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Christian Fuchs

Twilight Zone: Film- und Musiknotizen aus den eher schummrigen Gebieten des
Pop.

5. 8. 2015 - 10:40

Brüchige Romantik

Notizen zu "Paper Towns" und "Slow West": Filme, in denen jungen Träumern der harsche Wind der Realität entgegenweht.

Abgeklärte Naturen erzählen gerne, dass die romantische Liebe eine Erfindung von Romanautoren des 18. Jahrhunderts sei. Sexualforscher stellen nüchtern fest, dass wir es mit einem chemischer Prozess zu tun haben, einem Wechselspiel der Hormone, das Menschen wie Marionetten reagieren lässt. Priester sprechen dagegen von einem göttlichen Funken, der zwischen zwei bestimmten Personen überspringt und Autorinnen wie Rosamunde Pilcher schreiben wahrscheinlich von Herzen, die glühend zueinander finden.

Hollywoodregisseure, die sich auf romantische Komödien spezialisiert haben, findet man wohl eher im letzteren Lager. Umso ungewöhnlicher ist es, wenn sich ausgerechnet die Verfilmung eines amerikanischen Jugendbuch-Bestsellers über die ganz große Liebe dem Thema differenzierter widmet, von verschiedenen Seiten her, um Aufrichtigkeit bemüht. Und einschlägige Platitüden dabei weitgehend ausgespart bleiben.

Paper Towns (Margos Spuren)

Centfox

Paper Towns (Margos Spuren)

Gegensätze ziehen sich (nicht) an

"Paper Towns" beginnt jedenfalls wie ein feuchter Nerdtraum. Der kleine Quentin, der in einer typisch fadgasigen Vorortsiedlung wohnt, wie man sie aus Spielberg-Filmen kennt, bekommt eines Tages eine ganz spezielle Nachbarin. Der schüchtere Mittelklasse-Bub verknallt sich sofort in die wunderschöne, selbstbewusste Margo, die mit ihren Eltern in der Nähe einzieht. Die beiden Kinder verbringen viel Zeit miteinander, erleben manches Abenteuer, immer wieder macht Quentin dabei vorsichtige Rückzieher.

Die Jahre rasen dahin und während sich Margo (Clara Delevingne) in ein umschwärmtes It-Girl auf der Highschool verwandelt hat, ist ihr Spielgefährte von einst (Nat Wolff) ein zurückhaltender Typ geblieben, der bloß mit seinen schrulligen Kumpels abhängt. Als Quentin eines Nachts Besuch von der enigmatischen jungen Angebeteten von einst erhält, kann er es kaum fassen. Und auch wenn Margo ihn bloß für einen kleinen Racheakt an ihrem Exfreund benutzt, entflammen die alten Obsessionen bei ihm erneut.

Am nächsten Tag ist Margo wie vom Erdboden verschluckt. Während sich ihre Eltern kaum Sorgen um die Ausreißerin zu machen scheinen, sucht Quentin fiebrig nach Anhaltspunkten rund um ihr mysteriöses Verschwinden. Gemeinsam mit seiner Clique von Freunden tritt er eine Reise an, die ihn quer durch Amerika führt, auf Margos Spuren.

Paper Towns

Centfox

Paper Towns (Margos Spuren)

Unbändige Sehnsucht und Teenage Angst

Man mag sich kaum ausmalen, welch sacharinsüße Teenage-Seifenoper in den falschen Händen aus so einem Stoff hätte werden können. "Paper Towns" entpuppt sich aber trotz mancher allzu gefälliger Szenen als positive Überraschung. Der Film nach dem gleichnamigen Roman von John Green knüpft einerseits an die einfühlsamen Coming-of-Age-Streifen von John Hughes an, die von der Generation der Achtziger-Jahre-Kinder innig verehrt werden. Gleichzeitig ist "Margos Spuren", wie der deutsche Titel lautet, eindeutig in der Gegenwart verankert, mit all ihren Widersprüchen und Ambivalenzen.

Vor allem gelingt es Regisseur Jake Schreier aber, ein bestimmtes jugendliches Feeling auf den Punkt zu bringen, das auch stets die besten Bands besungen haben. Eine Mischung aus unbändiger Sehnsucht und gleichzeitiger Angst vor der Zukunft, die da draußen wartet.

