Erstellt am: 5. 8. 2015 - 12:56 Uhr
В небо!
Mit Akzent
Die unaussprechliche Welt des Todor Ovtcharov. Im Radio und auch als Podcast zum Anhören.
"Die Leiden des jungen Todor"
Das Buch mit den gesammelten Kolumnen gibt es im FM4 Shop.
Die Nachfrage nach bulgarischen Pässen ist in den letzten zehn Jahren rasant angestiegen. Ich habe riesige Schlangen wartender Menschen vor der Passausstellungsbehörde gesehen. Menschen, die kaum bulgarisch sprechen, würden alles geben, um Bulgaren zu werden. Weil es nicht sicher ist, ob es auf dem offiziellen Weg mit der Behörde klappt, suchen viele nach anderen Mitteln, um den Pass zu bekommen. Ich habe schon dutzende Geschichten über Frauen aus der ehemaligen Sowjetunion gehört, die alles geben würden, um einen Bulgaren zu heiraten. Wenn nicht die Liebe, dann finden sie so wenigstens den Pass ihres Lebens.
Public Domain
Ich erzähle das meinem Freund Andrej. Er ist aus Uschhorod an der Grenze zwischen der Ukraine, Ungarn und der Slowakei. In seiner Stadt ist die Genealogie im Aufblühen: Jeder untersucht seinen Stammbaum. Nicht aus Liebe zur Geschichte, sondern aus Angst vor der Gegenwart. Andrej zum Beispiel hat gut bezahlt und es wurde eine Uroma aus Ungarn gefunden. Das reichte, um einen ungarischen Pass zu bekommen. Dieser erlaubt ihm, in der EU zu leben und zu arbeiten. Jeden Tag dankt er Gott für seine imaginäre ungarische Uroma.
Andrej ist der größte Workaholic, den ich kenne. Er arbeitet unaufhörlich in einem bekannten Wiener Hotel. Dabei hört er die ganze Zeit Musik. Immer die Band "Leningrad". Für Andrej ist "Leningrad" der Anfang und das Ende von Musik. Die Texte der Band, die eine Mischung aus Schimpfwörtern und hohe Poesie im Stile Puschkins sind, geben ihm die Kraft zu überleben. Oft singt Andrej mit. Da er Kopfhörer hat, merkt er oft nicht, wenn er beim Arbeiten mitsummt:
"Руки, ноги данс, голова бум-бум-ба...
Мои мозги похожи на кусок бамбука..."
Hands and feet dance, head bang bom-bom
My brains are like a piece of bubble-gam
So überlebt Andrej in der EU. Er hat wenig Zeit zum Trinken. Wenn er trinkt, trinkt er wie die Menschen im Norden: in großen Gläsern und auf Ex. Zum Wodka isst er geräucherten Speck, den er aus der Ukraine mitbringt. Andrej ist stolz, dass sein Vater ein Großmeister in der Speckproduktion ist. In letzter Zeit gab es aber immer wieder Probleme mit dem Speck. Wegen der Unsicherheit im Lande wurden seinem Vater schon zwei Mal die Schweine für die Armee enteignet. Der Vater von Andrej ist ein Patriot, aber der Speck ist ihm auch wichtig. Deshalb muss das Schweinezuchthaus Tag und Nacht bewacht werden.
Gemeinfrei
Einmal musste Andrej die Schweine bewachen. Er sah einen Geländewagen mit einem befestigten Maschinengewehr auf sich zukommen. Das waren von der Front zurückgekehrte Soldaten, die zur ultrarechten Fraktion "Правий сектор" (Prawij Sektor) übergetreten waren. Andrej war bereit, die Schweine mit seinem Leben zu verteidigen. Die ehemaligen Soldaten lachten ihn aus. Sie hatten viel höhere Ziele, als ein Schwein zu stehlen. Sie waren jetzt in der Politik und wollten die Grenzschmuggelkanäle aus den Händen der lokalen Politiker reißen. Um sie zu selber zu kontrollieren.
"Ich wusste nicht, ob ich in der Ukraine, oder in Somalia war", sagte Andrej. Aber etwas brachte ihn zurück auf die Erde. Aus dem Geländewagen erklang die Musik seiner Lieblingsband "Leningrad".
Мне бы в небо, мне бы в небо
Здесь я был, а там я не был
Мне бы в небо, мне бы в небо
Здесь я был, а там я не был
Up in the sky, I was in the Air
Here I was, and there I was not
Up in the sky, I was in the Air
Here I was, and there I was not