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Johanna Jaufer

Revival of the fittest... aber das war noch nicht alles.

17. 8. 2015 - 06:00

Welcome to Austeria

Was würde ein Sparrezept à la Griechenland für Österreich bedeuten? Was macht Armut mit jungen Menschen und wieso waren wir im Umgang mit Geflüchteten schon einmal entspannter? Ein Gespräch mit dem Armutsforscher Martin Schenk.

Martin Schenk

Martin Schenk

Martin Schenk (*1970) ist Psychologe, Sozialexperte der Diakonie Österreich, Mitbegründer der Armutskonferenz und Lehrbeauftragter an der Fachhochschule Campus Wien

Johanna Jaufer: In Griechenland ist aktuell jeder Vierte arbeitslos – und jeder Zweite unter 25. Umgelegt auf Österreich: Was geschieht, wenn 53 Prozent der Leute in meinem Umfeld arbeitslos sind und ich vielleicht auch?

Martin Schenk: Es bewirkt insgesamt einen massiven Steuerausfall. Es kommt zu einem Budget-Problem. Auf das Budget-Problem reagieren Regierungen mit Sparprogrammen, die sich auf Soziales, Bildung und Kultur konzentrieren. Und: es bringt den Sozialversicherungen einen massiven Ausfall – hohe Arbeitslosigkeit heißt weniger Einnahmen für die Krankenkassen und bald ein Finanzierungsproblem. Wenn es nicht etwa durch Investitionen eine Unterbrechung gibt, geht dieser Kreislauf immer weiter: weitere Budgetprobleme, weitere Sparmaßnahmen. Geringere Steuereinnahmen lösen in einem erwerbszentrierten Sozialmodell wie es Österreich hat sofort Finanzierungsprobleme der sozialen Sicherung aus.

Angenommen ich bin Studentin, mache eine Lehre oder besuche eine Fachhochschule, und meine Eltern sind selbstständig: Bei schlechter Wirtschaftslage brechen die Aufträge weg, meine SVA-versicherten Eltern sind womöglich nicht arbeitslosenversichert (siehe Kasten rechts) und können mich nicht mehr unterstützen. Ich muss also mehr arbeiten oder meine Ausbildung unterbrechen.

Problemfeld SVA

Genau. Wenn die Arbeitslosigkeit steigt, wirkt sich das auf zwei Seiten aus: die Haushaltseinkommen gehen zurück, weil die Menschen weniger Geld haben und dort, wo der Sozialstaat diese Ausfälle kompensiert, ist auch kein Geld mehr da. Die Haushaltseinkommen sinken damit noch weiter. Sie sind aber bestimmend für das Bezahlen von Selbstbehalten und die Mitfinanzierung von Ausbildungskosten der Kinder: Ein Teufelskreis, der sich stark auf die Bildungs- und Zukunftschancen der Jugendlichen auswirkt.

Ein Mann kommt aus dem griechischen Arbeitsamt

APA/EPA/ORESTIS PANAGIOTOU

OAED - das griechische Pendant zum AMS

In Griechenland haben an die 150.000 junge, gut ausgebildete Menschen das Land verlassen. Viele dort ausgebildete ÄrztInnen arbeiten jetzt in Deutschland. Würden wir so etwas in Österreich erleben, wohin sollten diese Menschen auswandern? An der Greencard-Lotterie teilzunehmen, erscheint mir nicht als geeignete Exit-Strategie für die Massen.

Die Frage wäre, wie die nordischen Staaten ökonomisch dastehen – sagen wir, es geht ihnen besser: Würden die jungen Menschen in die skandinavischen Staaten emigrieren und dort die Chance auf einen Job haben (wie es viele aus Griechenland, Spanien und Portugal gemacht haben), geht ökonomisch betrachtet "Humankapital verloren". Der österreichische Staat hat diesen Menschen mit seinem Steuergeld die Ausbildung finanziert, die "Frucht" dieser Ausbildung wird aber woanders abgeschöpft und geht dem Staat damit verloren. Andererseits – das ist ambivalent – wissen wir, dass die aus Südeuropa weggezogenen Jugendlichen einen Teil ihrer Einkünfte nach Hause überweisen, was die Haushaltseinkommen ihrer Familien, die sonst nichts mehr haben, hebt und ihnen im Alltag hilft.

