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Zita Bereuter

Gestalten und Gestaltung. Büchereien und andere Sammelsurien.

18. 8. 2015 - 16:36

Ein Frosch im Hals

Miranda July hat ihren ersten Roman "Der erste fiese Typ" geschrieben. Wäre sie doch bei ihren ausgezeichneten Kurzgeschichten geblieben.

Über Miranda July muss man nicht viel sagen. Mit einem Fuß steht die Künstlerin in der verschrobenen Ecke, mit dem anderen gibt sie seit Jahren den Hipsters den Takt vor. Das Ergebnis sind wunderbare Filme (etwa "Me and You and Everyone We Know" und "The Future"), herzerfrischende Mitmachprojekte ("Learning to Love You More"") oder kurzweilige Geschichten (wie "No One Belongs Here More Than You" und "Es findet dich").

Miranda July ist Mutter geworden, ihre Agentin hatte ihr versichert: "Du wirst ein Baby bekommen und einen Roman schreiben." So steht es zumindest in den Danksagungen am Ende des Romans. Man fragt sich, ob die Agentin ein "vielleicht" oder ein "später" hinzufügen hätte sollen - oder jedenfalls die Bitte, nicht zu viel über das Kinderkriegen zu schreiben.

Gefangen in komplizierter Fantasiewelt

Globussyndrom nennt man in der Medizin den sogenannten Frosch im Hals. Bei Wikipedia heißt es dazu "Nach Ausschluss organischer Gründe für das Globusgefühl ist an psychosomatische Ursachen wie z. B. Stress oder an eine somatisierte Depression zu denken." An einem massiven Frosch im Hals (ohne organische Gründe) würgt auch die Icherzählerin Cheryl Glickman in "Der erste fiese Typ". Dabei wirkt die Anfang 40-Jährige sehr schlicht und unscheinbar. Sie arbeitet in einer irgendwie schrulligen Non-Profit-Organisation, die Selbstverteidigungsvideos für Frauen dreht.

Buchcover Miranda July "Der erste fiese typ"

KiWi Verlag

Miranda July: "Der erste fiese Typ". Aus dem amerikanischen Englisch von Stefanie Jacobs, Kiepenheuer & Witsch, 2015

Und sie vertreibt und lebt auch privat etwas schrullig nach "ihrem System", das rational, praktisch und reduziert ist. Bei jedem Gegenstand etwa überlegt sie gründlich, ob sie ihn wirklich braucht – schließlich muss sie ihn ja auch wieder zurücktragen. Und wer braucht einen Teller, wenn man doch auch direkt aus der Pfanne essen kann, die man nicht auswaschen muss, wenn man etwas Herzhaftes kocht? "Ich erlebe meine Tage wie einen Traum, ohne die Ecken und Kanten, für die das Leben so berühmt ist. Nach mehreren Tagen allein wird es so glatt und geschmeidig, dass ich mich selbst nicht mehr spüre; es ist, als würde ich nicht existieren."

Genuss hat in Cheryls Welt nichts verloren. Sex genauso wenig. Sie erlebt eine tiefe Seelenverwandtschaft mit "Kubelko Bondy", einem Baby, das sich ihr in allen möglichen anderen Babys zeigt. Krankhaft und schmerzlich fühlt sie sich außerdem mit einem Mann verwand. Irgendwoher muss der Frosch ja kommen. Seit jeher sieht sie sich immer wieder in einer Beziehung mit einem Typen, der in ihrem jetzigen Leben als Phil erscheint. Die Anzüglichkeiten des um 20 Jahre älteren Arbeitskollegen deutet sie großzügig um. Selbst als er ihr am Telefon erklärt, dass er in eine 16-Jährige verliebt ist, bezieht sie seine Gefühle auf sich und befriedigt sich in dem Moment.

