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Martin Blumenau

Geschichten aus dem wirklichen Leben.

4. 8. 2015 - 14:51

The daily Blumenau. Tuesday Edition, 04-08-15.

Der Kampf um die Deutungshoheit. Heute: Wer ist Terrorist?

#demokratiepolitik #asylpolitik

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In der Informations-/Medien-/Redaktionsgesellschaft ist es der Kampf um die Deutungshoheit, der am heftigsten geführt wird. Wer es zuerst und mit cleverer Besetzung und redundanter Wucht schafft einen bestehenden Begriff mit einer aktuellen Um/Deutung zu versehen oder neue Begriffe zu kreieren und deren Verwendung jenseits der eigenen Agenda in die Gesellschaft hinein zu platzieren, der setzt die Standards und dominiert den öffentlichen Diskurs.

Jüngstes Beispiel: die Asyl-Debatte und der Terrorismus-Begriff.

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Der ungarische Premier Viktor Orban, semiautoritär agierender Rechtsaußen, hat anlässlich seiner jüngsten Initiative, dem Bau eines neuen Stacheldraht-Vorhangs, zwar ungewohnt differenziert agiert, indem er ausschließlich die "illegale Einwanderung" ansprach (und das nicht, wie etwa hierzulande gern üblich mit Asylwerbern oder Integration per se vermantschte; auch diese ganz bewusste Vernebelungstaktik ist Teil des Kampfes um die Diskurshoheit...). Er meinte aber, sie sei mit Terrorismus verbunden, darüberhinaus führe sie zu einem Anstieg der Kriminalität und der Arbeitslosigkeit.

Die öffentliche Gleichsetzung "Illegaler Einwander = Terrorist" hebt selbst den nationalradikalen Orban-Diskurs auf eine neue Ebene, unterscheidet ihn noch einmal von den anderen europäischen Rechtspopulisten und ihrer immer am Rande der Hetze balancierenden Propaganda.

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Praktisch zeitgleich (also wohl zufällig) hat der deutsche Netzdenker und politische Kommentator Sascha Lobo in seiner Spiegel-Kolumne den Begriff des Terrorismus genau gegenläufig benutzt.

Er bezeichnet damit die Hassverbrecher und ihre verbalen Brandbeschleuniger seiner deutschen Heimat. Zitat: "Diese Leute glauben, sich verteidigen zu müssen, in einer Art herbeifantasierter Notwehr zur Selbstverteidigung zu handeln. Das genau ist die Stimmung, in der terroristische Akte geschehen, denn in Notwehr erscheint schließlich auch Gewalt legitim." Mit dieser Begründung Flüchtlingsheime anzuzünden, das sei eine "geradezu mustergültige Täter-Opfer-Umkehr."

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Beide Anwendungen, sowohl die von Orban als auch die von Lobo dienen dazu Aufmerksamkeit zu erregen.

Im Fall des Politikers geht es um den erwähnten Klassiker: steter Tropfen höhlt den Stein. Wenn man im Zusammenhang mit illegalen Einwanderern (die im Falle Ungarns eigentlich nur Durchwanderer sind; kaum jemand will in Orbans Isolations-Trutzburg bleiben) nur oft genug den Begriff des Terroristen platziert, dann bleibt das irgendwann hängen, als Teil einer Assoziationskette. Und es bedarf eines Interesses am Thema, um Wissen aufzubauen und für sich selbst sicher zu sein, dass dieser Vergleich so sinnvoll ist wie alle illegalen Einwanderer als Schwule zu bezeichnen; wiewohl deren Anzahl prozentuell deutlich höher ist als die der womöglich tatsächlich existierenden Terroristen. Die kommen im Normalfall nämlich eher mit einem Diplomatenpass oder zumindest in der Business Class ins Land.

Apropos, eine Sideline: die im aktuell Hateposter-Diskurs deutlich zu wenig beachteten Klassenschranken werden in dieser Analyse auf den Punkt gebracht.

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Im Fall von Lobo geht es auch um die Benennung eines noch namenlosen Phänomens. Das mit dem Begriff des Hatecrime nur unzureichend definiert wird.
In Deutschland, und das ist der eklatante Unterschied zu den österreichischen Verhältnissen, brennen die Asylunterkünfte nämlich regelmäßig; seit langer Lichtenhagener Zeit, flächendeckend und ohne Unterbrechung.

Lobo sieht darin etwas Spezifisches, nämlich die "Entstehung eines neuen, völkischen Terrorismus", die in social media ihren Nährboden finden. Er ortet "waschechten Rassismus" und erkennt im permanenten Alarmismus, der nur darauf lauert endlich aktiv werden und zuschlagen zu können eine kollektive, "potenziell tödliche Selbstgerechtigkeit". Und er fordert, die Leute Terroristen zu nennen, die Flüchtlingsheime anzünden oder andere Leib und Leben gefährdende Attentate begehen.

So wie in jedem anderen Fall, wenn anonyme Akteure aus diffusen ideologischen Gründen gezielte Straftaten begehen. Auch wenn sie aus der selbsternannten Mitte der Gesellschaft kommen und von sich selber behaupten, eine Art handlungsaktive Avantgarde einer schweigenden Mehrheit zu sein. Das unterscheidet sie nämlich keinen Millimeter von, sagen wir: der RAF.

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Und: So weit weg von Breivik findet das alles nicht statt. Die Angstfantasien, die virtuellen Gefahren sind dieselben, die politische Begründung ähnlich verwirrt und aus dem Misttrücherl der Geschichte der Verschwörungstheorie zusammengesetzt, die Notwehr-Metapher - alles dasselbe. Der einzige Unterschied ist, dass Breivik nicht die Fremden, sondern die Gutmenschen umbrachte, die den Fremden reinlassen. Ein Ziel, das die neuen völkischen Notwehr-Terroristen im nächsten Schritt auch angehen werden, wenn sie ihre Sprüche konsequent umsetzen.

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In Österreich sind es noch Softgun-Angriffe und abstrakte Todesdrohungen im Netz - aber auch da ist der Weg der Eskalation schon klar vorgezeichnet. Das Narrativ der Notwehr steht schon da; einzig die hysterische Gestik der dräuenden Wehrhaftigkeit ist schwächer ausgeprägt.

Das kann auch damit zu tun haben, dass hierzulande der rechte Rand von einer FPÖ, die mitten im kapitalistischen Interdependenz-System und zum Teil auch im Staatsapparat (Polizei, Heer...) steckt, aufgesogen wird und deshalb nicht so derart nix zu verlieren hat wie der rechte Rand in Deutschland, der sich über Neonazi-Zellen wie die NSU, die NPD, Pegida oder die AfD organisiert und den Staat in seiner Komplettheit verachtet. Deshalb ist ein innerstaatlicher Terror, wie man ihn aus den USA (Charleston, der Klan, McVeigh etc...) kennt, eine Option. Mittlerweile eine massentaugliche.

Lobo ist der erste, der das offensiv anspricht. Und als Basis des neuen völkische Notwehr-Terrorismus den Präventivpopulismus der europäischen Politik ortet.

PS:

Die deutschen Mainstream-Medien, sonst in der Wahl von schlagkräftigen Schlagworten nicht gerade zurückhaltend, haben sich übrigens entschieden: Orbans Terrorismus hat mehr Hits als Lobos Terrorismus.