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Burstup

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7. 8. 2015 - 15:26

Flucht, Lebensgefahr und Bürokratie

Gestern inspizierten Beobachter von Amnesty International das Erstaufnahmezentrum Traiskirchen. Der Bericht dazu wird erst in einer Woche fertig sein, doch auch außerhalb des Lagers ist zu sehen: Die Situation in Traiskirchen bleibt dramatisch.

Über 4.000 Asylsuchende sind derzeit im sogenannten "Erstaufnahmezentrum Ost" untergebracht. Wobei der Begriff "untergebracht" relativ ist, viele haben im Traiskirchner Flüchtlingslager nämlich weder Zimmer noch Bett, sondern schlafen in Zelten auf dem Rasen des eingezäunten und abgesperrten Areals. Während die Beobachter von Amnesty International gestern den ganzen Tag das Flüchtlingslager inspiziert haben, sprach ich mit Asylsuchenden und Helfern im Ort.

Foto: Christoph Weiss

Am Straßenrand kauernde Menschen sieht man im ganzen Ort

Schon in der Station der Badner Bahn in Traiskirchen sehe ich Flüchtlinge. Sie sitzen am Bahnsteigs oder unter Bäumen: Kinder und Jugendliche, ältere Frauen in bunten Gewändern und Kopftüchern, Männer in zerschlissenen Flip-Flops. Sie säumen den Straßenrand vom Bahnhof über den Hauptplatz bis zum Erstaufnahmezentrum. Vor dessen Eingang hat sich eine Warteschlange gebildet. Denn jeder der das Lager verlässt - auch wenn es nur ist, um Brot und Milch zu kaufen - wird beim Zurückkommen per Leibesvisitation durchsucht und mit Scanner erfasst. Warten sei er schon gewohnt, sagt Umit, er ist seit zwei Monaten in Traiskirchen und muss z.B. beim Essen in der Regel zwei Stunden anstehen: „Die Menschen im Lager sind größtenteils friedlich“, erzählt er, „doch in den Warteschlangen hört man die Menschen öfters fluchen.“

Foto: Christoph Weiss

Warteschlange am Eingang zum Erstaufnahmezentrum

Frust und Aggression lägen aber auch bei den Beamten in der Luft. Einmal, erzählt Umit, sei er mehrere Stunden Schlange gestanden, weil er bestimmte Dokumente vorweisen sollte - dann aber haben ihn die Beamten angeschnauzt, dass er im falschen Zimmer sei: "Dann hat er meine Papiere angesehen und zu mir gesagt, ich sei noch kein ganzes Jahr im Lager, was ich hier wolle, ich sei wohl ein Lügner."

Foto: Christoph Weiss

Die Beobachter von Amnesty International betraten das Erstaufnahmezentrum kommentarlos - und dann ging der Schranken auch schon wieder zu.

Im ersten Monat ihres bisher achtwöchigen Aufenthalts in Traiskirchen hatten Umit und seine Familie noch kein Bett und kein Zimmer im Lager. Geschlafen hätten sie im Schlafsack auf dem Rasen, erzählen sie. Noch schlimmer als der kafkaeske Albtraum hinter den Zäunen des Lagers wäre aber der Schrecken gewesen, vor dem sie in Afghanistan geflüchtet sind. Sowohl Taliban, als auch IS fordern in ihrer Heimat, dass man sich der jeweiligen Organisation anschließt, und der bloße Verdacht, dass man zu den anderen hält oder gar mit Amerikanern zusammengearbeitet hat, sei lebensgefährlich für die ganze Familie. Umits Familie drohte zwischen Taliban und IS zerrieben zu werden: "Sie bekämpfen einander, sie töten einander und sie töten Zivilisten."

Foto: Caritas

Auch Kinder schlafen am Gelände des Erstaufnahmezentrums im Freien - bei Sonne und bei Regen.

Dem Schlepper haben Umit und Familie 7000 US-Dollar pro Person gezahlt. Der Trip nach Österreich hat dann zwei Monate gedauert. Am schlimmsten hat Umit die türkische Grenze in Erinnerung, denn dort würden die Grenzsoldaten auf Flüchtlinge schießen. "Wir waren in Todesangst und sind gelaufen. Einer hat sich den Fuß gebrochen. Auch ich habe mich verletzt. Dann habe ich mich verirrt und bin 48 Stunden ohne Wasser durch die Gegend geirrt." Schließlich hätte er den Anschluss an die Gruppe wiedergefunden.

Hilfe für Traiskirchen - wo die Politik versagt, ist Hilfe notwendig. So geht's.

Für den Moment ist Umit der direkten Lebensgefahr entkommen. Wie es mit ihm weitergeht weiß er aber nicht. Vor dem Flüchtlingslager in Traiskirchen verteilen Privatpersonen und NGOs Hilfsgüter, z.B. nach wie vor der sogenannte „OmniBus“ der Caritas. "Die Hilfsgüter", erzählt ein Freiwilliger, "kommen hauptsächlich von den österreichischen Spendern. Die bringen sie mit ihren Autos hierher. Dann werden sie in unserem Zelt oder in den Räumen des türkisch-islamischen Vereins sortiert und verteilt."