Aber das Sozialsystem des betreffenden Staates leidet.

Genau. Man muss Ökonomie und soziale Prozesse immer im Kontext sehen: Es gehen die genannten Teufelskreise los: hohe Arbeitslosigkeit, keine Einnahmen und gleichzeitig keine Sozialversicherungsbeiträge und Steuereinnahmen von den Jugendlichen, die in andere Länder gegangen sind.

Viele, die trotz der unerträglichen Situation in Griechenland verharren – etwa, weil sie Angehörige zu versorgen oder pflegen haben – können begonnene Ausbildungen auch dann nicht fortsetzen, wenn es finanziell gerade noch machbar wäre: weil etwa das betreffende Institut der Universität geschlossen ist (siehe Kasten rechts).

Auch hier ist ökonomisch betrachtet ein "Verlust von Humankapital" zu beobachten: Die griechische Öffentlichkeit hatte in diese Jugendlichen investiert. Sie haben eine Ausbildung begonnen, aber plötzlich gibt es kein Geld mehr. Die Ausbildung bleibt unabgeschlossen, kann am Arbeitsmarkt nicht mehr "eingesetzt" werden und der betreffenden Person wie auch der Gesellschaft insgesamt nützen – die Ausbildungskosten sind verloren und weg.

De facto wurde in Griechenland auch das Recht auf Kollektivvertragsverhandlungen ausgehebelt – gegen eine verlässliche Wiedereinführung wehren sich auch viele der Gläubigerländer bzw. deren Regierungen, die sich bei so einer Forderung im eigenen Land wohl ungeachtet der jeweiligen politischen Couleur scharfer Kritik ausgesetzt sähen. Was würde eine Abschaffung des Kollektivvertragsrechts und eine Nichtahndung von Lohn- und Sozialdumping in Österreich auslösen?

Einerseits wäre eine massive Ausweitung des Niedriglohnsektors zu beobachten. Eine massive Zunahme von "working poor", die in miesen und oft gesundheitsschädlichen Jobs arbeiten und dafür erst recht nichts herausbekommen. Gleichzeitig würden wieder die Einnahmen der Sozialversicherungen sinken, weil der Niedriglohnsektor viel weniger an Versicherungs- und Steuerabgaben leistet. Auch hier also wieder ein Einnahmenausfall des Sozialstaats und des Gesundheitssystems. Was man außerdem nicht vergessen darf: dass die sozialen Sicherungssysteme – Arbeitslosengeld, Sozialhilfe, Notstandshilfe etc. – unter Druck geraten und auch weiter gekürzt werden. Wenn kollektivvertragliche Gehälter bzw. der Mindestlohn in einem Land wegbrechen, brechen auch diese letzten sozialen Netze weg, wodurch Hunderttausende verelenden. Das unterste soziale Netz soll eigentlich verhindern, dass Leute in den dunklen Keller und ins Elend stürzen. Die Schleifung von Kollektivverträgen ist also eine der schlimmsten Dinge, die man einem Gemeinwesen antun kann. Nicht umsonst waren diese Rechte in über hundertjähriger sozialer und Bewegungsgeschichte erkämpft worden – es handelt sich um eine demokratische, soziale und zivilisatorische Errungenschaft, für die Menschen gekämpft haben.

Streikführer mit Mikrophon vor dem Streikzug

APA/EPA/ORESTIS PANAGIOTOU

Streik der öffentlichen Bediensteten in Athen am 15. Juli

Die einzelnen Personen, die von solchen Auswirkungen betroffen wären, würden wahrscheinlich auch biographisch "ins Stocken geraten": Wer nicht damit rechnen kann, in einem Jahr noch eine Art von Job zu haben, wird sich das Kinderkriegen genau überlegen.

