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Robert Glashüttner

Videospielkultur, digital geprägte Lebenswelten.

28. 7. 2015 - 18:04

Wenn Pac-Man die Erde angreift

Der Film "Pixels" bietet ergrauten Profispielern endlich eine Möglichkeit, ihre Videospieltalente außerhalb des Bildschirms einsetzen zu können.

Computerspiele seien nicht produktiv, die Beschäftigung mit ihnen wäre reine Zeitverschwendung. Dieses Stigma haftet digitalen Spielen an, seit es sie gibt. Dass keine kulturelle Beschäftigung (und Kunst schon gar nicht) einen wie auch immer gearteten Zweck erfüllen muss, außer, dass sie einen verzaubern und einnehmen soll, tut bei diesem Totschlagargument nichts zur Sache. Games haben weiterhin einen niedrigen gesellschaftlichen Stellenwert, sind stark kommerziell geprägt und können sich deshalb kaum wehren.

Statt die Gegenfrage zu stellen, warum Games produktiv sein müssten, werden viele Rechtfertigungen genannt: Spiele fördern das Konzentrationsvermögen. Sie trainieren die Hand-Augen-Koordination. Sie machen geschickt. Sie machen geduldig. Spiele lehren dich, mit Scheitern umzugehen. All das stimmt, und doch lässt sich mit dieser defensiven Haltung der bohrende Vorwurf der Zeitverschwendung nicht komplett aus unserem Unterbewusstsein drängen.

Nerds retten die Welt

Eines steht fest: Die Diskrepanz zwischen dem Heldentum, das man in vielen Computerspielen an den Tag legt und dem gemütlichen Couch-Potato-Dasein vieler spielenden Menschen ist meist recht groß. Das ist zwar egal, doch weil Spiele interaktiv sind und man mit ihnen meist - oft verblüffende - Leistungen erbringt, ist immer auch der Drang da, diese Fertigkeiten in die Außenwelt zu übertragen. Das Problem: Die eigenen mad skills in "Mario Kart" und "Destiny" sind außerhalb der Spiele nur mäßig einsetzbar. Doch jetzt gibt es ein Videospielmärchen, das zumindest in einem Film diesen Wunsch erfüllt.

"Play for the Planet"

Die Vorlage:

Der "Pixels"-Spielfilm hat seinen Ursprung im gleichnamigen Kurzfilm von Patrick Jean aus 2010.

"Pixels" ist der filmische Geek-Hybrid aus "Mars Attacks!" und "Independence Day", eine ulkige Sci-Fi-Dystopie, bei der unbekannte Aliens eine Weltraumbotschaft der Menschen aus den frühen 1980er Jahren missinterpretiert haben. Videospiele waren damals als Teil der kulturellen Vielfalt in einer interstellaren Botschaft inkludiert. Doch "Pac-Man", "Donkey Kong" und "Frogger" wurden nicht als kreative Werke sondern als Kriegserklärung oder vielmehr als Aufforderung für einen tödlichen Wettbewerb interpretiert, bei dem am Schluss nur ein Planet überleben soll. Nun sind die Aliens auf der Erde angekommen, um uns mit unseren eigenen Kreationen zu konfrontieren. Doch die sind längst nicht mehr im kleinen Arbeitsspeicher betagter Videospielautomaten gefangen, sondern stampfen durch die Straßen und sausen durch die Luft und machen alles und jeden zu Pixelbrei.

Esther und Robert spielen

Radio FM4

Return to Röhre: Anlässlich von "Pixels" spielen Esther Csapo und ich im FM4 Spielekammerl "Super Mario Bros." am NES.

Keine Frage: Hier helfen keine Soldaten, Geheimdienste und Kriegsstrategen. Was zählt, sind Geeks, die Retro-Videospiele wie "Centipede" oder "Tetris" beherrschen. So finden sich vier Mittvierziger (leider nur Männer) zusammen, die sich alle aus ihren Teenager-Tagen in der Games-Arcade aus Anfang der 80er Jahre kennen. Einer ist US-Präsident geworden, der andere ist Elektromechaniker. Einer ist im Gefängnis, der andere wohnt immer noch bei Mutti, spinnt im Nerd-Keller Verschwörungstheorien und betet Lady Lisa an - die Heroine des fiktiven Retro-Games Dojo Quest, das gleichzeitig als Marketing-Vehikel für den Film dient. Viele Klischees werden bedient, doch "Pixels" macht nie einen Hehl daraus, dass es niederschwelliges Popcorn-Kino ist.

