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Boris Jordan

Maßgebliche Musiken, merkwürdige Bücher und mühevolle Spiele - nutzloses Wissen für ermattete Bildungsbürger.

28. 7. 2015 - 19:29

"High Sein"

Jörg Böckem und Henrik Jungaberle haben ein kluges und interessantes Aufklärungsbuch zum Thema Drogen geschrieben.

Das Böse ist sexy und interessant - Das wissen auch Jörg Böckem und Henrik Jungaberle. Dass die beiden Autoren von "High Sein" junge Menschen mit ihrem Buch davon abhalten könnten, Drogen zu probieren und die damit verbundenen Risiken einzugehen, halten sie für eine Illusion. Deshalb fangen sie gar nicht damit an. Für sie steht außer Frage: Drogen können interessant sein, man muss aber immer wissen, was man tut. Dabei hilft ihr Ratgeber.

High Sein

Religiös überhöhen und verehren, ebenso religös verdammen und verteufeln: das sind die Pole, an denen moderne Gesellschaften ihre Drogen verorten, und zwar an diesen Polen und nicht dazwischen. Vernünftige Argumente, verständliche Richtlinien und Erfahrungsberichte sind rar – und hat jemand welche, werden sie meist nicht an diesen Polen angesiedelt.

Wie tragisch das ist, zeigen Zahlen und Untersuchungen darüber, wie viele Menschen jeden Alters immer noch an Drogen scheitern – sei es körperlich an den Substanzen selbst oder an den juristischen oder gesellschaftlichen Folgeschäden, die der Drogenkonsum verursachen kann. Zwei deutsche Wissenschaftler haben jetzt ein Drogenbuch geschrieben, das möglichst wenig Vorurteile bedienen und möglichst viele verschiedene Menschen aufklären und begleiten möchte.

Ein schmaler Grat, den die beiden Autoren hier beschreiten, möchte man meinen, der Grat zwischen warnen und preisen - doch so schmal ist er gar nicht: an vielen Stellen weisen die Autoren darauf hin, dass Drogen nicht immer für Extremes stehen müssen, sei es das Feierabendbier, sei es die Schmerztherapie, die einmalige Festivalpille oder studentisches Gelegenheitskiffen - es gibt sehr viele Situationen, in denen Substanzen selbstverständliche Begleiter von Aktivitäten geworden sind, die selbst der rigideste Moralist nicht ernsthaft verdammen würde. Dennoch umschifft dieses Buch auch die Gefahr der Verharmlosung, der ein Drogenreader schon mal aufsitzen kann, der sich zu sehr an die Wunschbilder der Konsumenten anbiedern möchte: medizinische und polizeiliche "Hard Facts" werden stes mitbedacht.

epSos.de Pillen

epSos.de / CC BY 2.0

"High Sein" bezieht auch Stellung. Etwa für eine Entkriminalisierung von weichen Drogen und für eine vernünftige Drogenpolitik, die weg von der Kriminalisierung der Konsumenten geht. Das Buch räumt mit dem Kiffermythos auf, dass Cannabis völlig ungefährlich wäre und mit dem Hardlinermythos, es wäre die Einstiegsdroge Nummer eins. "High Sein" gibt Handlungsanweisungen für den möglichst unschädlichen Konsum ebenso wie für die vernünftigste Strategie zu Prävention, Hilfe oder Ausstieg.

Auch der Aufbau des Buches fällt sofort ins Auge: Hier werden Drogen nicht nach ihrer chemischen Zusammensetzung oder ihrer juristischen Zugehörigkeit eingeordnet, sondern nach den Lebenssituationen der UserInnen. So heißen die Kapitel: "Das erste Mal", "das zweite Mal", "Umgangsregeln", "High Sein", "Down Sein" oder "Was tun, wenn‘s brennt". KonsumentInnen, Jugendliche, Eltern, selbst die Polizei - alle Menschen, die mit Drogen zu tun haben, werden an der Stelle abgeholt, die sie betrifft und entsprechend beraten und informiert. Besser kann man es fast nicht machen.

Das ansprechende Layout wendet sich an junge urbane Erwachsene, die schon mal Magazine wie NEON oder Fleisch in der Hand gehabt haben. Vom weichen Paperbackformat bis zu den schönen Fotos erinnert nur wenig an einen muffigen Ratgeber - man sieht auch hier, dass die Autoren sich der Faszination, die vom Substanzgebrauch und der ihn begleitenden Kultur ausgeht, nicht verschließen wollen.

Und noch etwas ist einzigartig: es kommen KonsumentInnen zu Wort. Jedes Kapitel von "High Sein" ist begleitet von Erfahrungsberichten einer universitären Feldforschung, KonsumentInnen jeder Art von Substanz, User und FreundInnen, Partygäste und FluchtkifferInnen, Abhängige und Geläuterte, Süchtige und InsassInnen einer Jugendstrafanstalt.

Und auch Anekdoten tragen zur Entmythologisierung bei. Oder hättet ihr gewusst, am Konsum welcher Substanz US-Präsident Bush fast gestorben wäre?

Falsch: Er ist vor dem Fernseher zusammengebrochen, weil er eine Brezel gegessen hatte.