Erstellt am: 10. 8. 2015 - 19:01 Uhr
Griechenland in Schockstarre
"Keiner von uns hat mit so einer harten Haltung Berlins gerechnet, dass Deutschland Griechenland tatsächlich aus der Eurozone werfen will", sagt Ariadne, eine junge Bankangestellte, über den Ausgang der mehrmonatigen Verhandlungen zwischen Athen und den Gläubigern. Sie versucht, den Sommer zu genießen, doch in ihrem Kopf und in den täglichen Gesprächen mit Freunden und Bekannten kommt man immer wieder zum gleichen Thema: Wie geht es weiter?
Laut Medienberichten soll das neue Sparprogramm für Griechenland bis Ende dieser Woche beschlossen werden. Bereits am Dienstag könnte der Entwurf einer Grundsatzvereinbarung für weitere Gelder stehen, heißt es aus Verhandlungskreisen. Am Donnerstag soll das griechische Parlament darüber entscheiden, bevor am Freitag die Eurofinanzminister zustimmen. Es geht um ein weiteres Kreditprogramm von bis zu 86 Milliarden Euro. Spätestens bis 20. August soll eine Einigung erzielt werden, denn dann ist eine Rückzahlung an die Europäische Zentralbank in Höhe von mehr als drei Milliarden Euro fällig.
EPA/ALEXANDROS VLACHOS
Tsipras als Opfer
Obwohl der griechische Premierminister Alexis Tsipras dem neuen Sparkurs zustimmt, scheint er laut aktuellen Umfragen immer noch Rückhalt in der Bevölkerung zu haben. Die sagen, dass Syriza stärkste Partei wäre, wenn es im Herbst zu Neuwahlen kommt. Viele GriechInnen sehen Tsipras als Opfer von Erpressungen aus Brüssel. Er hatte sich am 13. Juli nach einem mehrstündigen Verhandlungsmarathon den Forderungen der EU gebeugt, obwohl sich mehr als 61 Prozent der GriechInnen beim Referendum klar gegen den Sparkurs gestellt hatten.
Dass Tsipras als Opfer einer Erpressung gesehen wird, ist seine stärkste politische Waffe, sagt Politik-Beobachter Stavros Lygeros. "Doch sobald die Rechnung kommt, nach der Umsetzung der neuen Sparmaßnahmen, sobald der Schock der Griechen [nach der Einführung der Kapitalverkehrskontrollen] nicht mehr so stark ist, wird sich die Stimmung ändern", meint er.
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Mehr als einen Monat nach dem Referendum ist die griechische Bevölkerung weiterhin frustriert. “Besser Tsipras an der Macht, als alle anderen, die allem, was von den Gläubiger gefordert wird, zustimmen“, sagt eine 67-jährige Rentnerin. “Tsipras hat wenigstens gekämpft. Er hat vielleicht bei den Verhandlungen verloren, aber für fünf oder sechs Monate hat er dafür gesorgt, dass nicht alles zusammenbricht. Jetzt aber, mit den Kapitalverkehrskontrollen, beginnt alles zusammenzubrechen.“
Wirtschaftslage weiterhin dramatisch
Die dramatische Wirtschaftslage in Griechenland scheint kein Ende zu nehmen. Anfang des Monats hat die Athener Börse die heftigsten Kursverluste seit dem Jahr 1957 erlebt. Besonders betroffen waren die Banken. Die Kapitalverkehrskontrollen und die mehrwöchige Schließung der Banken Ende Juni haben schwerwiegende Folgen für den Handel. Laut einer Untersuchung von Ende Juli, verzeichnen 9 von 10 Unternehmen sinkende Umsätze; bei 3 von 10 beliefen sich der Rückgang auf mehr als 70 Prozent. Insgesamt ging der Konsum um etwa 50 Prozent zurück. Konservativ berechnet hat die griechische Regierung in diesem Zeitraum 570 Millionen Euro aus indirekten Steuern verloren.
Das Schlimmste scheint aber erst bevorzustehen: Beobachter rechnen in den kommenden Monaten mit einer starken Rezession in Griechenland. Viele Menschen sind resigniert. Manche meinen, die Gläubiger wissen viel besser, was für Griechenland gut ist. “Die wichtigen politischen Entscheidungen werden nicht in Griechenland getroffen, sondern in Brüssel. Deswegen sind es die richtigen“, meint Michalis, ebenfalls Rentner. Er glaubt, dass das Land nicht voran kommt, weil die griechischen Politiker weiterhin falsche Entscheidungen treffen – aus Angst vor Stimmverlusten und um sich weiterhin politische Vorteile zu verschaffen.