Ja. Die Frage, wie es einem geht, hat immer damit zu tun, was man "in die Zukunft entwirft": Zum Beispiel die Entscheidung für Kinder hat massiv mit der Annahme darüber zu tun, wie meine Zukunft sein wird und welche Möglichkeiten ich habe, mit Kindern in einer Partnerschaft zu leben und erwerbstätig zu sein. Wenn diese Möglichkeit ausgeschlossen ist, werden die Menschen das verweigern. Wir kennen aus jenen entwickelten (Industrie-)Ländern, in denen die soziale Ungleichheit massiv anwächst, so etwas wie einen "Gebärstreik" der Frauen, weil sie sagen, "was für eine Zukunft habe ich?" Es gibt einen großen Mythos, der aber empirisch längst widerlegt ist: dass der Niedriglohnsektor einen Einstieg in die Arbeitswelt darstellt, ein Sprungbrett in den "ersten Arbeitsmarkt" mit den guten Löhnen und Chancen. Das ist falsch. Wir wissen aus Deutschland seit Hartz IV: nur zehn Prozent der 1-Euro-Jobber schaffen diesen Sprung, für 90% ist dieser Bereich eine Einbahnstraße in die Armut.

In Griechenland hat auch die Zahl der Suizide und der schweren psychischen Erkrankungen stark zugenommen. Was bedeutet so eine Erkrankung in Zusammenhang mit dem eigenen Platz in der Erwerbswelt?

Es gibt einige Krankheiten, die direkt mit Erhöhung der Armut und der sozialen Ungleichheit zu tun haben. Eine davon sind psychische Erkrankungen, besonders die Depression. Deshalb steigt auch in Gesellschaften mit starker Ungleichheit die Zahl der Selbsttötungen massiv – wie es auch in Griechenland passiert ist. Abstiegserfahrungen sind massive Erfahrungen von chronischem Stress. Man hat ständig Angst, verliert vieles, das zuvor sicher war, hat Zukunftsängste und Sorgen. Gleichzeitig bekommt man nichts dafür "heraus", keine Belohnung, keine Gratifikation, kein "Goodie". Würde man sich anstrengen und dafür belohnt werden, wäre der Stress zu verwinden, aber Stress der "nichts bringt" nennt man in der Sozialpsychologie eine "Gratifikationskrise" – die geht besonders auf das Herz-Kreislauf-System und macht am stärksten krank. Man wird ohnmächtig, schlittert in erlernte Hilflosigkeit und langfristig kann sich daraus Erschöpfung und Depression ergeben. Diese Versuchsanordnung in Gesellschaften, wo ich für meine Anstrengung nichts zurückbekomme, bringt den meisten Anstieg von Depression und sogenanntem "Burn-Out" hervor.

Meet the Greeks

  • GriechInnen in Wien: Der 33jährigen Biologin Melina blieb nichts anderes übrig, als ins Ausland zu gehen und auch den Mikroelektronik-Spezialisten Giorgos hatte die verheerende Finanzlage im Bildungsbereich am Weiterarbeiten in Griechenland gehindert.

Die Behauptung, dass auch Unversicherte trotz massiver Kürzungen im Gesundheitsbereich in Notfällen und bei schwerwiegenden Erkrankungen weiterversorgt würden, hat sich in Griechenland als praktisch nicht haltbar erwiesen.

Bei allen Sozialleistungen besteht die Gefahr des "targeting": wenn es eng wird, sollen nur mehr jene Sozialleistungen erhalten, die es "wirklich brauchen", die anderen sollen selbst dafür bezahlen. Solche Systeme werden instabil und kollabieren langfristig. Wenn die "Mitte" nicht mehr von sozialen Sicherungssystemen profitiert, sondern "nur" mehr die "Armen", finden zwei Entwicklungen statt: Erstens "verabschiedet" sich die "Mitte" aus dem System und zweitens schaut sie auf die "Armen" herab. Sündenböcke und Stigmatisierung entstehen. Deshalb kann man Gesundheit wenn, dann nur für möglichst alle anbieten, wobei die Ärmeren selbstverständlich inkludiert sind.

Menschen in einer Sozialklinik

APA/EPA/ORESTIS PANAGIOTOU

GriechInnen in einer Sozialklinik

Man hat von Griechenland verlangt, die Gesundheitsausgaben auf maximal sechs Prozent der gesamten Wirtschaftsleistung zurückzufahren. In Österreich liegen wir bei 10,8 Prozent. Was würden entsprechende Einschnitte bei uns bewirken?