Dabei ist das verklemmte Sexualleben von Cheryl gefangen in einer komplizierten Fantasiewelt: "Ich schloss die Augen und fühlte mich erneut in einen sehr ähnlichen Raum versetzt, eine Fantasie innerhalb einer Fantasie innerhalb einer Fantasie, und so ging es weiter und steigerte sich in seiner Intensität, bis ich so tief in meinem Inneren war, dass es nicht weiter ging. Das ist es. Mein Ding, das, woran ich beim Geschlechtsverkehr oder beim Masturbieren gern denke." Ein langer Weg zum Orgasmus.

portrait miranda july

© Todd Cole

Miranda July, 1974 in Barre (Vermont) geboren, ist Filmemacherin, Künstlerin und Schriftstellerin - und die "Dorfheilige" der schrulligen Indie-Szene

Alles sehr kompliziert. Deshalb sucht Cheryl dann auch Hilfe bei einem Chromotherapeuten. Noch mehr therapeutische Unterstützung braucht sie allerdings, nachdem sie die ungeratene Tochter ihrer Chefs in ihrem Haus aufnimmt: die junge, dumpfe Clee - ein vollbusiger White-Trash-Traum. Clee hat nicht nur stinkenden Fußpilz, sie ist auch äußerst gewalttätig. Aus Pöbeleien werden Choreografien - Clee und Cheryl stellen diverse Szenen aus den Selbstverteidigungsvideos nach (daher auch der Titel, "der erste fiese Typ" in einem Video). Die Kämpfe bereiten den beiden Lust, eine erotisch-aggressive Spielerei beginnt.

Unerwartet wird Clee schwanger, den Vater erahnt man schnell. Und mit dieser Schwangerschaft ist July dann ganz in ihrem Element. Nur so viel – wenn eine Plazenta erwähnt wird, kann man davon ausgehen, dass die irgendwann gegessen wird. Genau. Dazu kommen immer wieder Gedanken über das Muttersein: "Es war etwas ganz Normales, doch auf einmal stockte mir der Atem, so als wäre ich gerade auf irgendeinem hohen Gipfel angekommen. Mutter sein. Er wurde unruhig; ich ging nach drinnen und gab ihm einen Pfannenwender aus Plastik. Er schlug ihn auf die Arbeitsfläche, patsch, patsch, patsch. Ich hielt ihn auf dem Arm, spürte seinen warmen Körper und sah sein konzentriertes Gesicht an. Es war zu rot, ich musste ihn besser eincremen. Patsch, patsch."

Zu viel des Guten

So weit, so gut im July-Universum - könnte man meinen, aber da ist ein bisschen zu viel vom Schrulligen und Sonderbaren. Dass etwa die Therapeutin beim anderen Therapeuten in der gemeinsamen Praxis als Rezeptionistin arbeitet und mit ihm ein kompliziertes Beziehungsmachtspiel führt - geschenkt. Aber dass das Klo dort zu weit entfernt ist, und die Klientin deswegen hinter einer japanischen Wand in einen Becher macht, während die Therapeutin zuhört und später den Becher entsorgt - grenzwertig.

Miranda July widmet sich gern den Kommunikationsproblemen von schrägen und verschlossenen Menschen. Sie erfand zuletzt die App Somebody, bei der Mitmenschen SMS-Nachrichten überbringen. Eine schöne Sache. Aber zurück zum Roman. Sicher können Erwachsene so naiv, einfältig und weltfremd sein wie Cheryl Glickman und Clee. Aber muss man darüber gleich einen Roman schreiben? Ein, zwei Kurzgeschichten hätten da vielleicht auch gereicht.

Versteigerung zum Glück

Es wäre nicht Miranda July, wenn sie sich zum Roman nicht noch ein Projekt ausgedacht hätte. In dem Fall gibt es den Onlineshop thefirstbadman.com, in dem diverse Objekte aus dem Roman für einen guten Zweck versteigert wurden. Das ist gut und originell. Origineller als die erzählte Geschichte. "Ba-ba-ba-ba", sagte er. Genau. Ba.ba.ba.ba." Genau. Baba. Buch zu. Frosch weg. Vieles gut.