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Johanna Jaufer

Revival of the fittest... aber das war noch nicht alles.

11. 8. 2015 - 18:58

Was tun.

Wer vor Krieg und Elend flieht, hat sich den Neubeginn im Ausland nicht ausgesucht. Beim Diskutieren auf Augenhöhe unterstützt der Biographie-Blog gefluechtet.de.

#refugeeswelcome
FM4 stellt Initiativen vor, die die Situation von Flüchtlingen in Österreich verbessern wollen. Wir sind über alle weiteren Hinweise über NGOs und engagierte Privatinitiativen dankbar.

Kontakt: fm4@orf.at. Weitere Informationen auf
fm4.orf.at/refugeeswelcome

Mehr als zweihundert Angriffe auf Asylsuchende bzw. Flüchtlingsunterkünfte hat es heuer schon in Deutschland gegeben (siehe Überblicksgrafik hier): Brandanschläge und Körperverletzung füllen die Schlagzeilen, immer noch ist gemeinhin von "Asylkritik" die Rede, wenn es eigentlich oft um Rassismus geht. Spätestens als vor ein paar Monaten die Pegida-Anhänger durch die Straßen gezogen sind - "Wir sind das Volk" lautet ihre Losung, ein Rückgriff auf die Wendezeit (damals wurde allerdings für den Fall von Mauern demonstriert) - dachte sich die Historikerin Birte Förster, "Ich bin auch Volk, und ich bin überhaupt nicht eurer Meinung!" Gemeinsam mit KollegInnen setzte sie gefluechtet.de auf, ein Biographie-Blog. Flucht "gibt es immer, und die Gründe liegen nicht nur da, wo die Leute herkommen", spielt Förster auf jahrhundertealte Kolonialgeschichte und gegenwärtige Ausbeutung von Agrarland und Rohstoffen in Ländern des globalen Südens an.

gefluechtet.de

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"Lernen Sie meine Oma kennen"

Fluchterfahrungen können den Alltag auf sehr unterschiedliche Weise auf den Kopf stellen. So liest man auf gefluechtet.de von Kurt Saar-Schnitts Oma, die als junge Frau aus Pommern fliehen musste, aber auch über den italienischen Autor Roberto Saviano, der sich nach Enthüllungen über die Camorra in der eigenen Heimat verstecken muss, ohne dass dort Krieg herrscht. Der aktuellste Blogeintrag handelt von der in Wien geborenen Gerda Lerner. Bei der Jobsuche im amerikanischen Exil half ihr ein Freund. Sein Rat: "Sag nie, dass du ein Flüchtling bist. Frag nichts, erzähl nichts freiwillig." Ein Satz, wie er auch 2015 fallen könnte.

Interview mit Co-Initiatorin Birte Förster

Johanna Jaufer: Was will der Blog in der laufenden Debatte leisten?

Birte Förster: Die Überlegung war: Wir sind Geistes- und SozialwissenschaftlerInnen. Was können wir dazu beitragen, das Phänomen „Menschen müssen ihre Heimat verlassen, aus welchen Gründen auch immer, weil sonst ihr Leben bedroht ist“ anders aufzufächern? Es gibt die hater, und es gibt viele Leute die sich engagieren, aber es gibt keine Debatte auch seitens der Politik in Deutschland, die mal klarmacht, wir sind ein reiches Land, wir schaffen das, es ist kein Problem für uns, 450.000 Menschen unterzubringen. Das war glaube ich die Motivation: zu sagen, So geht’s nicht weiter. Das ist unsere Kompetenz als Historiker: zu sagen, Flucht ist ein historisches Phänomen, das gibt es immer, und die Gründe liegen nicht nur da, wo die Leute herkommen. Wir sind mit diesen Menschen verbunden, die zu uns kommen, durch Wirtschaft und politische Verhältnisse, durch Globalisierungsprozesse, die nicht erst im 21. Jahrhundert angefangen haben sondern schon spätestens ab 1800 zu beobachten sind. Die sind nicht fremd. Die amerikanische Feministin M. Jacqui Alexander hat mal gesagt: „Wenn ihr wissen wollt, wie wir alle verbunden sind, dann schaut auf die Waschzettel in eurer Kleidung“.

Wenn ich mitmachen will, genügt ein Email?

Auf der Seite gibt es die Rubrik „Beteiligen“, da findet sich unsere Emailadresse. Dahin kann man Vorschläge an uns schicken.

Man sieht ja zum Glück nicht nur Häme, Hass und Hetze, sondern sowohl in Deutschland als auch in Österreich viele Initiativen von BürgerInnen, die versuchen zu helfen. Bleibt die Frage: inwieweit soll sich der Staat darauf verlassen dürfen?

