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Paul Pant

Politik und Wirtschaft

14. 8. 2015 - 15:41

Über die "Barbarei" #MissionTraiskirchen

Amnesty International hat den Bericht zur Visite im Erstaufnahmezentrum Traiskirchen präsentiert. Wie zu erwarten: Fassunsglosigkeit, Zorn, Skandal, Peepshow und Barbarei - die Zusammenfassung.

Als bräuchte es einen Bericht, dass in Österreich Dinge ins Laufen kämen, die mutmaßlich-willentlich nicht laufen sollen. Amnesty International (AI) hat sich trotzdem die hehre Aufgabe gemacht, das Flüchtlings-Erstaufnahmezentrum Traiskirchen zu besuchen und die staatlich tolerierten Grauslichkeiten, die dort mit Flüchltingen aufgeführt und allzu leicht auf ein Kompetenz-Vakuum geschoben werden, zu dokumentieren.

Vier Vertreter von Amnesty International haben am 6. August das Erstaufnahmezentrum in Traiskirchen Besucht. Nach einer Führung durch die Lagerleitung und Beamte des Innenministeriums konnten sie sich am Gelände einige Stunden frei bewegen. Im Rahmen der Research-Mission wurde mit 30 Asylwerbern gesprochen, Bild und Tonaufnahmen gemacht.

Die Probleme, die Amnesty International vorgefunden hat, sind vielfältig. Manche könnten rasch beseitigt werden. Im Bericht wird kritisiert, dass in der Betreuungsstelle Traiskirchen keine angemessene Unterbringung für Flüchtlinge garantiert ist. 1.500 Menschen mussten zum Zeitpunkt der Prüfung im Freien schlafen. Es gibt keinen ausreichenden Schutz für die AsylwerberInnen. Ein besonderes Problem sind die unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge, um die sich zu wenig gekümmert wird. Die Nahrungs- und Gesundheitsversorgung ist unzureichend, die Organisation der Betreuung chaotisch. Für die Ausstellung der Identitätskarten müssen sich die AsylwerberInnen oft stunden- oder tagelang anstellen - weil es offenbar nur einen Drucker gibt. Hier kann man den Bericht in voller Länge lesen.

Der Bericht soll öffentlichen Druck auf die Verantwortlichen machen, unterstreicht Amnesty International-Generalsekretär Heinz Patzelt die Dringlichkeit, zum Ende der Präsentation des "selbsterzeugten Pseudo-Notstandes", wie er es nennt. Er dankt den JournalistInnen, die zahlreich erschienen sind, aus Deutschland, der Schweiz, Großbritannien. Und den unnachgiebigen KollegInnen, die mit ihren Berichten und Bildern aus Traiskirchen das alles ins Rollen gebracht haben, was nun schwarz auf weiß im Amnesty-Bericht dokumentiert ist.

Amnesty International Östereich Generalsekretär Heinz Patzelt

APA/ HOG jak

Die allzu gern gesehene Dankesgeste Richtung Medienzirkus wirkte dringlicher, fordernder und betroffener als sonst, als der Amnesty-Österreich-Chef seine gewohnt messerscharfe Kritik beiseite lässt. Der Appell, die Leute endlich wachzurütteln, lag bleiern im Raum. Denn: Diese hässlichen, widerlichen Details hätte sich Patzelt so nicht vorstellen können, sagt er. Nun müssten Verantwortliche und Bundesregierung endlich Konsequenzen ziehen.

Bericht von Amnesty International zu Traiskirchen

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Für Patzelt sei es zum Bispiel unbegreiflich, dass ein Baby mit Gehirnerschütterung und Nabelbruch kein Dach über den Kopf habe und sich in der brütenden Hitze von Verletzungen erholen müsse. "Diese Barbarei ist nicht einmal in einer Notstandsituation akzeptabel", donnert Patzelt dann doch angriffslustig. Was er aus Traiskirchen gehört und gesehen habe, das hat der erfahrene Menschenrechtler und Jurist nicht einmal in den schlimmsten Ecken des Sudans und Albaniens gesehen, wo er selber früher im Hilfseinsatz war. "Dort wurde aus wesentlich Weniger sehr viel mehr an Menschenwürde, an Schutz und Geborgenheit erzeugt, als derzeit in Traiskirchen passiert", so Patzelt.

Auch die Research-Mission-Teamleiterin Daniela Pichler zeigt sich betroffen über die Zustände in Traiskirchen. Pichler erzählt, wie die Asylwerber in der "enormen Hitze" im Schatten Zuflucht suchen. Besonders die "dominante Stille" sei ihr aufgefallen. Am meisten habe sie überrascht, dass nur vereinzelt Flüchtlinge auf die AI-Vertreter zugekommen seien, um ihre Geschichte zu erzählen. Sie habe den Eindruck gehabt, dass viele Menschen Angst gehabt hätten und Unsicherheit vorherrsche, wie es für die Flüchtlinge weitergeht, da "praktisch niemand in Traiskirchen mit ihnen kommuniziert".

