Erstellt am: 16. 8. 2015 - 17:00 Uhr
Alles vergeht
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- Auch der geschätzte Wissenschafts- und Popjournalist Thomas Kramar macht sich in der Presse am Sonntag zum jeweils selben Song seine Gedanken
In einem wie bei ihr so oft rätselhaften und anspielungsreichen Song gibt die amerikanische Musikerin Joanna Newsom gleich in der ersten Zeile das Motiv des Stückes aus: "The cause is Ozymandian", singt sie und bezieht sich damit auf zwei unterschiedliche Gedichte selben Namens.
In "Ozymandias" des englischen Romantikers Percy Bysshe Shelley aus dem Jahr 1818 stößt ein Wanderer auf ein zerstörtes Monument des einst mächtigen ägyptischen Pharaos Ramses II. und verzweifelt angesichts des Verfalls. Der "Ozymandias" von Shelleys Zeitgenossen Horace Smith ist weit weniger bekannt, behandelt dasselbe Thema auch weit weniger meisterlich.
"Ozymandias" ist Symbol für die Vergänglichkeit, den Untergang großer Reiche und den persönlichen Absturz. Seit sich auch eine Episode von "Breaking Bad" den Titel geborgt und so auf das Ende von Drogenkoch Walter White gedeutet hat, ist der Begriff tiefer in die Popkultur eingegangen.
Joanna Newsom
Joanna Newsom spielt in ihrem Song "Sapokanikan" immer wieder auf beide Gedichte an und verknüpft sie mit der Geschichte von New York und anderen mehr oder weniger kryptischen Fingerzeigen bezüglich der Ohnmacht gegenüber der Zeit. Was bleibt?
Das titelgebende "Sapokanikan" war die Bezeichnung der Native Americans für eine Siedlung, die dort lag, wo sich heute Greenwich Village befindet. Im frühen 17. Jahrhundert wurden die Ureinwohner vertrieben, ermordet, auf ihrem Land wurde eine schöne, neue Welt errichtet.
Ebenso bezieht sich Newsom in diesem Lied auf die Überreste von 20.000 Namenlosen, die unter dem blühenden Washington Square Park begraben liegen. Niemand kann sich an sie erinnern.
Joanna Newson besingt im Vorbeigehen den "Boy Mayor of New York" John Purroy Mitchel der nach einer frühen raketengleichen Karriere ein ebenso schnelles Karriere- wie Lebensende fand. Sie besingt zwei Gemälde von Van Gogh und Titian, die später übermalt wurden und lange Zeit so das tatsächliche Bild der Künstler verdeckten.
Drag City
Was ist die Beständigkeit des Werks, die Intention der Kunst, auch ihrer eigenen, fragt Joanna Newsom über diesen Umweg. Das Stück mäandert leichtfüßig vor sich hin, scheint Show- und Cabaret-Tunes des Brill Buildings der 60er und Joni Mitchell der mittleren Phase beschwingt, dabei doch leicht neben der Spur und verbeult, deuten zu wollen. Das Lied hat keinen Refrain, es bäumt sich einmal kurz auf, Glöckchenklänge, Flöten, Bläser, verebbt dann aber wieder vor der ganz großen Explosion.
Das Leben geht weiter und Joanna Newsom zitiert noch einmal "Ozymandias": "Look and Despair!". Diese geschichtliche Spurensuche, die Verweisarbeit auf ein großes politisches Panorama führen Joanna Newsom schließlich ins Private, zu sich selbst, sonst wäre das alles auch nur konstruierte Karteileistung und nicht schwindelerregende Poesie.
Das Vergessenwerden und die Angst davor, das Verblassen mit der Zeit spielen freilich auch in diese seltsame Ding namens "Liebe" hinein, während draußen Kriege, Revolution und Krise toben: "Will you tell the one that I love to remember and hold me?" Und nach uns weht der Wind.