Erstellt am: 13. 8. 2015 - 18:10 Uhr
Das Geschäft mit dem guten Gewissen
Thomas Hessel ist der skrupelloseste Karrierist, den die PR-Agentur Mars & Jung im Kader hat. Früher war er einmal Journalist mit echten Idealen, heute lotst er Reportergruppen durch den brasilianischen Regenwald, um ihnen geskriptete "Hope-Stories" zu verkaufen.
Als Greenwashing bezeichnet man PR-Strategien, die dazu dienen, einem Unternehmen ein nachhaltiges Image zu verleihen, zu dem keine oder keine ausreichende Grundlage besteht. Prominente Beispiele sind der Ölriese BP, der sich nun "Beyond Petroleum" nennt und sich ein Sonnenlogo verpasst hat, obwohl er für eine der größten Ölkatastrophen der Geschichte verantwortlich ist, oder das Deutsche Atomforum, das Windräder auf seine Werbeplakate drucken ließ.
Die der hübschen Bäuerin Juana zum Beispiel. Durch eine illegale Brandrodung hat sie ihre gesamte Familie verloren und baut sich in einem abgelegenen Dorf nun ein neues Leben auf - dank Sozialprogramm und Genmais eines multinationalen Konzerns versteht sich. Nur ist Juana keine Bäuerin, sondern professionelle Schauspielerin, ihr Baby vom Waisenhaus ausgeliehen und als Clou lässt Hessel auch noch Feuer legen. Die inszenierte Brandrodung nimmt er mit seinem Smartphone auf und lädt sie live auf Youtube hoch. Die Journalisten embedden sie brav in ihre Reportagen.
Ästhetik der Authentizität
Diese Strategie wendet Hessel bei jedem seiner Aufträge an, ganz gleich ob es um abgeholzte Regenwälder, Unfälle in Textilfabriken oder Konflikte um Coltan-Minen in Afrika geht. "Das verwackelte Handykamerabild ist die neue Ästhetik des Authentizität.", heißt es im Buch. "Mit dem Smartphone gefilmt, der Ton schön übersteuert, Quelle: Internet, so sehen echte Nachrichten aus."
Weil es im Buch so gut funktioniert, hat der Verlag auch gleich ein paar Clips für die Online-Vermarktung produziert.
"So wird die Wahrheit schon in den Netzwerken hergestellt, bevor überprüft ist, ob sie wirklich wahr ist", sagt Autor Karl Wolfgang Flender. Das virale Video suggeriert allein durch seinen Amateurcharakter und seine schnelle Verbreitung Echtheit. "Deswegen würde ich gar nicht sagen, dass das ein Problem der naiven Nutzer ist, die alles glauben, sondern das ist ein Mechanismus, der heute einfach so stattfindet."
Birte Filmer
Bei FM4 ist Karl Wolfgang Flender kein Unbekannter. 2011 hat er beim Wortlaut-Wettbewerb den dritten Platz belegt. Er hat Literarisches Schreiben in Hildesheim studiert und arbeitet derzeit an seiner Dissertation an der Universität der Künste in Berlin. Sein Studienfach ist Gesellschafts- und Wirtschaftskommunikation.
In "Greenwash Inc." rechnet Flender somit nicht nur mit fragwürdigen Methoden der PR-Branche ab, sondern kommentiert gleichzeitig neue Medienrealitäten. Das lässt sich auch an den beiden Figuren ablesen, die als einzige halbwegs integer rüberkommen. Hessels alter Mentor Schneider, der seinem abtrünnigen Schützling das Handwerk legen will, steht für den traditionellen, gründlich recherchierten Print-Journalismus. Die freie Redakteurin Ronja, die ihm wesentlich erfolgreicher in die Quere kommt, steht für Liveticker-News im Wikileaks-Zeitalter.
Seinen Hauptaugenmerk legt das Buch aber auf die markigen PR-Leitsätze, die der Protagonist zu jeder Gelegenheit parat hat. Einer davon lautet etwa: "Wenn du selbst nicht sauber bleiben kannst, zieh' alle anderen mit in den Dreck". Flender hat Gesellschafts- und Wirtschaftskommunikation studiert, zahlreiche Marketing-Bücher gelesen und mit vielen Aktiven in der Branche gesprochen. "So würde das natürlich niemand hinschreiben", sagt er, "aber zwischen den Zeilen findet man das schon. Im Zuge der Satire habe ich mir aber auch einige dieser PR-Sätze ausgedacht."
Kein richtiges Leben im falschen
Der zynische Anti-Held kann seine immer dreisteren Heucheleien bald nur mehr mit Tranquilizern und jeder Menge Alkohol durchdrücken. Dabei seien sie im Grunde nur das, was der kritische Konsument hören wolle, meint Flender. Fairtrade- und Bio-Zertifikate sollen uns beim Einkaufen ein gutes Gefühl vermitteln. Dabei müssten wir es doch längst besser wissen. Es werde nach wie vor viel zu wenig getan.
Dumont Verlag
"Wenn ich im Laden vor Kaffee, Tee oder Klamotten stehe, dann merke ich, wie zerrissen ich bin. Ich weiß, dass wir über unsere Verhältnisse leben und dass für unseren Konsum Menschen unter sklavenähnlichen Bedingungen arbeiten müssen. Wir haben deswegen permanent ein schlechtes Gewissen und dieser ethische und ökologische Konsum soll es beruhigen. Wenn wir uns dabei aber sogar gut fühlen, finde ich das problematisch.", sagt der Autor. "Diese Zerrissenheit ist auch der Grund, warum ich Greenwash Inc. geschrieben habe. Leider habe ich keine Antworten, sondern eigentlich ist das Buch eine große Frage."
Das Buch ist aber auch eine große Freude. Eine wahnsinnig überzogene Satire zwar, deren Figuren völlig frei von Nuancen sind, dafür mit Tempo, Scharfblick und Mut zur Actionszene geschrieben. "Greenwash Inc." macht sich im Bücherregal gut in der Abteilung Öko-Lifestyle.