Erstellt am: 29. 7. 2015 - 17:04 Uhr
The daily Blumenau. Wednesday Edition, 29-07-15.
#medienbewusstsein #demokratiepolitik #öffentlichkeitsumgang
The daily blumenau hat im Oktober 2013 die Journal-Reihe (die es davor auch 2003, '05, '07, 2009 und 2011 gab) abgelöst. Und bietet Einträge zu diesen Themenfeldern.
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Es war dieser Tage bei einem schnellen Essen mit einer lang nicht gesehenen/gesprochenen alten Freundin. Und nach dem Abtausch von privaten Updates und persönlichen Befindlichkeiten landen wir gegen Ende bei weniger Wichtigem: Zum Beispiel dem Grund für ihr zuletzt eingeschränktes Social-Media-Leben. Sie zeigt mir das Posting bzw. die Reaktionen darauf, die dafür verantwortlich waren. Und verwendete dabei Satzbausteine, die mir bekannt vorkommen. Dass etwa "der anderen Seite" die Toleranz fehle; oder dass einfaches "Die-Meinung-Sagen" wegen einer Shitstorm-Polizei nicht mehr möglich wäre.
Nun ist meine gute Freundin ein vergleichsweise unpolitisch lebender Mensch, der aus einem klar positionierten Elternhaus kommt - was man ihr, die eine deutliche Distanz dazu aufgebaut hat, nur in den seltensten Fällen anmerkt. Im konkreten Fall des Postings hatte sie schlicht Pech: Ein dieser Erziehung geschuldeter, gut gemeinter Aufruf träufelte in die falsche Kehle und brach eine Posting-Debatte vom Zaun, die sie (die sich sonst kaum gesellschaftspolitisch äußert) zwar als Shitstorm bezeichnete, die ich aber - in Kenntnis echter Shitstorms - als im Rahmen der Ereignis-Emotionalität als sehr gesittet und (weil sie sehr divers verlief) durchaus konstruktiv betrachte.
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Mitgenommen habe ich, wie sie bei meiner Freundin angekommen ist: sie (also die durch ihre unroutinierte Äußerung angestoßene Debatte) hat dazu geführt, dass sie sich nicht mehr öffentlich einmischt. Letztlich also auf den Stand von davor (pre-social-media, pre-web2.0) zurückkehrt.
Nichts Schlimmes also.
Schlimm ist nur, dass sie eine gewisse Beleidigtheit mitnimmt und dass sie die Schuld (menschlich, allzu menschlich) nicht bei sich oder der Struktur oder dem ungeübten Umgang damit gefunden hat, sondern bei "den anderen".
Und da wird es jetzt interessant.
Bislang kannte ich dieses Narrativ nämlich nur von professionellen Zündlern, die mittlerweile selbst von der Kronen-Zeitung (Kommentar des Sportchefs am Montag zum Thema Hymne) als PR-Schinder in eigener Sache decouvriert wurden, Stichwort Gabalier.
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Und ich fürchte, das Eine (die absichtliche Verwendung einer falscher Erzählung) hat mit dem Anderen (der Übernahme von Satzbausteinen daraus) direkt zu tun.
Denn natürlich liefert ein breitenwirksamer Gabalier, der sich bei jedem Widerspruch zu seinen (bewusst gesetzten und gesellschaftspolitisch grenzwertigen) Aussagen nicht mit den Inhalten auseinandersetzen mag, sondern auf der Meta-Ebene blockt und verlangt, dass seine Meinung taxfrei zu akzeptieren und kommunizieren sei und jedes Widerwort als intolerant abkanzelt, ein praktisches Vorbild.
Für die Einen (und das sind die bereits Vorgebildeten, die Profi-Diskutanten, vom Polit-Aktivisten bis zum Troll) ein Vorbild für eine perfekte Ausrede, um sich vor Debatte zu drücken und nach jedem noch so widerlichen Gestichel sofort automatisiert losheulen zu können, dass man ja noch sagen dürfe, was zu sagen sei und dass einem gefälligst Toleranz entgegengebracht werden solle; Toleranz, die sich in duldsamen Abnicken zu beschränken habe.
Für die anderen (und das sind Menschen wie meine Freundin, Leute, die bislang keine öffentliche Äußerung von sich gaben und deren Wirkungs-Mechanik nicht kennen) ist dieses Diktum ein Schutzschild, hinter das sie sich zurückziehen können, wenn sie merken was Meinungsäußerung 2.0 bedeutet.
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Die meisten haben sich damit nämlich noch keine Sekunde auseinandergesetzt.
Dass nämlich das (zumindest teil-)öffentliche Absetzen von Meinung eine andere Dynamik nach sich zieht als es davor im privaten Umfeld der Fall war. Im (durch eine vorausgesetzte Wertschätzung) vergleichsweise geschützten Bereich wird nämlich tendenziell abgewogen und differenziert, es fehlt die Beißhemmung, die nicht nur im virtuellen Raum, sondern auch im echten Leben automatisch reinkommt, wenn man "den anderen" nicht kennt.