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Zukunft von Syriza
Die linksgerichtete Regierung von Tsipras muss in den kommenden Monaten eine Reihe von harten Sparmaßnahmen umsetzen. Manche von ihnen, wie z.B. die Erhöhung der Mehrwertsteuer, wurden bereits umgesetzt. Tsipras hat bei den Abstimmungen über die ersten Sparmaßnahmen seine Regierungsmehrheit verloren und war auf die Stimmen der Opposition angewiesen. Im September soll auf einem Sonderparteitag über die Zukunft seiner Partei entschieden werden. Beobachter gehen davon aus, dass sich das Linksbündnis spalten wird, denn die Gräben innerhalb von Syriza werden immer tiefer. Es gilt als sehr wahrscheinlich, dass Tsipras' Opponent, der ehemalige Energieminister Panagiotis Lafazanis vom linken Syriza-Flügel, seine eigene Partei gründen wird.
Neuwahlen könnten gleich nach der Einigung über das neue Sparpaket ausgerufen werden und schon Mitte September stattfinden. Syriza wolle mit allen Mitteln die eigene Haut retten, schrieb die populäre Wochenzeitung Proto Thema am Sonntag: "Jetzt versuchen sie, sich an die Macht zu klammern und sind bereit, alles zu opfern: Ideen, Programme, Genossen, Freunde und Feinde. Sie klammern sich an die Macht, nicht nur weil diese süß ist, sondern vor allem, weil die Macht ihre letzte persönliche Rettung ist. Wenn sie diese verlieren, kommt die Strafe: Sie werden dann mit den Opfern ihrer Politik konfrontiert“.
Chrissi Wilkens
Manche Bürger hoffen auf einen Machtwechsel, wenn es zu Neuwahlen kommt. “Alles ist viel schlimmer als vorher: Die Wirtschaft, der Verteidigungssektor, die Migrationsfrage. Alles wird ausverkauft und privatisiert“, so Vasiliki, eine 38-jährige Freiberuflerin. Die Lage in Griechenland hat sie psychisch erschöpft. Neuwahlen wären ein Ausweg, falls diese Regierung abgewählt wird: “Ich glaube, jede andere Regierung wäre besser im Vergleich zu dieser ausweglosen Situation, die wir gerade erleben.“ Hauptsache, die Lage wird ein wenig besser; das würde reichen, meint Vasiliki. Bei den Umfragen stellt sich die Mehrheit der GriechInnen nach wie vor hinter den Euro. Doch eine Umfrage, die der Think Thank Bridging Europe Ende Juli veröffentlichte, zeigt: Die GriechInnen sind in dieser Frage gespaltener als je zuvor: 36 Prozent sagen, dass Griechenland die Eurozone verlassen sollte, 41 Prozent meinen, Griechenland sollte bleiben und 23 Prozent hatten keine Antwort dazu.
Gefahr des Grexits nicht gebannt
In Athen, wie auch in Brüssel, ist man sich dessen bewusst, dass die Gefahr eines Grexits noch nicht vorbei ist. Die deutsch-griechischen Beziehungen bleiben angespannt. Am Montag wurde eine Studie des Instituts für Wirtschaftsforschung Halle veröffentlicht. Die Studie besagt, dass Deutschland von der griechischen Finanzkrise profitiert hat: Seit 2010 habe der deutsche Staatshaushalt rund 100 Milliarden Euro eingespart, die sich zumindest zum Teil direkt auf die Griechenlandkrise zurückführen lassen.
Für Unmut sorgten deutsche Medienberichte, laut denen der deutsche Finanzminister Wolfgang Schäuble nicht damit rechnet, dass die Verhandlungen über ein drittes Kreditprogramm für Griechenland rechtzeitig beendet werden und dass er einen Zwischenkredit erwägt. Schäuble stellt sich damit gegen Kommissionschef Jean-Claude Juncker, der sich zuversichtlich gibt, dass es rechtzeitig eine Einigung mit Athen gibt.
Die linksliberale, regierungsnahe Zeitung Efimerida ton Syntakton findet in ihrer Wochenendausgabe harte Worte über Schäuble: "Er handelt bewusst als Provokateur, indem er von einer kleinen temporären Brückenfinanzierung von fünf Milliarden Euro spricht (...), die mit vielen neuen antisozialen Voraussetzungen verbunden wäre. Herr Schäuble will der griechischen Regierung keine Zeit zum Regieren geben. Er will sie zur Geisel seiner extremsten imperialistischen Ambitionen machen, bis er sie demütigt. Wird er es dieses Mal schaffen?"