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Philipp L'heritier

Ocean of Sound: Rauschen im Rechner, konkrete Beats, Kraut- und Rübenfolk, von Computerwelt nach Funky Town.

18. 8. 2015 - 15:10

Eine eigene Welt erfinden

Der deutsche Autor Bov Bjerg erzählt in seinem Roman "Auerhaus" von einer WG jugendlicher Danebensteher. Fluffig, trist.

Man kann den Erwachsenen bekanntlich nicht trauen. Vor allem, wenn man ein Teenager ist oder in Wahrheit selbst so etwas wie ein halber Erwachsener und die ganze anderer Welt da draußen blöd. Im Roman "Auerhaus" des deutschen Autors Bov Bjerg erschafft sich so eine Gruppe nicht mehr ganz junger Menschen, 17, 18 Jahre, teils kurz vor dem Abitur eine eigene Welt.

Sie ziehen in eine WG, das Auerhaus, dessen Namen sich vom missverstandenen Song "Our House" von Madness herleitet und gestalten sich ihrer eigene Realität so gut es halt geht. Diese wundersame Konstellation entsteht jedoch eher aus einer Zwangslage heraus: Einer der Jugendlichen, Frieder, hat versucht sich das Leben zu nehmen, nach der Zeit in der Psychiatrie soll er jetzt nicht mehr bei seinen Eltern wohnen – aber klarerweise auch nicht mehr alleine.

So wird also eine WG von Außenseitern und Problemfällen gegründet. Neben Frieder die höhere Tochter Cäcilia, Rebel Girl Vera mit kleptomanischer Neigung und der wankelmütige Ich-Erzähler, der Herr Höppner genannt wird.

Bov Bjerg

Bov Bjerg

"Suizid, das klang nach einer Krankheit, dachte ich. Oder nach einer Medizin. Früher hatten wir es Selbstmord genannt. Oder Selbstmordversuch. Frieder sprach jetzt immer von Freitod. Ich hatte nicht das Gefühl, dass Frieder besonders frei gewesen war, als er die Tabletten geschluckt hatte. Wenn alles auf die eine Entscheidung rauslief, wo war da die Freiheit?"

Die Figuren in "Auerhaus" meinen, sie hätten sich ihre Freiheit genommen. Sie leben alleine im Auerhaus ohne große Aufsicht der Eltern und stellen sich selbst als Erwachsene vor, die nie alt werden müssen. Das Geld kommt dann aber zu weiten Teilen doch noch von Mama und Papa, der Rest wird geklaut oder sonst irgendwie aufgetrieben. Gemeinsam Kochen, die Schule schon noch so halbwegs besuchen. Hauptsächlich aber Reden, Philosophieren, Feiern und an Teenager-Ennuie und Weltekel zugrundegehen.

"Im Herbst waren die hässlichen Sonnenschirme weggeräumt. Dann konnte man die hässlichen Schaufenster mit den hässlichen Sachen drin besser sehen. Eigentlich der ideale Ort für Leute mit Depressionen. Hier waren sie mit ihrer Umwelt im Einklang, Hier merkten sie nicht, dass sie sich nicht mehr freuen konnten über die schönen Sachen im Leben. Hier gab es keine schönen Sachen."

Autor Bov Bjerg erzählt diese oft doch recht traurigen Geschichten von Gleichgültigkeit und Antriebslosigkeit aber nicht mit einer bleiernen Schwere. In "Auerhaus" dominiert neben Tristesse als Grundierung ein luftiger, flauschiger Ton. Warmherzig, wohlig, nur selten aber witzig.

Auerhaus

Blumenbar

"Auerhaus" von Bov Bjerg ist bei Blumenbar erschienen

Die Sprache der Jugend hat Bjerg genau eingefangen, ohne mit coolem Mode-Slang zu protzen. Irrungen und Wirrungen der jungen Weltversteher inklusive. Abseits der Verzweiflung und interpersonellen Krisen am Leben feiert "Auerhaus" aber auch vor allem die Gemeinschaft, die Freundschaft, den Zusammenhalt. Immer wieder stoßen andere seltsame Figuren von den Rändern der Gesellschaft in die Kommune auf Zeit.

"Die ganze Straße zählte mit: "Drei! Zwei! Eins! Neujahr!" Auf dem Asphalt standen Sektflaschen, daraus zischten die Raketen in den Himmel. Überall knallte es. "It's The final countdown...The final countdown! Ich bekam eine Gänsehaut und mir wurde schlecht. Weil das ja vielleicht wirklich so war. Dass das unser erstes und letztes Silvester miteinander war."

"Auerhaus" ist ein feines, kleines Buch für junge Menschen geworden. Und vielleicht auf für solche, die schon ein bisschen erwachsen geworden sind oder so tun wollen und müssen und sich in eine mögliche Utopie hineinimaginieren wollen. Auch wenn die Utopie, man ahnt es, am Ende schließlich doch schief gehen muss.

"Wir wussten ja seit langem, dass mit dem Auerhaus bald Schluss sein würde. Aber irgendwie hatten wir Schiss, dass noch schneller Schluss sein würde, wenn wir darüber sprachen. Wir hatten immer so getan, als ob das Leben im Auerhaus schon unser richtiges Leben wäre, also ewig."

Man darf sich die Jugend wieder einmal als schönste Zeit vorstellen, bei allem Tumult, unser Haus, ihr kriegt uns hier nicht raus.