Es würden sich die jetzt schon bestehenden Wartezeiten massiv erhöhen, der qualitative Unterschied zwischen Stadt und Land würde sich verstärken, die Selbstbehalte massiv steigen und die Versorgung für die unteren und mittleren Einkommen nicht mehr leistbar sein. Ein Teil der Versorgung und damit ein Teil der Krankenhäuser würde geschlossen werden, weil die Krankenhäuser viele Verträge mit FachärztInnen kündigen würden, wir hätten viel arbeitsloses medizinisches Personal und die Qualität der Versorgung würde insgesamt stark absinken, weil ja viel mehr Menschen bei viel weniger Angebot versorgt werden müssten. Geld ist nicht alles, spielt bei einer so massiven Kürzung aber eine entscheidende Rolle.

Was ist die bedeutendste Auswirkung manifester Armut auf das Leben junger Menschen?

Die größten Auswirkungen finden sich in der Verringerung von Bildungs- und Zukunftschancen. Gerade in Österreich sind die Aufstiegschancen für jene ohne Geld im Verhältnis zu anderen EU-Staaten unterdurchschnittlich gering. Zweitens ist für Jugendliche die Phase des Übergangs vom Jungen zum jungen Erwachsenenalter zentral, wo es stark um Orientierung geht. Wenn man in dieser Phase signalisiert bekommt, "man braucht dich nicht"; kommt es zu zwei Reaktionen: Rückzug in Richtung Depression und dergleichen ist mit mehr als 50% die häufigste Reaktion, und ein Drittel geht in Widerstand und Aggression. Aber nicht unbedingt in Widerstand gegen die Verursacher solcher Zustände, sondern viel öfter gegen Sündenböcke, vermeintlich Verantwortliche, die oft noch schwächer sind, weniger Einkommen und Rechte haben.

Aufgrund solcher Orientierungslosigkeit greift Identitätspolitik viel besser. Wenn ich unsicher bin, sehne ich mich stark nach klaren Identitäten, über die ich mich erklären kann: Nation, Herkunft, Religion etc. Eigentlich entwickelt man in dieser Lebensphase multiple Identitäten, "ich bin Frau/Mann, glaube/glaube nicht, bin reich/arm, Fan von Rapid/Austria/Sturm/Admira". Das ist wichtig um ein gesunder, starker Erwachsener zu werden. Wenn man in dieser Phase chancenlos und verunsichert ist, entstehen – so bezeichnet es Wirtschaftsnobelpreisträger Amartya San – "plurale Monokulturen": viele kleine Ich-Identitäten, die aber nicht Pluralismus-fähig sind. Das ist für eine Gesellschaft gefährlich. Vieles, das wir erleben, ist einfach ambivalent. So "einfache" Identitäten lassen in dieser Phase auch viel Entwicklung einfach nicht zu – und man ist gefährdet, jemandem anheimzufallen, der einfache, autoritäre Antworten hat. Es klingt wie ein Paradoxon, ist aber logisch: wenn ich unsicher bin, lasse ich mich nicht gerne auf viele Rollen ein. Habe ich mehr Selbstbewusstsein, mehr – auch ökonomische – Sicherheit, bin ich eher bereit zu experimentieren und meine vielen Rollen – die jeder hat – wahrzunehmen. Und umgekehrt: wenn ich unsicher bin, mache ich zu – gerade in jener Phase, wo es darum geht, als junger Mensch meinen eigenen Weg zu entwickeln. Will man eine halbwegs entspannte Gesellschaft, die nicht ständig von Angstpaniken und Opferkonkurrenzen durchflutet ist, ist es wichtig, Jugendlichen ökonomische und soziale Sicherheit zu geben.

Wir erleben gerade, dass viele Menschen zu uns kommen, die aus unfassbaren Zuständen entkommen sind, Gewalt und Krieg erlebt haben. Weil du davon gesprochen hast, dass eine entspannte Gesellschaft es braucht, verschiedene, vielschichtige Identitäten nebeneinander gelten zu lassen: gibt es etwas, das wir in dieser Situation dazulernen können?

