Erstellt am: 19. 8. 2015 - 14:09 Uhr
East Side Reggae
Mit Akzent
Die unaussprechliche Welt des Todor Ovtcharov. Im Radio und auch als Podcast zum Anhören.
"Die Leiden des jungen Todor"
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Ich habe vor ungefähr 10 Jahren zum ersten Mal einen echten bulgarischen Jamaikaner getroffen. Er lief mir auf dem Strand Irakli entgegen. Das ist eine der letzten unbebauten Buchten an der bulgarischen Schwarzmeerküste, unter Bulgariens östlichstem Punkt Kap Emine. “Big Bless, my Brother, I and I Name is Radostin“.
Radostin sprach bulgaro-kreolisch, trug einen nie zuvor rasierten Bart, der in alle Richtungen wuchs, hatte ein Bob Marley T-Shirt an und seine Dreadlocks reichten fast bis zum Boden. Er kam aus der kleinen und durchaus uninteressanten bulgarischen Stadt Targovischte, war aber, vielleicht gerade deswegen, ein echter Rastafari. Er aß kein Fleisch, reiste immer per Autostopp, lief nur barfuß herum, zog sein Bob Marley T-Shirt nie aus und sprach Patois.
Radostin spielte in einer Reggae Band. Sie sangen Hymnen zu Ehren von Haile Selassie und Jah. Wenn man es nicht wusste, konnte man nicht sicher sein, dass sie nicht aus der Karibik, sondern alle aus Targovischte waren.
Der erste bulgarische Reggaesong erschien einige Jahre nach dem demokratischen Wandel, nämlich 1996. Der Autor ist einer der Großväter der bulgarischen Rockszene, Georgi Mintschew. „Warum braucht ihr Jamaica, kommt lieber zu uns!“, singt Mintschew. In den letzten Jahren tauchten in Bulgarien viele unterschiedliche Reggaebands auf – solche, die die Balkanrealität anhand Reggaerhythmen beschreiben wie Kozza Mostra (Sie haben einen Song über jedes mögliche alkoholische Getränk. Sie haben auch einen traurigen Song, in dem der Protagonist traurig ist, dass es regnet und er kein Bier im Park trinken kann.); es gibt aber auch Bands, die den jamaikanischen Sound eins zu eins kopieren, und auch bei ihnen konnte man unmöglich erahnen, dass sie aus dem Herzen der Balkanhalbinsel stammten und nicht von der Karibik wie Root Souljah und Rebelites.
Florian Wörgötter
Diesen Sommer traf ich echte österreichische Jamaikaner. Sie waren genau wie Radostin, der am Strand von Irakli wohnte. Sie sprachen nur austro-kreolisch: „Grüß dich, Jah bless my Friend“, so begrüßten mich meine Freunde vom Rise & Shine Reggae und Dubfestival im Weinviertel. Sie haben ein riesiges Soundsystem aus Boxentürmen gebaut, genauso wie in Jamaica der 1970-er Jahre. Damals konnten sich die Reggaeliebhaber keine Livekonzerte leisten und deshalb brachte jeder seine Boxen, aus denen das Soundsystem gebaut wurde. Da sie oft kein Geld für zwei Plattenspieler hatten, legten sie die Musik oft nur auf einem auf. Am Rise and Shine wollten die österreichischen Rastamänner und -frauen das Rastafeeling so authentisch wie möglich halten. Zwischen den Songs sprachen sie zum Publikum auf Austropatois.
Am Festival gab es auch deutsche, tschechische und polnische Jamaikaner. Ihre Kleidung zeigte, dass sie alle gemeinsam das Materielle im Leben verachten. Ich betrachtete die Boxentürme und dachte mir, dass Gott den Turm von Babel zerstörte, die Menschen in die Welt verstreute und sie dazu verdammte, unterschiedliche Sprachen zu sprechen. Die jungen Menschen hier haben Türme aus Boxen gebaut und sprachen eine gemeinsame Sprache.
Man sagt, dass die letzten Worte von Bob Marley, derjenige, den die Rastaleute wie Gott verehren „Money can’t buy life” sind. Ich mag kein Rastafari sein, aber damit bin ich einverstanden.