Erstellt am: 6. 8. 2015 - 11:23 Uhr
Was wollen diese zwei Dudes in der hood?
Ganz am nördlichen Ende Greenpoints in Brooklyn ist Houston weit weg.
Unweit des East Rivers bewohnt der Schreiber und Chronist Lance Walker zusammen mit seiner Ehefrau, einer Musikerin, ein Loft. Hier tippt Walker crazy schnell Interviews ab. "Mich würde wundern, wenn irgend jemand schneller transkribiert als ich", lacht er, als ich ihn bitte, kurz seine tägliche Arbeit vorzuführen.
Martin Brokko
Oral-History ist die seine. Derzeit arbeitet er an einem Buch über das marokkanische Saiteninstrument Gimbri sowie einem Interview-Collagen-Band über seine Heimatstadt Galveston und den 1900 Galveston Hurricane, einen der tödlichsten Hurrikans, die je die USA trafen.
Der Fotoband "Houston Rap" sowie die Interviewsammlung "Houston Rap Tapes" sind erscheinen bei Sinecure Books.
Erste Frage zum Projekt "Houston Rap", 9 Jahre Produktionszeit. Bereits erschienen sind ein Fotoband sowie eine Interviewsammlung: Wie konnten er, als Teenager Punkrockfan aus der texanischen Vorstadt und sein Kollege, der blonde Fotograf Pete Beste, so tief in die afroamerikanischen Communities Houstons eindringen? Wie war es möglich, hunderte Stunden Interview-Material und diese maximal intimen Porträtaufnahmen zu bekommen? Gab es nie Misstrauen, von wegen: Was wollen diese zwei Dudes in der hood?
"Am Anfang wurden wir oft für FBI gehalten. Wir hatten aber schon möglichst von Beginn an fertig entwickelte Fotos und Interviews in Großformat dabei und wurden irgendwann immer besser darin, uns zu erklären." Walker kam sogar öfters im Anzug auf Reportagereise. "Oft war die Reaktion: 'Hey, diese zwei wollen nicht wissen, woher ich meine Drogen beziehe, sondern über das Mixtape reden, das ich 1995 aufgenommen habe. Ihr seid keine Kieberer!'"
Martin Brokko
Walker und Beste hängen auf BBQs in Hinterhöfen ab, auf Parkplätzen und Drive-Thrus. Er interviewt die Crews und Rapper, Ex-Pimps, ehemalige Drogendealer, Persönlichkeiten aus der Houstoner (Strip-)clubszene und Lokalpolitiker. Beste schießt die Fotos. Sie treffen etwa Raheem, den ersten Rapper der Stadt mit Majorlabelvertrag (für sein Album "The Vigilante" in 1988).
Es geht um die Aufnahmen von damals, die Stellung von Southern Rap in den USA und um die Stadtplanung von heute. Walker interviewte bewusst nur einen anderen Journalisten – und der war von Anfang an dabei! – und achtet ansonsten darauf, mit den Künstlern und Bewohnern der Viertel selbst zu sprechen. Mittlerweile sind sämtliche Interviews, Tonaufnahmen und Fotos auch in den Archiven der University of Houston gelagert und dort für die interessierte Allgemeinheit zugänglich.
Man kann erkennen, wie viele Interviews für das Buch nicht verwendet wurden und dass es sich bei den vorliegenden um absolute Highlights handelt. So erwidert beispielsweise Geto-Boys-Mitglied Willie D, angesprochen auf die Probleme ärmerer Houstoner Neighborhoods: "Most poor people don‘t even know they can do something.[…] What the fuck do you mean, fight the city? You mean like … Houston against me?"
Martin Brokko
Walker betont, dass die Bewohner der Viertel zwar nicht in lupenreinem standard english daherreden mögen, aber deswegen keinesfalls vorschnell als dumm abgestempelt werden sollten.
In einem Interview spricht Minister Robert Muhammad, ein Prediger der Nation of Islam, etwa davon, gesündere Essensmöglichkeiten in der hood zu schaffen. Nirgendwo sonst gäbe es derartig viele Fast Food-Restaurants und Supermärkte mit kaum Obst und Gemüse. "If we were taught better […] we would demand better food. There is no way we would be eating that garbage. And they (fast food-restaurants) would slowly go out of business."
Natürlich geht es auch um Sizzurp, die ein Hustensaftgedränkgemisch aus Codein und Promethazin. Purple Drank, wie es auch genannt wird, dass einen starken Einfluss auf den musikalischen Output der Stadt und deren Protagonisten hat. Rapper Justice Allah fordert etwa ein neues Bewusstsein der Droge gegenüber. "After all the major Houston Rap Artists died from it, somebody would finally stand up and say: Hey, man, this stuff here is a drug! It‘s not just a fruity drink. […] Nobody‘ s speaking up against it. It‘ s just a reppin‘ H-Town type of drug."
Martin Brokko
Nachdem Lance Walker die Story der Stadt niedergeschrieben hatte und jahrelang zwischen New York und Houston pendelte, blieb all die Musik, blieben die Mixtapes und Remixe, die den beiden während ihrer Zeit in den afroamerikanischen Neighborhoods zugesteckt wurden, über.
Anfänglich kreierte Walker einen sechstündigen Mix – gedacht als Soundtrack zum Buch – und stellte diesen auf Soundcloud. Doch da dies bei Weiten noch nicht all die Musik in Walkers Fundus darstellte, erfand Walker die monatliche Radioshow "Houston Rap Tapes".
Zum heutigen Tag gibt es wohl kaum einen versierteren Kenner von Rap aus H-Town als Walker. Für die nächste Ausgabe von "FM4 Tribe Vibes" (zu hören am 6. August ab 22 Uhr) hat Lance Scott Walker einen exklusiven Mix aufgenommen. In seinen eigenen Worten: "It will be a mix of new and old, with tracks from lesser known artists, rare tracks from well known artists and a few non-Houston artists with connections to the city or the sound".
FM4 Tribe Vibes: #MixtapeMonat
August ist #MixtapeMonat bei Tribe Vibes! Das bedeutet: Großteils exklusive Mixes aus verschiedenen Ecken der Welt - und auch aus dem eigenen Studio.
In der ersten Ausgabe am 6. August freuen wir uns über ein Tape des "Houston Rap" und "Houston Rap Tapes" Autors Lance Scott Walker, der uns natürlich altes und neues Material aus der texanischen Metropole (und darüber hinaus) präsentiert, einen kurzen Mix durch das Schaffen des deutschen Produzenten Said und natürlich den Bassrunner Reggae Corner!
Zu hören am Donnerstag, 6. August, ab 22 Uhr und gleich im Anschluss für sieben Tage nuter fm4.orf.at/7tage.