Bericht von Amnesty International zu Traiskirchen

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"Medizinische Versorgung in Traiskirchen ist mangelhaft"

"Elend" und die ungeschützt der Hitze ausgelieferten Menschen, das waren auch die Eindrücke von Dr. Siroos Mirzaei. Der Primar war für AI in Traiskirchen und hat sich die medizinische und sanitäre Versorgung angesehen. Für die tausenden Flüchtlinge, teils mit traumatischen Kriegserfahrungen, stehen insgesamt nur vier ÄrztInnen und drei PsychologInnen zur Verfügung, berichtet er. Den ÄrztInnen blieben nur wenige Stunden pro Tag für die Behandlung kranker Flüchtlinge, denn die meiste Zeit werde für die Erstuntersuchung aufgewendet.

Manche Kranke würden sich auch nicht in die Ordination trauen. So gäbe es Fälle, wo Menschen ernste Erkrankungen nicht behandeln lassen möchten, erzählt Dr. Mirzaei. Die Flüchtlinge befürchten nämlich, aufgrund einer Krankheit nicht in Privatunterkünften unter zu kommen. Auch die psychologische Betreuung sei "völlig unzureichend", so der Experte weiter.

Dazu sind die Sanitäranlagen in einem schlechten Zustand. In einer Toilette "schwammen Exkremente", der Boden war nass, so Mirzaei. Gemeinsamen Duschen für Frauen und Männer ohne Duschvorhänge oder Duschkabinen seien ebenfalls unhaltbare Zustände: "Dieses Problem wäre leicht zu lösen." In der derzeitigen Situation gäbe es nicht einmal getönte Fensterscheiben. Die Duschen seien auch vom Hof aus einsichtig. Ein Umstand der mit wenigen Euros und einer Folie beseitigt werden könnte, sagt Heinz Patzelt. Er spricht von einer "widerlichen Peepshow", die die Menschenwürde und Intimsphäre von Menschen verletzt.

Bericht von Amnesty International zu Traiskirchen

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Ein weiterer Punkt der Kritik sind die radiologischen Untersuchungen zur Altersfeststellung von minderjährigen Flüchtlingen. Diese seien "unzuverlässig" und sehr teuer, sagt Mirzaei. Das hierfür aufgewendete Geld wäre besser in der Betreuung aufgehoben, meinte er.

AI-Generalsekretär Patzelt stellte am Ende der Pressekonferenz noch einmal klar: der Staat versagt bei der Versorgung von Kriegsflüchtlingen und verletzt dabei unter anderem die UN-Kinderrechtskonvention und die Frauenkonvention. Die Hauptverantwortung für diese Situation trage die Bundesregierung und die Landeshauptleute, sie kommen ihrer menschenrechtlichen Verantwortung nicht nach, so Patzelt. Das "Quoten-Ping-Pong" sei "unerträglich.

Mikl-Leitner nicht überrascht

Das Innenministerium zeigte sich von den Ergebnissen des AI-Berichts nicht überrascht - die Situation sei durch die "sprunghaft angestiegene Zahl an Asylsuchenden" entstanden, wie einer Stellungnahme zu entnehmen ist. Jedem sei klar, dass die Situation nicht tragbar sei, meint Innenministerin Johanna Mikl-Leitner (ÖVP): "Was wir jetzt nicht brauchen, sind Polarisierungen und ein Wettbewerb in der Beschreibung von Missständen."

Eine nachhaltige Lösung der Misere könne aber nur auf europäischer Ebene erfolgen, heißt es weiter. Bis diese Lösung kommt - falls sie kommt - leiden tagtäglich tausende Flüchtlinge an ihrer miserablen Unterbringung. Die Bundesländer erfüllen nicht ihre Aufnahmequoten, eine neue Verfassungsbestimmung soll dem Bund ein Durchgriffsrecht geben, um Asylquartiere schaffen zu können.

Der Bürgermeister von Traiskirchen, Andreas Babler von der SPÖ, bezeichnete den Bericht als "vernichtend", man dürfe jetzt nicht weiter zur Tagesordnung übergehen. Amnesty International zeige auf, wie Traiskirchen zum "Symbol für eine unmenschliche und zutiefst verabscheuungswürdige Flüchtlingspolitik seitens der Verantwortlichen" geworden ist. Auch Hilfsorganisationen und Oppositionsvertreter sahen sich durch die Erkenntnisse der Menschenrechtsorganisation bestätigt. Traiskirchen sei ein "Multi-Organversagen" der Republik, so die Volkshilfe. Die NEOS forderten ein professionelles Management durch einen Regierungskommissär. Die Grünen pochten auf "professionelle Hilfe" von Organisationen wie Ärzte ohne Grenzen, Rotes Kreuz, Caritas oder Diakonie in Traiskirchen. Statt gegenseitiger Schuldzuweisungen brauche es einen Regierungskoordinator, hieß es auch bei den Grünen.