Hommage an die Vintage-Games-Szene

Wer bereits das Näschen rümpft, weil der Film inhaltlich als auch visuell ziemlich grell und oberflächlich daher kommt, fällt wahlweise in die Cineast/innen- oder "True Gamer"-Falle. Misst man "Pixels" an klassischen filmkritischen Maßstäben wie Drehbuch oder Dramaturgie, führt das rasch zu erwartbaren, langweiligen Verrissen. Sorgt man sich darum, dass hier Nerd-Kultur (was auch immer das genau sein soll) durch den Dreck gezogen wird, sollte man sich Gedanken zum eigenen Elitarismus machen. Natürlich ist es plakativ, wenn alte Spielesuperstars wie "Pac-Man" und die "Space Invaders" die Landschaft verwüsten. Anderseits ist diese erzählerische Einfältigkeit konsequent, denn in diesen Spielen zählt auch nicht die Backstory, sondern eben das Spiel an sich. Abgesehen davon: Es kommen etwa auch "Q-Bert" oder "Duck Hunt" vor - Spiele, die in den Listen der populärsten Games-Titel eher weiter hinten vorkommen.

Ein FM4-Besuch bei Funspot, der größten klassischen Spielhalle der USA.

"Pixels" bietet viele Hommagen an die Welt der klassischen Videospiele - nicht nur in Form von Figuren und Symbolen, sondern auch in Bezug auf Personen und Philosophien. Der von Peter Dinklage gespielte Progamer Eddie Plant etwa ist eine eindeutige Anlehnung an "Pac-Man"-Überstar und Egomane Billy Mitchell. Die leidenschaftliche Rivalität zwischen den Spielern untereinander kennen wir aus "The King of Kong". Das Eintauchen ins Innere eines Spiels weckt deutliche Erinnerungen an "Wreck-It Ralph". Selbst das beinahe transzendentale Überschreiten von eingelernten Mustern, mit denen viele der alten Games gemeistert werden konnten, wird thematisiert. Denn wer ein Spiel wirklich meistert, quasi durch den Code durchsehen kann und damit eine Art "Matrix"-Effekt erzieht, braucht keine Stützräder in Form von eingelernten Mustern mehr.

Die ewige Magie der 80er Jahre

"Pac-Man"-Papa Toru Iwatani hat in "Pixels" einen Gastauftritt.

Was nach dem Ansehen von "Pixels" am meisten stutzig macht, ist, dass Mainstream-taugliche Filme über Videospielkultur weiterhin auf die markanten Figuren und audiovisuellen Werke aus Anfang und Mitte der 80er Jahre setzen müssen, um wahrgenommen zu werden. Es ist das Schicksal der technischen Weiterentwicklung, dass nach Pixelgrafik und Chipmusik keine komplett originäre Ästhetik mehr aus dem Bereich der Videospiele gekommen ist und wohl auch länger nicht kommen wird. Zumindest ist bei so vielen zeitgenössischen Games im Retro-Look einerseits und der immer perfekter inszenierten fotorealistischen Grafik von "Call of Duty", "Assassin's Creed" und Co. andererseits keine neue akustische und visuelle Ausdrucksform in Sicht, die ihren Ursprung in digitalen Spielen haben wird.

Esther und Robert spielen

Radio FM4

Die Kinder der 80er Jahre, geprägt von Pixeln. Doch auch heutige Teenager und junge Erwachsene sind in Retro-Games-Ästhetik verliebt.

So werden für's Erste weiterhin "Asteroids", "Frogger", "Paper Boy", "Super Mario Bros." und all die anderen 80er-Jahre-Games-Held/innen als eindeutig zu identifizierende Symbole für digitale Spielkultur per se herhalten müssen. Das ist nichts Schlechtes: Diese klassische Figuren sind meist nicht nur visuell markant, sondern stehen auch für eine große spielerische Vielfalt, die über dreißig Jahre später im Mainstream-Bereich alles andere als selbstverständlich ist.