Dass ich Österreicher bin, ist eine Rolle. Der Zufall der Geburt hat mich dazu gemacht – ich bin vielleicht gleichzeitig noch Burgernländerin, Vorarlberger, vielleicht aber auch Griechenland-Liebhaber und Rapid-Fan, trinke gerne Bier oder auch nicht... Es gibt viele Rollen. Wenn man sieht, dass dieser Zufall der Geburt nur eine dieser Rollen ist, kann man entspannter mit jemandem umgehen, der geflüchtet ist und hier neu anfangen will – und meine Identität und Zukunft nicht bedroht. Das Problem der "Opferkonkurrenz" ist, dass die Maßstäbe für eigenes und fremdes Leid völlig aus den Fugen geraten. Wenn es mir halbwegs gut geht, sind meine eigenen Probleme ernstzunehmen aber von der Wertigkeit immer noch "anders" als die von jemandem, der gerade davor geflohen ist, dass ihm sein Kopf abgehackt wird. Es ist für mich selbst eine Frage, wie man die Maßstäbe für Leid in dieser Situation noch in ein vernünftiges Verhältnis setzt – das halte ich für wichtig, um gut durch die jetzige Phase zu kommen und nicht in dieser Panik-Situation zu verharren, die sich ein bisschen auftut, wenn man etwa die sozialen Netzwerke ansieht.

Nach den Kriegen am Balkan sind in den Neunziger Jahren auch sehr viele Menschen zu uns gekommen. Damals hat es – im vergleichenden Rückblick betrachtet – viel mehr "Willkommensbereitschaft" gegeben. Was war damals anders und was kann eine Gesellschaft eigentlich mitnehmen daraus, dass sie sich "ausdifferenziert", was die Herkunft anbelangt?

Ich kann mich auch an damals erinnern. Ich habe damals Psychologie studiert und wir haben im Wiener Alten AKH Flüchtlinge aus Bosnien betreut, die dort einquartiert waren. Ich kann mich daran erinnern, dass es damals nicht nur – wie jetzt – eine moralische Frage war bzw. zu einer Überlebensfrage der Gesellschaft hochstilisiert wurde, sondern eine schlichte Managementfrage. Es war eine Frage des schlichten Managements in Ministerien und Bundesländern: schaffen wir es, das gut zu managen.

Die Herausforderung wurde angenommen?

Genau. Die Herausforderung war, "wer kann das besser managen?" Das ist eine andere Fragestellung als heute: Jetzt haben wir es ja mit einem totalen Versagen des Managements zu tun. Stattdessen wird moralisiert und werden Identitätsdiskussionen geführt. Ich glaube, dass diese starke Bewirtschaftung der Gefühle letztendlich ein Problem ist. Die Situation wäre managementtechnisch zu bewältigen, wenn es in Ministerien und Ländern die Leute gäbe, die das schlicht organisieren. Konflikte und Proteste hat es damals auch gegeben. Dennoch war das Signal, "wir schaffen das. Wir können das. Wir managen das und wir reden mit der Bevölkerung. Wenn es Konflikte gibt, reden wir darüber." Das war damals die Grundhaltung und ich denke, das macht etwas aus. Jetzt ist die Grundhaltung, "wir schaffen das nicht, es kommen noch mehr"...

... "Und deshalb reden wir lieber gleich darüber, ob wir das überhaupt wollen?"

Ja, und "wie uns das alle betrifft und ob das überhaupt moralisch angezeigt ist" – und dann gibt es nur noch moralische Appelle. Ich habe oft den Eindruck, je mehr man moralisiert, desto mehr wird der Hass auf der anderen Seite gefördert, weil ja dann dort sozusagen diese Form der Empathie abgewehrt wird. Die Abwehr, der Empathiestress der entsteht, ich muss jetzt für etwas empathisch sein, das ich nicht will, löst ja auch irrsinnig viel aus. Man kann die Debatte führen, aber nicht monatelang. Mir scheint, das ist der Unterschied zu damals.