Standort: fm4.ORF.at / Meldung: " „Positive Songs For Negative People“"

Lisa Schneider

Hören, lesen, schreiben

18. 8. 2015 - 14:19

„Positive Songs For Negative People“

Frank Turner gelingt auf seinem sechsten Album erneut der Spagat zwischen Baratmosphäre und Stadionradau.

Wie Intimität nicht nur live, sondern auch via Tonträger vermittelt wird, weiß Frank Turner. Der Opener seines sechsten Albums, Positive Songs For Negative People, beginnt nicht mit beschwingt-geschlagenen Gitarrenakkorden, wie man es wohl vom englischen Punkrock-Troubadour erwartet hätte, sondern mit leisen Lauten. In diesen ersten Sekunden steht man neben Frank Turner im Studio, oder besser noch, man sitzt auf der alten, wohl schon etwas ranzigen Ledercouch seines Wohnzimmers, vorzugsweise mit einer vollen Bierflasche in der Hand – und lauscht einem Privatständchen. Man hört das hohle Klopfen am Bauch der Gitarre, Zischen, Rascheln, den Musiker, der sich einrichtet, ein ihm wichtiges Stück vorzutragen.

Frank Turner sitzt auf einer zerschlissenen Couch in einer Bruchbude

Frank Turner

The Angel Islington als Eröffnungsstück versucht zuerst einmal, Atmosphäre zu vermitteln. Es bittet den Hörer, dem Musiker schnell einmal über die Schulter zu schauen. Von laut zu leise. Wenn man die Karriere des aus Winchester im Süden Englands stammenden Musikers genauer betrachtet, ist diese Herangehensweise durchaus schlüssig.

Plattencover Frank Turner "Positive Songs for negative people"

Xtra Mile/Polydor

„Positive Songs For Negative People“, das sechste Album von Frank Turner, ist bei Universal Music erschienen.

Frank Turner hat nicht damit begonnen, in Bars oder Pubs zu spielen – dort, wo so viele musikalische Karrieren ihren Anfang nehmen. Die Punkszene, aus der er eigentlich kommt, ist Underground, er spielte zuallererst in den Wohnzimmern von Freunden, später auch von ersten Fans. Sein Debutalbum, Sleep Is For The Week, erhaschte gerade einmal Platz 200 in den UK-Charts. Der englische Punkrocker, der sich mittlerweile etwas aus der Hardcoreecke hin zur oft schon verschmusten Rockmusik entwickelt hat, predigt die Authentizität nicht nur in seinen Texten. Die Jahre des sprichwörtlichen Abrackerns, die er hinter sich hat, sind im Grunde genommen die Essenz dessen, was ihn so berühmt und auch so beliebt gemacht hat. Frank Turner ist so etwas wie der Selfmademan der aktuellen, englischen Rockszene. Er führt zum Beispiel genau Buch über das wievielte Konzert er gerade spielt. Seit Jahren begleitet ihn seine Backing Band, die Sleeping Souls, auf einer beinahe unermüdlichen Tour: Ein paar mehr noch, dann sind es 1700 Auftritte. Frank Turner bezeichnet sich selbst als „working musician“ - einer, der sich nicht auf seinen Lorbeeren ausruht, auch wenn er es mittlerweile von der Wohnzimmercouch weg in gefüllte Stadien geschafft hat.

Positive Songs For Negative People : Den Titel des Albums habe er deshalb gewählt, weil er so einem Freund erklären wollte, welche Art Musik er – seinem eigenen Empfinden nach – schreibt. Im Sinne einer kollektiven Therapiesitzung umfängt die zwölf Stücke, die das Album ausmachen, eine durchwegs positive Grundstimmung, wenn man sich gegenseitig lebensbejahende Sätze zuruft wie: Come on now/ if we all pull together / we could lift up the weight of the world from your shoulders. Kollektiv auch deshalb, weil Frank Turner in seinen Texten Alltagsprobleme hervorkramt, die jeder kennt. Ein einfacher wie genialer Zug: Musik, die ein Wir-Gefühl auslöst. Kombiniert mit dem Springsteen-Piano, wie man es auch schon von den vorherigen LPs kennt, funktioniert die Sache dann natürlich umso runder. Auch in Dingen lyrischer Pathos und große Geste sind die Vergleiche zum Boss offenkundig, für Frank Turner aber eher Schmeichelei.

Hauptsächlich sind es Beziehungsangelegenheiten und vor allem deren Scheitern, die Frank Turner besingt, eine mehr oder weniger autobiographische Vertonung also. Statements wie I once wrote you love songs / you never fell in love sind in der Liebeslyrik des Pop sicher keine Neuheiten. Ganz in Been there, done that – Attitüde schmettert sich Frank Turner die Seele aus dem Leib, beschreibt persönliche zwischenmenschliche Auseinandersetzungen und Niederlagen und fordert beinahe im selben Atemzug - im selben Gitarrenakkord besser gesagt - dazu auf, die selbst angelegten Fesseln abzuschütteln. Zugegebenermaßen kann das schnell auch naiv klingen. Sänge man selbst manche dieser Zeilen, die rechte Augenbraue würde wohl ein Stück nach oben zucken, so pathetisch ist die Wortwahl. Die unvermittelte Ehrlichkeit seines Vortrags aber hilft Frank Turner auch über diese geradezu vorprogrammierten Tapser ins Fettnäpfchen hinweg.

Getanzt wird rund ums Lagerfeuer, in dem seine eigenen „faults and failures“ brennen. Dabei wandelt Frank Turner seine Erfahrungen in stadiontaugliche Folkhymnen (The Opening Act Of Spring) um, in an frühere, wilde Zeiten erinnernde Punkrockstücke (Josephine) oder aber er landet doch wieder in der knarzenden Grunge-Ecke (Silent Key). So gedämpft das Album beginnt, endet es auch: mit einer bewegend-tragischen Widmung besingt er mit zitternder Stimme in Song For Josh, das als Livestück als letztgereihte Nummer das Album abschließt, den Suizid eines engen Freundes.

Weiterhören

Empfehlungen aus der FM4 Musikredaktion

Frank Turner weiß ganz genau, was er kann. Er weiß auch, welche Erwartung seine Fans ihm entgegenbringen. Dieses sechste Album ist nicht sein Meisterwerk geworden. Wo Out Of Breath in nicht viel mehr als zackigen zwei Minuten an seine Zeit als Frontmann der Post-Hardcoreband Million Dead erinnert, kommt der englische Punkrock-Troubadour an anderer Stelle nicht über solide, aber trotzdem eher mittelmäßige, brave Singalong-Rockstücke hinaus. Radiofreundliche Melodien, die im Stadion eingängig, aber eher unaufgeregt erklingen werden. Selbst dann, wenn alle mitgrölen. Als würde Frank Turner die Kritik aber mit einem Augenzwinkern erwarten, singt er beinahe süffisant dagegen: We can get better/ because we’re not dead yet.