anytime abrufbar.

Eine Krankenpflegerin, die aufgrund von Diabetes ihr Augenlicht verliert, sich ärztliche Hilfe aber nur kaum leisten kann. Eine junge Frau, die, langsam, langsam, immer tiefer in die Drogensucht steigt und in der Prostitution anzukommen scheint. Kriminalität, zu frühe und ungewollte Schwangerschaften, Familienprobleme, Arbeitslosigkeit.

Es ginge ja gar nicht um race, so Catherine Keener als grauhaarige Hauptagitatorin gegen die Sozialwohnungen, man solle bloß nicht den einen "Lifestyle" mitten in einen anderen "Lifestyle" hineinverpflanzen. Das Schönreden von Rassismus, ein marodes Sittenbild, das oft seltsame Funktionieren von Menschen.

Hinter den Abläufen der politischen Maschinerie dringt "Show Me a Hero" aber eben auch ins Herzen vor, zeigt Nick Wasicsko als verletzlichen Privatmann: In einer Liebeszene in der vierten Episode, einer der besten Szenen des Jahres, fragt er unter leisen Tränen seine Freundin - ebenfalls großartig: Carla Quevedo – ob sie ihn denn auch noch lieben würde, sollte er diesmal die Wahl um das Bürgermeisteramt nicht für sich entscheiden können. Dazu singt Springsteen: "That ain't what scares me baby, what scares me is losin' you".