Erstellt am: 4. 8. 2015 - 11:07 Uhr
Erdäpfelsalat, nein danke!
Was kommt dabei heraus, wenn man Torge Oelrich und das Who is Who der deutschen Youtuber-Szene, von Y-Titty über ApeCrime zu Dagi Bee, Bibi, Joyce Ilg, die Lochis und wie sie nicht alle heißen, einen Kinofilm drehen lässt?
- A) Eine sehr unterhaltsame Komödie, die das Medium Kino revolutioniert, es verjüngt und durch die Aspekte von Social Media-Profis ins Jahr 2015 hievt?
- B) Ein mittelklassiges Erstlingswerk deutscher Youtube-Stars, die sich eben mal auf der großen Leinwand autodidaktisch ausprobieren wollten und selbstkritisch mit ihrem Werk ins Gericht gehen?
- C) Ein tiefgründiger Independent-Meilenstein, Arthouse-Kino für Cineasten, die es auch mit sperrigen Themen aufnehmen können, in Echtzeit und ohne Schnitt gedreht?
Richtig ist natürlich Antwort D): Ein langatmiges, schrilles Stück Filmgeschichte, ein auf Spielfilmlänge aufgeblasener Youtube-Clip, der nichts weiter als Fanservice ist und die Fans der Gratiskultur blechen lassen will. Oder, wie es der Produzent ironisch formuliert: ein wirklich anspruchsvoller Film für die Zielgruppe.
Auf IMDB hat "Kartoffelsalat" einen ganzen Stern von zehn ergattert. Kein Wunder bei dem Kalauer-Tischfeuerwerk für die Generation 80plus. Die Witze sind auf Vorschulniveau, wenn es in einem Dialog etwa heißt "Nun mal' nicht den Teufel an die Wand", dann kann man davon ausgehen, dass in der darauffolgenden Szene genau das gemacht wird: Jemand kritzelt einen Teufel an die Wand. Diese Form eines "Witzes" "passiert" nicht nur einmal, der ganze Film ist gespickt von wörtlich genommenen, als Gag getarnten Redewendungen. "Kartoffelsalat" glänzt weder mit neuen Ideen, noch ist er anarchisch. Jugendlicher Spirit: Fehlanzeige. Die Dialoge sind schlecht. Die Kameraführung lässt zu wünschen übrig und ist in erster Linie verwackelt.
Kartoffelsalat
Es gibt eine einzige lustige Szene im Film und die hat ausgerechnet Jenny Elvers (Ex-It-Girl, Moderatorin, Schauspielerin, Modeschmuckdesignerin) beigesteuert. Das sagt schon viel aus, wenn ihr Fünf-Sekunden-Auftritt der Höhepunkt eines Kinofilms ist ("Nein, ich trinke nicht" ist übrigens der Gag). Damit "Kartoffelsalat" ein bisschen mehr Street Cred bekommt, haben sich die Macher wohl gedacht, zeigen sie unzählige Breaking Bad-Anspielungen. Wobei von "Anspielungen" oder "Referenz" eigentlich keine Rede mehr sein dürfte, so häufig bedient man sich am Serienoriginal. Ich hoffe ja insgeheim, dass Breaking Bad "Kartoffelsalat" wegen Diebstahls geistigen Eigentums verklagt.
Und der Plot, vom Plot will ich eigentlich gar nicht erst anfangen: Leo Weiß (gespielt von Torge Oelrich) fliegt von der Hochbegabtenschule, weil er im Unterricht laut Penis sagt. Er kommt auf eine Rütli-Schule mit Graffiti an den Wänden, stereotypen Assi-Proleten und Barbie-Mädels als Mitschüler. Nach einer Schulfeier verwandeln sich alle in Zombies. Leo und ein paar andere Schulkollegen versuchen, aus der Schule zu entkommen. Die Zombie-Idee ist wahrscheinlich die intelligenteste des ganzen Films. Da können diejenigen, die ganz grottig schauspielern, Zombierollen übernehmen - und diejenigen, die lediglich grottig schauspielern, die Hauptrollen.
In den letzten fünf Minuten versucht der Film noch einen Twist hinzulegen, der alles verändern möchte, das ganze Universum auf den Kopf stellen will. Doch auch das geht in die Hose, vom Mindfuck bleibt nur das "Fuck!" - Christopher Nolan und David Fincher, das habt ihr nicht verdient!
Und das Schlimmste: der Film wird erfolgreich sein, da kann er noch so schlecht sein. Rund 17 Millionen Fans haben die Youtube-Stars alle zusammen, das bedeutet massig Gratis-Werbung auf Youtube. Menschen, die vom Dreh berichten, einen Blick hinter die Kulissen liefern oder Trailer kommentieren. Man kann Comedian Otto Waalkes, der auch im Film mitspielt und ihn mitproduziert hat, die Eurozeichen in den Augen ansehen, als er im Interview verrät, dass sich da ja eine "Subkultur gebildet" hätte mit Millionen Fans. Die dürfe man nicht außer Acht lassen, sprich abkassieren. Kinder, die ihre Eltern um ein bisschen Taschengeld nerven, um sich dieses Meisterwerk im Kino anzuschauen. Und die Youtuber betonen nur allzu gerne, wie unabhängig ihr Film entstanden ist, ohne einen großen Verleiher, mit einer kleinen unbekannten Produktionsfirma und wenig Budget. Im Presse-Sheet zum Film wird mit Likes und Views nur so um sich geworfen, ihre Youtube-Clips hätten ja mehr Menschen gesehen, als die Filme der großen Movie Companies, steht da. Dabei vergessen sie, dass man für die Hollywood-Blockbuster ja auch ins Kino gehen und Eintritt bezahlen muss. Und auch Folgendes ist in dem PDF zu lesen:
"Die überraschende Erkenntnis durch eine Studie des US-Entertainmentmagazins 'Variety' im Juli 2014: Teenager im Alter von 13-18 Jahren himmeln ihre Youtube-Favoriten mehr an, als die Filmstars, die ihnen durch die Werbemaschinerie aufgedrückt werden."
CC BY-SA 2.0, flickr.com, User: cyclonebill
Liebe Youtuber, ihr seid angekommen. Herzlich Willkommen im großen Business. Mittlerweile interviewt ihr die deutsche Kanzlerin, moderiert Games- und Jugendsendungen im Fernsehen, berichtet vom ESC oder schreibt Gags im Öffentlich-Rechtlichen. Ihr habt Millionen junger Fans - und somit Verantwortung und Vorbildfunktion. Nutzt diese Macht weise. Und wenn wieder mal einer von euch in die Kamera heult, weil er von seinem Multi-Channel-Network ausgebeutet wird und den Vertrag, den er unterschrieben hat, nicht richtig gelesen hat: mein Mitleid habt ihr nicht.