Das ist jetzt meine persönliche Meinung: Ich denke, der Staat ist dafür da, die Infrastruktur zur Verfügung zu stellen. Die gute Unterbringung, Schulbildung, Zugang zu Sprachkursen… Damit Menschen hier überhaupt ein Leben in Würde führen können. Was ja hier nicht passiert – nicht in Dresden, nicht in Berlin und nicht in Traiskirchen – das ist ein absoluter Skandal. Ich halte Dresden inzwischen für Methode: in Dresden gibt es ein großes Zeltlager für Flüchtlinge. Da ist es sehr heiß, es gibt nicht ausreichende sanitäre Versorgung, es gibt nicht ausreichend Trinkwasser – mitten im Stadtgebiet Dresden ist mitunter das Kindeswohl gefährdet. Ärzte protestieren. Das kann nicht sein. Das darf nicht sein in diesem Land. Zugleich wissen wir: in Sachsen stehen zehntausende Wohnungen leer, wo man Personen unterbringen könnte, wovon Personen, die in Sachsen Wohnungen vermieten möchten, auch profitieren könnten. Warum geschieht das nicht? Ich glaube, das hat damit zu tun, dass wir wissen: es gibt 20 Prozent antisemitisch/rassistische Einstellungen in Deutschland, das ist im letzten Jahr durch Pegida und die AfD sehr deutlich geworden. Offensichtlich hat das wahlarithmetische Gründe – Menschenrechte werden der Wahlarithmetik geopfert.

Eine Kritik, die auch in Österreich immer wieder geäußert wird…

Ich denke, die Unterbringung in großen Lagern ist ohnehin vollkommen verfehlt. Wie soll sich jemand so integrieren? Wenn ich selbst geflüchtet wäre, würde ich das auch nicht wollen. Ich würde auch lieber wo wohnen, wo ich in Kontakt kommen kann zu den Menschen aus meinem Gastland. Das gibt es ja auch: das Saarland in Deutschland – natürlich eines der kleinsten Bundesländer – ist relativ erfolgreich mit dezentraler Unterbringung. In diesem Fall – damit komme ich auf die vorherige Frage zurück – ist natürlich wichtig, dass das Umfeld reagiert, es etwa Personen gibt, die sagen: „Ich möchte jetzt ein Sprachtandem mit dir machen“. Es gibt sehr viele gute Initiativen. In Bochum gibt es eine studentische Initiative, die angeregt durch eine NGO zu Arztbesuchen mitgehen, Formulare ausfüllen helfen – Dinge mit denen man total überfordert ist wenn man traumatisiert ist und außerdem die Sprache nicht kann. Diese Menschen sind da, aber ihre Stimmen sind aus meiner Sicht nicht laut genug.

Gibt es auch die Möglichkeit, dass auf gefluechtet.de Geflüchtete selbst erzählen?

Wir sind erst im Aufbau, brauchen dementsprechend Hilfe und freuen uns über jeden der uns schreibt. Das würden wir natürlich sehr gerne machen, es ist aber auch die Frage, wie öffentlich jemand sein Schicksal machen möchte. Wenn Menschen auf uns zugehen, sofort, aber ich will nicht zu jemandem sagen: „Jetzt erzähl‘ mir mal dein Leid“ – das finde ich sehr zwiespältig. Mein Eindruck ist gerade, dass wenn jemand seine persönliche Geschichte erzählen mag, das etwas ist, das Leute auch gleich verstehen. Anja Reschke hat in ihrem Tagesschau-Kommentar gesagt, „Wir wollen jetzt einen Aufstand der Anständigen. Wir brauchen die Stimme von denen, die sagen, ‚so geht’s hier nicht, das darf nicht sein‘“. Darunter habe ich den Eintrag einer Krankenschwester gelesen, die berichtet hat, wie traumatisiert diese Personen sind und in welcher Lage sie sich befinden. So etwas braucht man. Dass Leute mal sagen: „Die sind hier nicht zum Spaß. Die sind hier in größter Not“. Wir sind ein Land, aus dem Leute haben fliehen müssen. Aus dem Kinder in Kindertransporten ohne ihre Eltern nach Großbritannien gekommen sind. Die nur deshalb überlebt haben, weil es diese Initiativen gab. Weil Menschen aus der Schweiz Juden in die Schweiz geschleust haben; weil es Menschen gab, die den Affidavit für Ausreisewillige (etwa nach Südamerika) geleistet haben. Walter Benjamin ist ein ganz berühmter Fall: er hat es nicht geschafft und Suizid begangen, weil er nicht fliehen konnte. Kurt Tucholsky hat sich das Leben genommen. Wir haben also auch die Geschichten, die nicht „erfolgreich“ waren. Manchmal denke ich, es würde allen gut tun, sich einmal wo fremd zu fühlen. Die Erfahrung zu machen, wie es eigentlich ist, wenn ich nichts verstehe, wenn ich nicht kommunizieren kann. Wenn vielleicht auf dem Weg hierher noch meine beiden Kinder ertrunken sind. Das sind die Schwächsten unserer Gesellschaft, auf die wirft man keine Steine – denen reicht man die Hand.