Erstellt am: 11. 8. 2015 - 16:43 Uhr
Über Sex kann man gut auf Englisch reden
Amy Schumers Show "Inside Amy Schumer" ist kaum weniger als revolutionär – auch wenn sie nicht immer gut ist. Die New Yorker Komikerin, Autorin und Schauspielerin schneidet in der Serie kurze Stand-Up-Bits, kleine Interviews und Straßenbefragungen mit Passanten und – der Hauptteil der Show – Sketches zu einem Abbild einer schon auch funky blinkenden, aber eben ungerechten, doofen, bigotten modernen Welt aneinander. Sexy, aber scheiße.
Zu "Trainwreck" von Judd Apatow folgt demnächst mehr von Christian Fuchs.
Zusammenhängenden Handlungsbogen gibt es keinen, auch wenn Motive immer wieder aufgegriffen werden, kleine Running Gags wiederkehren - ein Hit & Miss-Charakter ist diesem gut durchgeschütteltem Potpourri von einer Show schon im Wesen veranlagt. Meist ist "Inside Amy Schumer" aber großartig. Die Überreizung und Überfrachtung, die Nervung sind integrale Faktoren der Show.
Amy Schumer sägt an den Normen, plakativ, subtil, unnachgiebig, delikat, stumpf, smart, blöd. Sie muss die Welt so lange nerven, bis das Normale normal geworden ist. Dass zum Beispiel auch eine Frau derbe Sex-Jokes machen darf, ohne dass die Vorgestrigen mit den Augen rollen und der Hass sie plagt.
In der ersten Episode der kürzlich zu Ende gegangenen dritten Staffel von "Inside Amy Schumer" wird Schumer in einem Sketch von einer Gruppe von Frauen als das Girl erkannt, das im Fernsehen immer nur von ihrer Pussy spricht. Sex und Sexualität sind klar zentrale Themen bei Amy Schumer, gefakete Orgasmen bei Männern, One-Night-Stands, Dildos. Zotiges und ausdrücklich nicht jugendfreie Wortwahl sind dabei immer auch die Motoren, um sich Gedanken über Geschlechterrollen, Klischees, Ungleichheiten zu machen.
Bei den Frauen, die Schumer als die Pussy-Komikerin erkannt haben, handelt es sich um Patricia Arquette, Tina Fey und Julia Louis-Dreyfus – sie begehen in der Szene feierlich den "Last Fuckable Day" von Dreyfus, sie sei nun endgültig zu alt geworden, um als Schauspielerin glaubwürdig ein Love Interest darzustellen. Während männliche Darsteller im Film freilich bis in ihre 70er stolze Hengste geben dürfen.
In einem Sketch der ersten Staffel sagt eine fiktive Version von Amy Schumer, sie sei Feministin und habe sich deshalb ganz eigennützig ihren eigenen Gangbang organisiert, weil Frauen ja keine Objekte seien. Frauen werden nicht penetriert – sie umschließen den Penis. Amy Schumer dreht die Rollen und transportiert dabei natürlich die Stereotypen und treibt sie ins Surreale. Männer sind so, Frauen sind so.
Männer fänden es toll, wenn es endlich ein Bier gäbe, mit dem sie Sex haben könnten. Frauen, so demonstriert eine ausführliche Montage, bereiten sich nach langer Abstinenz auf in Aussicht stehenden Sex einen ganz Tag lang mühsam mit aufwendiger Körperpflege vor, der Typ steigt vorher vielleicht, wenn's gut geht, in die Dusche.
Das sind keine alten Hüte. Amy Schumer überhöht diese Szenarien ins Absurde, mitunter gar schon Fantastische, inszeniert sie dabei so als wären sie das Alltäglichste. Die Show persifliert klassische Romantic-Comedy- oder Sex and the City-Schemata, sie spielt mit den Formaten der Fernsehunterhaltung, parodiert Musikvideos, Porno, Werbespots oder Gameshow.
Bei aller Außerweltlichkeit der dargelegten Situationen, wird das Augenzwinkern und Haha-Ironische aber eben nur selten unangenehm überdeutlich herausgestellt, meist wähnt man sich in einer möglichen Realität. Eine Realität, in der ein so genannter "Interracial Wedding Photographer" existiert, der in der Foto-Nachbearbeitung die Hauttöne des Ehepaars angleicht und den nicht gar so glücklichen Brauteltern ein Lächeln ins Gesicht zaubert.
Nicht nur Sex und Liebesdinge sind die Themen von Amy Schumer. Ihre Show ist Kommentar zu Medien und Social Media, Mode, Rassismus, Arbeitswelt, Body Issues, Alkohol, Bill Cosby. Sie trifft ins Herz der Gegenwart, ja, legendär ist eine Szene, in der ein Football Coach seinem Team erklären muss, dass Vergewaltigung nicht okay ist: Was aber, wenn sie an Halloween als sexy Kätzchen verkleidet ist? Sie betrunken ist, einen gewissen Ruf hat und ihr ohnehin niemand glauben würde? Sie zunächst "Ja" sagt, später dann "Nein" – like a crazy person? Die Ungläubigkeit der jungen Sportler kennt kein Ende, als "No Raping" als neue Vereinsregel ausgegeben wird.
Auch formal glückt der Show Meisterliches: Die Episode "12 Angry Men Inside Amy Schumer" stellt eine ganze Folge lang den Gerichtssaalklassiker "12 Angry Men" in Schwarzweiß, inklusive detailgetreu dem Original nachempfundener Shots mit starkem Gaststaraufkommen – Paul Giamatti, Dennis Quaid, Jeff Goldblum, John Hawks u.a. - nach.
Amy Schumer taucht in der Episode selbst nur kurz auf, sie ist die Angeklagte. Die Anklage: Sie sei nicht hot enough, um eine eigene Fernsehshow zu haben. Als kurze Punchline wäre das freilich recht plump, durch die dramaturgische Strenge, die nüchterne Inszenierung und das Spiel der Darsteller, die auch noch die dümmsten, sexistischsten oder albernsten Texte liefern wie in einem Spielberg-Drama auf Oscar-Kurs, gewinnt das Szenario neue Dimension.
Falsches Schmalz oder öde Moral bleiben bei "Inside Amy Schumer" draußen, Selbstmitleid gibt es keines. Keine Erlösung und Läuterung, auch wir bleiben schlechte, egoistische Menschen, die eventuell nach einem desaströsen Date im Freundinnen-/Freundes-Kreis Dinge erzählen, die vielleicht nicht komplett nobel sind. Sich selbst und uns, die eingeweihten Zuseher, die wir ja ohnehin immer nur das Gute wissen und wollen, erspart Amy Schumer die Kritik klarerweise nicht. I started a joke, but the joke was on me?