Während Quentin eher die zweitere Befindlichkeit verkörpert, symbolisiert Margo den Ausbruch. Wenn sie auf die glitzernden Lichter ihrer Heimatstadt blickt und von einer schnöden Kulisse aus Papier spricht, voller Papier-Bewohner, wenn sie ein intensiveres Leben ohne Kompromisse einfordert, dann begegnen wir einer charismatischen Kinofigur.

Supermodel Clara Delevingne gehört in dieser Rolle zu den Entdeckungen des Jahres. Dass im Finale auch noch eine Intelligenz aufblitzt, die man selbst in ambitionierten RomComs selten findet, dass der Film zur Reflexion über romantische Projektionen wird, dass der Soundtrack mit lässigen Acts wie Bon Iver, War on Drugs oder Twin Shadow nicht geizt, all das macht "Paper Towns" auch für Zuseher, die der Zielgruppe längst entwachsen sind, zum Fundstück.

Paper Towns (Margos Spuren)

Centfox

Paper Towns (Margos Spuren)

Tief ins Herz der Finsternis

Wenn der Nerdboy Quentin irgendwann im Laufe seiner Suche nach Margo begreift, dass vielleicht doch die Reise selbst das Ziel ist, dann bleibt diese Erkenntnis seinem Pendant Jay verwehrt. Der junge Mann aus Schottland, der in "Slow West" das wilde Amerika der Bürgerkriegsära durchstreift, um seine Geliebte zu finden, ist ständig mit dem Grauen und dem Tod konfrontiert.

Dass Jay (von Kodi Smit-McPhee wunderbar verhuscht gespielt) überhaupt diverse Schreckensszenarien heil übersteht, verdankt sich dem Revolverhelden Silas (Michael Fassbender in den Fußstapfen von Clint Eastwood), der gegen angemessene Bezahlung den redseligen Träumer beschützt. Je tiefer sich die zwei ungleichen Charaktere aber ins Herz der Finsternis begeben, verfolgt von einer brutalen Kopfgeldjäger-Gang (angeführt vom großartigen Ben Mendelsohn), desto aussichtsloser scheint es, die angebetete Rose zu finden.

Ungewöhnliche Zugänge gehören zum Western-Genre spätestens seit den späten Sechziger Jahren, als Regisseure wie Sam Peckinpah oder Monte Hellman die etablierten Heldenmythen dekonstruierten.

In jüngerer Vergangenheit näherten sich Jim Jarmusch ("Dead Man"), die Coen Brothers ("True Grit") oder Quentin Tarantino ("Django Unchained") dem ehrwürdigsten aller Hollywood-Genres mit neuen künstlerischen Zugängen. Auch "Slow West", geschrieben und gedreht von John Maclean, dem früheren Kopf der Beta Band, steht in dieser schrulligeren Indie-Tradition.

Slow West

Thimfilm

Slow West

Existentialistischer Trip in knalligen Farben

Der Filmtitel "Slow West" ist treffend: Am ehesten noch mit Jim Jarmusch vergleichbar, der einst Johnny Depp auf einen Todestrip in die Prärie schickte, setzt auch der Schotte Maclean auf Langsamkeit und wabernde Melancholie statt üblicher Pferdeopern-Action. Jay und Silas verstricken sich in existentialistische Dialoge über das Sein, während sie in der Wüste immer strangeren Figuren begegnen. Im Gegensatz zum schwarzweißen "Dead Man" strahlt "Slow West" aber in sämtlichen knalligen, überdeutlichen, märchenhaften Farben.

Blutrot gehört allerdings, bei aller stilisierten Idylle, ganz zentral zu diesem Spektrum. John Macleans Film, der sich aus europäischer Perspektive und in Neuseeland gedreht, dem amerikanischen (Alb-)Traum nähert, mag mit einer Arthouse-Sensibilität flirten, Gefangene werden aber kaum genommen.

Slow West

Thimfilm

Slow West

In einem der beeindruckendsten Shootouts seit einiger Zeit entscheiden sich die Schicksale der Protagonisten. Quentin, der Angsthase aus "Paper Towns" würde in so einem Szenario wohl in haltlose Panik ausbrechen, sein Emo-Pendant Jay aus "Slow West" greift dagegen für seine vermeintliche Traumfrau stoisch zur Waffe.

Der harsche Wind der Realität weht in jedem Fall beiden jungen Männern entgegen, die sich hoffnungslos in romantischen Fantasien ergehen. Denn möglicherweise, sagen uns diese zwei höchst unterschiedlichen Filme, existiert die wahre Liebe nur im Kopf.