Diese Erfahrungswerte haben nur jene, die immer schon viel diskutiert haben, nicht nur unter ihresgleichen am Stammtisch, sondern mit Andersgläubigen oder gar mit/in der Öffentlichkeit. Und das sind neben den Profis (vertrauen Sie mir, ich weiß was ich tue) vor allem jene, die Minderheiten-Positionen vertreten. Vom politischen Einordnungs-Spektrum aus gesehen ist das (in Österreich) also eher die Linke.
Alle anderen, die (bislang) schweigende Mehrheit, jene, die sich von staatlich bzw. von der Wirtschaft und der von ihnen unterstützten politischen Kräfte gesteuerten Medien vertreten fühlen, jene, die ohnehin nur populistisches, mehrheitstaugliches Zeug von sich geben und jene, die sich in der österreichischen Tugend der Diskussionsvermeidung geübt hatten, sind das alles schlicht und ergreifend nicht gewohnt.
Sie sind medienkompetenz-technisch nicht gerüstet. Wie auch.
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Sie werden nach einem diskurstechnisch in Watte gepackten Leben im wohligen Mainstream-Bauch Österreichs in eine Medienrealität geworfen, in der Widerspruch und Mieselsucht die Normalität darstellen. Damit muss man erst umgehen können.
Das äußert sich in etwa darin, dass man Gegenwind aushalten, die Herabwürdigung der eigenen Meinung hinnehmen und vor allem lernen muss, zu argumentieren. Das erfordert a) Geduld und b) Gehirnschmalz, also die Investition von Zeit und Substanz, zwei hehren Gütern, die nicht jede/r zu geben bereit ist.
In einer politischen Sozial-Gemeinschaft, die sich wegen Social-Media und Rückkanal-Öffnung zunehmend in Richtung Diskurs- und Redaktionsgesellschaft entwickelt, sind diese Tugenden jedoch extrem unterentwickelt. Im wattebauschigen RechtsvonderMitte-Mainstream, der in der Annahme, die in der Krone oder von anderen Peer-Groups ausgegebenen Plattitüden wären ohnehin common sense, kennt das Erstaunen über Gegenwind keine Grenzen.
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Und so kommt es dann zum Gabalier-Dogma: Der (in seinem Fall nur scheinbar) naiv vorgetragenen Forderung, dass die eigene Meinungsäußerung unbehelligt zu bleiben habe, wegen der Toleranz und so; und das mit echtem Erschrecken bzw. schlecht gespielter Weinerlichkeit vorgetragene Erwachen in einer von der Kuscheligkeit des nicht-öffentlichen Mehrheits-Lebens geprägten und von der Rauheit des öffentlichen Lebens zerzausten Wirklichkeit.
Absurderweise funktioniert öffentliche Debatte sowohl im echten Leben als auch im virtuellen Diskursraum nämlich hyperdemokratisch. Also nicht getragen von gegenseitiger Wertschätzung, sondern von der pitzeligen Suche nach der Abweichung und dem Fehler. Letztlich ist das wie das Leben in der (permanent dissidenten) K-Gruppe; und das Gegenteil des Lebens am Stammtisch, wo (falsche) Bestätigung und (verlogenes) Schultergeklopfe an der Tagesordnung sind.
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Das ist nicht lustig. Aber niemand hat jemals versprochen, dass partizipative Demokratie, dass öffentlicher Diskurs einfach und unanstrengend sind, und dass Meinungsäußerung in einem von Dissidenz geprägtem Umfeld ein Spaziergang wäre. Das kann vom (für den Betroffenen auch unangenehmen) Facepalm bis zum (allzu oft echt widerlichen) Shitstorm reichen. Aber das is part of the game, willkommen im Jahr 2015.
Diesen zukunftsfitmachende Anforderungen mit einer scheinbar demokratiepolitischen Ausrede umschiffen zu wollen, ist in jeder Hinsicht fatal. Für die Debattenkultur, aber auch für den gesellschaftlichen Mainstream, der mangels Diskussions-Fähigkeit von selbst in die Nähe des Autoritarismus rückt. Denn das, was sich Gabalier und Co. wünschen, die diskursfreie Zone, in der die Äußerung populistischer Meinung entgegnungsfrei zu bleiben hat, rückt nahe an das, was die Regierungen Orban/Erdogan/Putin aktuell praktizieren.
Das hat alles schon nichts mit meiner guten Freundin und ihrer Erfahrung zu tun. Das hat mir nur die Augen für die Systematik dahinter geöffnet. Danke dafür.
PS:
Heute habe ich sie zufällig kurz wiedergesehen (typisch Gesetz der Serie). Sie war mit dem Typen unterwegs, der ihr heftigster Widerpart im Posting-Streit war. So schlimm kann's also nicht gewesen sein: Mit der Debatten-Erfahrung ist es nämlich eher so wie mit dem Schwimmen-Lernen. Wenn man übt, dann kann es über-lebensgroßen Spaß machen.