Erstellt am: 10. 8. 2015 - 12:09 Uhr
Vom Schlagzeug auf die Welt: Georgia
Wie lautet nochmal der Spruch mit der Wiege und dem Talent? Oder dem Apfel und dem Stamm? Georgia Barnes ist die Tochter von Neil Barnes. Neil Barnes wiederum ist eine Hälfte des britischen Duos Leftfield, das in den 90er-Jahren mit "Leftism" Pionierarbeit leistete in Sachen albumtaugliche Clubmusik made in the UK.
Acid- und Amylhouse, Tribal-Sounds, Big- und Breakbeats, diverse Technospielarten und der zähflüssige Trip-Hop sowie abstrakter Soul und gesampelter Jazz verschafften der Insel und Acts wie Massive Attack, Chemical Brothers, The Orbital, Underworld und eben auch Leftfield ein weltweites Publikum.
Domino Rec
So divers die Sounds, so einheitlich der Ansatz: Gott ist eben kein DJ. Der Plattenschwinger und/oder Producer ist vielmehr ein Mittler zwischen der himmlischen Musik und den gläubigen Massen, ein wahrer Diener vor dem Herrn, ein Popsozialist, wenn man es politisch ausdrücken wollte – ein Konzept, das sich aber auch sehr schnell wieder erledigte. Bald erkannten diverse Hohepriester das kommerzielle Potential, das im elektronischen Underground steckte. Noch heute leiden wir an den Folgen. Die biblischen Plagen hören auf Namen wie David Guetta oder Avicii. Wie ging nochmal der Spruch mit der Religion und dem Opium?
Aufschlag Georgia
"Ich bin völlig normal aufgewachsen", erzählt Georgia Barnes beim Interview in Berlin. "Die Szene, in der sich mein Vater bewegte, war überhaupt nicht am Celebrity-Status interessiert. Der Star war die Musik". Und weil deren Fundament der Rhythmus ist, schenkte Papa-Barnes Klein-Georgia in noch sehr jungen Jahren ein Schlagzeug. "Ich setzte mich hin und konnte sofort spielen. Das war Liebe auf den ersten Blick. Schon in der Schule bekam ich ständig Ärger, weil ich auf der Tischplatte rumgetrommelt hatte. Dann das Drum-Kit. Mein Dad ist ein kluger Mann".
Georgia bezeichnet sich selbst als High-Energy-Kid. Parallel zur Schule kickte sie in der Jugend von Arsenal. Während des Studiums der Musik arbeitete sie im Rough-Trade-Store in London und knüpfte dort Kontakte zu gleichaltrigen Pop-Nerds. Es folgten Studiosessions und Touren als Schlagzeugerin für befreundete Musiker wie Kwes oder Kate Tempest. "Leider muss man sich als Schlagzeugerin von manchen Typen noch immer blöd anreden lassen. Die dummen Sprüche haben mein Spiel eher befeuert, aber das ist natürlich trotzdem traurig."
Traurig ist aber eher nicht so Georgias Ding. Sie arbeitete unbeirrt an ihrem Spiel, erweiterte ihr Repertoire um andere Instrumente und eignete sich nach und nach Produktionsskills an. "Der Beat interessiert mich am meisten", sagt die 25-Jährige wenig überraschend. "Meine Vorbilder sind J Dilla, Timbaland aber auch The Knife. Ich mag, was sie mit den Beats gemacht haben, wie sie das Originalmaterial verfremdet haben und ihm neues Leben einhauchten. Ich stöbere viel in alten Ethno-Platten rum, sample Sounds und wickel sie um den Beat herum."
Georgias namenloses Debütalbum, das sie die letzten zwei Jahre in ihrem Heimstudio zusammenschraubte, hört sich dann auch an wie ein atemloser Sprint durch die verschiedenen ethnograpischen Viertel ihrer Heimatstadt London: "Du kommst durch jamaikanische, indische und afrikanische Neighborhoods. Ich würde es falsch finden, diese Vielfalt zu ignorieren." Wir treffen auf afrikanische Gesangsintros, Bhangra-Samples und pakistanische Qawwali-Musik. Letztere hat sie dem Mixtape eines Taxifahrers entnommen.
Christian Lehner
Dominanter sind jedoch zeitgenössische Club- und Popsounds. Selbst in den Balladen wummert der Subbass und die Beats fahren mit einem ordentlichen Rumms in die Garnitur. Die Rave-Hörner heulen, dem noch immer angesagten Synth-Sound des 90er-R’n’B arbeitet Georgia toxische Schlieren ein, die Singstimme jagt sie durch diverse Effektgeräte. Auch ihr Lieblingsinstrument hat sie in den Clubkanon eingemeindet. Obgleich von ihr am Kit eingespielt, finden sich in den Tunes weder Drum-Rolls noch Schlagzeugsoli, dafür umso mehr Breakbeats.
Und obwohl "Georgia", das Album, die Ankunft einer sich durch und durch über Sounds und Rhythmen definierenden Musikerin markiert, blitzt in vielen Tunes das Songwriter-Talent auf, das Georgia allerdings nie gänzlich erblühen lässt – etwa in Stücken wie "Nothing Solutions" oder "Tell Me About It".
"Das Album hat keinen thematischen Überbau oder Fokus", sagt die Albumdebütantin, "es zeigt vielmehr, wo ich als Musikerpersönlichkeit stehe, und ich stehe gerade am Anfang." Aus dem Mund Georgias klingt das weder bescheiden noch mit den eigenen Talenten kokettierend, sondern reif und realistisch. Als Einwand gegen das Album soll das bitte auch nicht verstanden werden. Höret und raved! Apropos: Papa Barnes hat nur wenige Wochen vor der Tochter das erste Leftfield Album seit 16 Jahren veröffentlicht.